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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

würde, und fand sich getäuscht. „Hatt’ ich gehofft, daß einiges Nickel . . .“ schmunzelte er.

„Ein Wunder, daß er das Kiud nicht gestohlen hat,“ rief die Frau Sekretär.

„Ja, seine Ehrlichkeit soll belohnt werden,“ sagte Opitz und zog seine Börse heraus.

„Ach, mein gnädigstes Frau Madam,“ grinste der Zigeuner, sich mit aufgehaltenem Hut nähernd, „was soll armes Zigeuner anfangen mit so großes Gör? Hat selbst knapp zu essen. Ja, wenn gewesen wär’ eine ganz kleine Kind, wo noch nicht kann sprechen . . .“ Einige Münzen fielen in seinen Hut. „Danke schön, danke. Armes Zigeuner immer ehrlich.“ Von allen Seiten regnete es Geldmünzen. „Danke, danke, meine gnädigsten Herrschaften. Bin ich so glücklich.“ Er hielt immer wieder den Hut auf, endlich auch vor Frau Streckebein, die noch im Rückstande war. Sie hatte ein Markstück aus ihrem Täschchen genommen, hielt sich aber in einiger Entfernung und wich jetzt zurück. „Geben Sie ihm das, lieber Opitz,“ flüsterte sie, „es ist mir so ängstlich . . . Lieschen, komm hierher!“ Sie nahm die Kleine an die Hand.

Der Zigeuner ließ das Geld im Hut tanzen. „Nun seien armes Zigeuner reich,“ rief er. „Hoiaho! Wann ’mal wieder kommen in Wald – können ruhig Kind verlieren – bringen immer zurück. Hoiaho!“ Lustig sprang er fort.

Man kehrte an den Tisch zurück. „Sie sollten doch gleich anspannen lassen, Herr Schöneberg,“ sagte Frau Streckebein nach einer kleinen Weile. „Wer weiß . . .“

„Aber nun ist ja alles gut,“ meinte er wieder bei besserem Humor.

Alles, Herr Schöneberg?“ fragte Vanhusen pfiffig. Er hatte mit der künftigen Schwiegermama viel gezischelt.

„Ach, die verlorene Tochter ist wieder da, das genügt.“

„Und wir können nun doch die Verlobung feiern,“ bemerkte Opitz.

Martha fiel ihm um den Hals. „Die Verlobung – ach ja!“

„Du weißt ja noch gar nicht –“

Sie nickte dem Maler zu und wollte ihm die Hand reichen. Der Papa trat aber dazwischen „Willst Du wohl! Vom Onkel Opitz und Frau Ida ist die Rede.“

Martha zog ein Mäulchen. „Ach so . . . Onkel Hermann und . . .“ sie nickte Ida wehmütig freundlich zu. „Ich gönn’s Ihnen von Herzen, aber ich hätte doch auch so gern . . . Und was die Feier betrifft, es wäre schon in Einem hin gegangen!“

Frau Schöneberg sprach davon, daß sie ins Haus gehen und die Bowle bereiten wollte. Nach all dem Schreck und Aerger werde ein Gläschen von dem kühlen süßen Wein gewiß schmecken. Vanhusen bot ihr seine Dienste an – „Wahrhaftig, ganz uneigennützig,“ versicherte er. „Ich bin heute Egoist; wenn ich nicht auf mein eigenes Wohl anstoßen kann, trinke ich keinen Tropfen.“ Er behauptete, sich auf das Brauen von Bowlen zu verstehen. Frau Schöneberg meinte zwar, es sei nicht nötig, daß er sich bemühe, wies ihn jedoch so sanft ab, daß er’s wohl meinte wagen zu dürfen, ihr ins Haus nachzugehen. Sie litt dann auch, daß er die Flaschen entkorkte und zusammengoß, während sie den Zucker auflöste. Dabei fiel denn ein Wörtchen hier und ein Wörtchen da und nach kurzer Zeit war man bei dem Thema, das beide nun doch am nächsten anging.

„Ihr Herr Gemahl scheint mir wirklich recht böse zu sein.“

„Na – Sie haben es auch ehrlich verdient.“

„Wirklich?“ fragte er und sah sie dabei bittend an.

„Es müssen da schon allerhand Heimlichkeiten vorangegangen sein.“

„Ja, wie soll man denn dahinter kommen, ob man Hoffnung hat –“

„In einem gut bürgerlichen Hause macht sich so etwas doch anders.“

„Ich bin ein Künstler, verehrteste Frau, und habe heißes Blut, dem Sie schon etwas zu gute halten müssen. Ich würde mir sehr lächerlich vorgekommen sein, wenn ich in Frack und weißer Binde angetreten wäre, mich den lieben Eltern als Heiratskandidaten vorzustellen und gehorsamst anzufragen, ob ich’s nach den Umständen wagen dürfe, mich um des Fräuleins Neigung zu bemühen. Erst mußte ich sicher sein, des Mädchens Herz zu besitzen, das ich liebe. Jetzt weiß ich’s. Worauf sonst hätte ich auch meine Werbung stützen können, als auf das Einverständnis gegenseitiger Neigung?“

„Na ja, das läßt sich ja hören,“ gab sie unwirsch zu. „Aber so ein junges Ding verleiten, sich gleich hinter dem Rücken der Eltern zu versprechen . . .“

