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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

wie eindringliche Beredsamkeit, die, mit manchem kraftvollen schwäbischen Ausdruck gewürzt, überall ihres Erfolges sicher ist. Wie alle in diesen Zeilen geschilderten Frauen – es ist das kein Zufall! – genoß sie den Segen eines liebevollen, echten Familienlebens und dankt verehrten Eltern ihre geistige Richtung. Eine in den glücklichsten Verhältnissen auf dem Lande verlebte Jugend gab ihrer thatkräftigen, stets hilfsbereiten Natur den praktischen Sinn, die 1851 geschlossene Ehe mit dem landwirtschaftlichen Beamten, späteren Professor an der Tübinger Hochschule Heinrich Weber den weiteren geistigen Ausblick und der Eintritt in den Allgemeinen deutschen Frauenverein, zu dessen Vorstand sie heute gehört, die bestimmte Richtung für ihre stets dem Wohl der Mitmenschen gewidmete Thatkraft. Die Armen, Unwissenden, Schlechtbelehrten sind es vor allem, die ihr am Herzen liegen, sie gründete, von den städtischen Behörden unterstützt, zahlreiche Arbeitsschulen, Nähvereine, Sonntagsheime für Dienstboten und Arbeiterinnen; sie war und ist unermüdlich, das Stück der sozialen Frage, das gelöst werden könnte, wenn alle Besitzenden von gutem Willen durchdrungen wären, für ihr Teil zu fördern und andere ebenfalls herbeizuziehen mit Ernst oder Humor, je nach Umständen. Einen großen Dienst hat die vortreffliche Frau auch der Sache des Frauenstudiums geleistet durch ihr vorzügliches Buch „Aerztinnen“, worin der Nachweis von der Notwendigkeit weiblicher Aerzte für die verschwiegenen Frauenleiden mit soviel Logik, weiblicher Würde und Mäßigung geführt wird, daß viele Gegner, welche schärferen Streitschriften gegenüber sich ablehnend verhielten, gerade durch dieses Buch anderer Ansicht wurden.

Eine äußerlich noch umfassendere Wirkung übt die Gründerin des Berliner Hausfrauenvereins, Frau Lina Morgenstern, geboren 1830 in Breslau. Bereits als Mädchen für das Wohl armer Schulkinder thätig, entfaltete sie seit ihrer 1854 erfolgten Verheiratung mit Theodor Morgenstern in Berlin eine großartig zu nennende Wirksamkeit. Schon 1866 hatte dort der Präsident A. Lette den Verein zur Förderung der weiblichen Erwerbsthätigkeit gegründet, dessen Vorsteherin heute seine hochverdiente Tochter Frau Schepeler-Lette ist. Dieser Verein verfolgt in erster Linie praktische Zwecke und hat hervorragende Erfolge mit seinen Fachschulen aller Art erzielt, er ist heute das Haupt aller Frauenerwerbsvereine, besitzt ein eigenes Haus und glänzend eingerichtete Anstalten. Mit dem Allgemeinen deutschen Frauenverein hat er sich nicht verschmolzen aber die beiden stehen Schulter an Schulter. Unabhängig vom Letteverein nun errichtete Frau Lina Morgenstern Kochschulen und Volksküchen, gründete die große Hausfrauengenossenschaft, eine Akademie zur wissenschaftlichen Fortbildung und zahlreiche andere dem Gemeinwohl dienende Vereine. Außer vielen Schriften zur Frauenfrage und vortreffliche hauswirtschaftlichen Büchern verfaßte sie einige größere Werke. Dabei leitet die unermüdliche Frau die bis heute bestehende „Hausfrauenzeitung“. Ihr Name bleibt mit dem großen Aufschwung der Berliner Frauenthätigkeit unzertrennlich verbunden.

Den Grundsatz, daß jedes Erziehungsbestreben für das weibliche Geschlecht von besserer Vorbildung der Lehrerinnen ausgehen muß, daß diese wissenschaftlich befähigt werden müssen, den gesamten höheren Mädchenunterricht zu erteilen, weil Frauen besser als Männer zur Erziehung heranwachsender Mädchen geeignet sind, diesen Grundsatz im Einverständnis mit Gleichgesinnten im Jahre 1884 aufgestellt und seitdem unermüdlich mit den Waffen eines ungewöhnlichen Geistes in Reden, Eingaben und Schriften verfochten zu haben, ist das Verdienst der hervorragendsten unter den Jüngeren, Fräulein Helene Lange in Berlin. Was auf einem früheren Frauentag einmal angesichts des spärlichen Nachwuchses sorgenvoll gerufen wurde: „Ablösung vor!“ – es braucht heute nicht wiederholt zu werden, denn in Helene Lange (geboren 1848 in Oldenburg) ist der deutschen Frauenbewegung eine Vorkämpferin erstanden, deren litterarische Wirksamkeit ebenso bedeutend ist wie ihre persönliche in der Lehrthätigkeit und als Vorstand des Allgemeinen deutschen Lehrerinnenvereins. Der äußere Gang ihres Lebens ist einfach: mit 16 Jahren verlor sie den Vater, dessen Einfluß auf das ernst denkende Mädchen sehr bedeutend war, die Mutter hat sie kaum gekannt. So fand sie sich unter Verwandten und Fremden auf sich selbst gestellt und entfloh zeitig dem üblichen Leben der Kaffeekränzchen und Bälle, um sich zur Lehrerin zu bilden und einen die ganze Persönlichkeit fordernden Beruf zu haben. Bei ihrer Befähigung gelang ihr dies leicht – sie machte im Jahr 1872 ihr Lehrerinnenexamen, wurde schon 1876 als Leiterin eines Seminars in Berlin angestellt und vertauschte diese Stellung 1890 mit der Oberleitung der zur Vorbereitung auf die Maturitätsprüfung bestimmten Realkurse für Frauen, die sich seit Herbst 1893 in eigentliche Gymnasialkurse verwandelt haben und zu den besten Erwartungen berechtigen.