„Es ist nun einmal geschehen. Wollen Sie wirklich so grausam sein, gnädige Frau, uns zu trennen? Und gewaltsam trennen müßten Sie uns jetzt. Ich will Ihre Güte nicht für mich anrufen, aber daß Sie es übers Herz bringen könnten, Ihr Kind unglücklich zu machen, werde ich nicht glauben.“

„Ach, das geht bei Martha nicht so tief.“

„Es geht so tief, verlassen Sie sich darauf.“

Frau Schöneberg rührte die Bowle um. „Aber es ist doch keine Vernunft darin. Worauf wollen Sie heiraten?“

„Es braucht ja nicht gleich in sechs Wochen die Hochzeit zu sein. Wir sind beide noch jung –“

„Ja, sehr jung, Martha wenigstens. Ein langer Brautstand ist gar nicht nach unseren Wünschen. Und wenn wir allenfalls auch vermögend genug wären – hm, hm . . . so ein Maler steht doch eigentlich nie auf eigenen Füßen.“

Er klopfte die Ananas aus dem langen Glase. „Erlauben Sie, meine verehrte Frau Schöneberg, auch die Kunst nährt unter Umständen ihren Mann, und nach dem Aufsehen zu schließen, das mein ‚Verlorener Sohn‘ erregt . . . Sie sollten sich’s wirklich doch überlegen. Eine so ganz verächtliche Partie bin ich am Ende nicht.“

Frau Schöneberg goß aus dem großen Löffel in ein Glas ein, schmeckte und reichte es ihrem Gehilfen. „Ich denke, wir können mit unserem Gebräu zufrieden sein.“

Er leerte das Glas. „Auf Ihr Wohl, gnädige Frau!“

Sie nickte ganz freundlich und rief die Wirtin herbei, um von ihr die Terrine mit dem edlen Naß hinaustragen zu lassen. Sie selbst folgte ihr auf dem Fuße, ohne sich um den Maler weiter zu bekümmern. Vanhusen sah ihr durchs Fenster nach. Er bemerkte, daß sie, am Tisch angelangt, sehr bald ihren Mann beiseite nahm und eifrig auf ihn einredete. Aha! dachte er, das gilt mir. Er meinte, jedenfalls nicht ohne Abschied wegfahren zu dürfen, und begab sich deshalb nochmals zur Gesellschaft zurück.

Er hatte richtig vermutet. Frau Schöneberg führte ihm bei ihrem noch immer sehr bocksteifen Manne das Wort. „Was kommt da heraus, wenn wir uns auf die Hinterbeine setzen?“ meinte sie. „Etwas Vernünftiges schwerlich. Einsperren können wir Martha doch nicht. Und wer weiß, was da weiter heimlich geschieht. Herr Vanhusen ist ja auch immer ein Mensch, mit dem sich rechnen läßt. Hat er ein bißchen Glück, so kann er’s zum Professor bringen. Einmal muß man ja doch seine Tochter verlieren. Und weil Martha doch unser einziges Kind ist – und es uns aufs Geld nicht ankommt . . . Na, was meinst Du, Alter? Zu bedenken wär’s am Ende.“

„So schwach sind die Weiber,“ seufzte er, doch eigentlich ganz froh, nachgeben zu dürfen. Er konnte es ja schon gar nicht mehr ansehen, daß Martha abseits an einem Tisch saß, die Arme aufgestützt hatte und in ihr Tuch weinte.

Als nun Vanhusen kam, sich zu verabschieden, sah er ihn prüfend von oben bis unten an, gab seinem Kopf eine wackelnde Bewegung, zog den Mund schief und wieder gerade und prustete. „So ein Maler ist doch ein kurioser Kerl,“ sagte er. „Sie denken also wirklich in allem Ernst daran ... na, still jetzt! Wir wollen nächstens ’mal Ihre – Verhältnisse besprechen. Heute trinken wir in aller Gemütlichkeit unsere Bowle. Du hast doch nichts dagegen, Opitz?“

„Und ich darf mittrinken?“ fragte Vanhusen rasch.

„Meinetwegen,“ sagte Schöneberg, „aber –“ Martha war aufgesprungen und hatte sich genähert – „par distance, wenn ich bitten darf.“ Martha flog ihm an den Hals und drohte ihn mit ihren Küssen zu ersticken. „Schon gut – schon gut – schon gut,“ wehrte er ab.

„Und abends fährt Albrecht mit auf unserm Wagen nach Hause,“ schmeichelte sie. „Das Zweirad kann ja aufgebunden werden. Nicht wahr, Papachen?“

„Das wollen wir uns noch überlegen“ antwortete er schmunzelnd.

Opitz hatte auf einen Wink seiner Schwester die Gläser gefüllt.

„Also – an die Gewehre!“ rief Schöneberg wieder bei bester Laune. „Kinder – ich will keine Rede halten, aber so eine Kremserfahrt ist doch etwas. Und wenn auch ... na, trinken wir erst ’mal auf die ‚verlorene Tochter‘!“

„Du rührst Dich nicht von meinem Schoß, Lieschen,“ sagte Frau Sekretär Streckebein, sie fest im Arm haltend.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_387.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2021)