Geradezu überraschend ist die Bedeutung des 1890 unter dem Präsidium von Fräulein A. Schmidt durch Frau Marie Loeper-Housselle und Fräulein Helene Lange gegründeten großen Lehrerinnenvereins. Frau Loeper-Housselle, geboren 1837 bei Marienburg in Westpreußen, hatte in einer früh ergriffenen Lehrerinnenlaufbahn oft Gelegenheit, zu sehen, wo die Fehler des in Leistung und Ansehen damals so niedrig stehenden Lehrerinnenberufs steckten: in dem Mangel an Bildung und Gemeinschaftsgefühl. So faßte die begabte, durch warme Herzensgüte ausgezeichnete Frau den Entschluß, ein Organ zu gründen, um die vielen einzeln im Leben stehenden Mädchen zu einem Ganzen, zu einem Stande zu verbinden, in dem jedes Glied sich verantwortlich fühlt für die Pflichterfüllung aller. Das Unternehmen glückte über Erwarten. Seit 1884 ist die von Frau Loeper-Housselle redigierte „Lehrerin für Schule und Haus“ ein angesehenes Centralorgan, haben sich die in ganz Deutschland zerstreuten Lehrerinnen zu einem heute 6000 Mitglieder zählenden Verband zusammengeschlossen, dessen Einfluß auf die einzelnen von hoher idealer und wertvoller praktischer Bedeutung ist. Denn der Verein vermittelt auch Stellen in Deutschland, Frankreich und England (dort im Einvernehmen mit dem durch Fräulein Adelmann begründeten und trefflich organisierten deutschen Verein in London) und hat überall seine Vertretungen, die aufs gewissenhafteste das Wohl der Stellesuchenden wahrnehmen.

Frau Loeper-Housselle gehört durch ihre gewinnende, von poetischer Empfindung getragene Redegabe auch zu den beliebtesten Sprecherinnen der Frauenversammlungen. Sie entfaltet an der städtischen Schule zu Ispringen in Baden eine gesegnete Thätigkeit und ist die Vertraute von unzähligen Kolleginnen, die in ihr den trostvollen Mittelpunkt der großen Gemeinschaft sehen.

So ist denn die deutsche Frauenbewegung, die hier nur im flüchtigsten Umriß gezeichnet werden konnte und noch viele, vorstehend nicht erwähnte Namen und Leistungen umfasst, zu etwas ganz anderem geworden, als ihre Feinde anfangs vermeinten. Der stets neu verkündete gründliche Umsturz aller Sitte und Weiblichkeit ist nie eingetreten, es hat sich nur eine langsame Anpassung an veränderte Verhältnisse vollzogen, deren Fortschreiten jetzt eine schnellere Bewegung annimmt, weil eine ganz gewaltige Menge von Anstalten bereits ihre Wirkungen fühlbar macht. Der Allgemeine deutsche Frauenverein verfügt über ein großes Vermögen und hat in den letzten Jahren mehrfache Stipendien für das Studium in Zürich ausgesetzt, bis zu dem von ihm erhofften Tage, wo auch deutsche Universitäten sich den Gymnasial-Abiturientinnen öffnen werden. Die praktische Probe über männliche und weibliche Befähigung wird dann gemacht werden, was jedenfalls den bis jetzt nur theoretisch entwickelten Gründen Für und Wider vorzuziehen ist. Das beste, was dafür und für die ganze Bewegung gesagt werden kann, hat Helene Lange ausgesprochen, zum letztenmal in der Vorrede der von ihr herausgegebenen neuen Zeitschrift „Die Frau“, wo es zum Schlusse heißt: „Wir hoffen, unter den deutschen Männern der Ueberzeugung Bahn zu brechen, daß es sich in der Frauenbewegung um einen Fortschritt der Menschheitsentwicklung handle, wie er noch immer zu verzeichnen war, wo gehemmte edle Kräfte zur Entfaltung gelangten. Wir hoffen, unter den Frauen die Lauen und Trägen aufzurütteln zu dem Bewußtsein, daß die Frau die ihr durch die äußeren Verhältnisse gewordene Muße mit etwas anderem auszufüllen hat als dem Tand des Tages, daß es gilt, innerlich zu reifen, aus dem Gattungswesen zur freien Individualität sich zu entwickeln, um nach Maßgabe dieser Kräfte auf die Umwelt zu wirken.“

Mag es auch vielleicht in manchem anders kommen, als die hochsinnige Schreiberin dieser Zeilen meint, mag der Prozentsatz der zu freier Individualität sich Entwickelnden von der Natur weniger reichlich bemessen sein, als sie hofft – alles dies fällt nicht ins Gewicht gegen die Thatsache, daß jetzt langsam die Bahn sich öffnet, auf welcher die menschliche Tüchtigkeit, sei es des weiblichen oder männlichen Geschlechtes, den Erfolg erringen kann. Daß wir soweit sind, ist zum großen Teil das Verdienst der zehn, in unserem Bild den Lesern vorgeführten Frauen, die zugleich als lebendige Beispiele des von ihnen als möglich Dargestellten ihrem Geschlechte voranleuchten.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_259.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)