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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

den Pfeil werfen kannst aus dickem Busch oder den Stein lösen auf sicherem Gewänd’.“

In bleicher Wut riß Henning das Messer vom Gürtel und schwang es zum Wurf, erschrocken fiel ihm einer der Knechte in den Arm, Henning wollte sich losreißen, auf dem durchweichten Boden glitten ihm die Füße aus; er taumelte und fiel, kollerte über die Leiche, und ehe die erschrockenen Knechte ihn zu haschen vermochten, hatte er in dem über das Ufer getretenen Wasser den Grund verloren und verschwand mit gurgelndem Schrei in den Wirbeln der Ache. Kreischend und ratlos standen die Knechte, aber Sigenot hatte schon die Axt von sich geschleudert, in jagender Eile rannte er durch das anspritzende Wasser am Ufer dahin, und als er in einem schäumenden Wirbel zwischen Felsblöcken Hennings Arm auftauchen sah, sprang er mit weitem Satz in die Wellen. Den Treibenden am Genick fassend, schwang sich der Fischer, der auf dem Grund der Ache jeden Stein und jede Untiefe kannte, auf einen von den Wellen überspülten Block. Und ehe die schreienden Knechte noch zur Stelle kamen, hatte Sigenot mit dem Geretteten schon das jenseitige Ufer gewonnen. Halb von Sinnen taumelte Henning zu Boden, als der Fischer ihn aus seinen Händen ließ.

Sigenot schüttelte das Wasser von sich und schöpfte Atem. Ein müdes Lächeln huschte über seine Lippen. „Sag’, Henning, denkst Du noch der Wort’, die Du in jener Sturmnacht Deiner Schwester zugerufen, weil sie in meinem Geleit den Heimweg gefunden hat? Jetzt nimm die Wort’ zurück. Schäm’ Dich, Henning, bist Blut von Wazes Blut und mußt Dir helfen lassen von einem, wie ich bin!“ Er wandte sich ab und schritt unter den Bäumen am Ufer entlang.




28.

Wilder Lärm füllte die Hofreut des Fischerhauses. Mit heiseren Stimmen schrien die Almerinnen und laut brüllten die Rinder, welche scheu umherrannten, die Umfriedung des Gärtleins niederdrückten und nach allen Richtungen ihre Wege nahmen, die einen auf der Suche nach dem Stall, die anderen nach einem Ausweg. Die Männer mußten die Arbeit verlassen und den Dirnen zu Hilfe kommen. Nur schwer gelang es, die Rinder Sigenots von der Herde des Richtmanns zu scheiden und im Stall zu bergen. Die Scheune, so geräumig sie war, vermochte die fremde Herde nicht zu fassen. Man mußte an die Errichtung eines Schuppens denken, um den noch übrigen Tieren Schutz vor dem strömenden Regen zu bieten. Während die Männer Pfähle und Bohlen herbeischleppten, hörte Wicho laute Schläge am Hagthor. „Da kommt der Herr mit guter Hilf’!“ rief er und eilte, um zu öffnen.

„Schau’ erst über den Hag, eh’ Du aufthust!“ mahnte Eigel.

Wicho stieg auf den Lugaus und warf einen Blick nach der Lände, erschrocken fuhr er zurück. Herr Waze zu Roß und zwei Knechte mit Sauspeeren hielten vor dem Thor.

„Was ziehst Du den Kopf zurück?“ rief Herr Waze. „kennst Du mich nicht?“

Wicho winkte den Männern in der Hofreut, doch sie hatten die Stimme vor dem Hag bereits erkannt, Eigel und der alte Senn faßten ihre Aexte und rannten zum Thor. Hilmtrud, über deren Gesicht ein jähes Erblassen ging, wollte ihnen folgen, aber Kaganhart packte sein Weib am Arm und stotterte: „So bleib’ doch; bleib’ ... wir müssen nicht überall dabei sein!“

Wicho hatte die Arme über das erhöhte Flechtwerk des Hags gelegt und auf Wazemanns Frage die Antwort gegeben: „Wohl wohl, Herr, ich kenn’ Dich schon.“

„So rühr’ Dich! Siehst Du nicht, daß ich Einlaß will?“

„Wohl wohl, das seh’ ich!“ nickte Wicho, ohne von der Stelle zu weichen.

Herrn Wazes Stirne wurde rot. „Du Schuft! Thu’ mir das Thor auf, oder Du sollst für die Säumnis zahlen!“

„Schuft? He, Du!“ rief Wicho einem der Wazemannsleute zu. „Hörst du nicht, Dein Herr hat Dich gerufen! Mich kann er ja nicht gemeint haben, denn ich heiß’ Wicho! Tummel’ Dich und zeig’ ihm den Heimweg ... es macht grob Wetter heut’ ... schau’ nur, das Wasser lauft ihm ja schon beim Stiefel heraus.“

Herr Waze ritt dicht an den Hag heran und hob die Augen mit stechendem Blick zu Wicho. „Ruf’ mir Deinen Herrn!“

„Mein Herr ist im Haus und kann nicht kommen,“ entgegnete Wicho und ließ keinen Blick von der Hand des Spisars, denn er sah, daß Herr Waze an dem Riemen nestelte, mit welchem der kurze Jagdspeer an den Sattel gefesselt war.

„Nicht kommen? Warum nicht?“

„Er hat ein neues Häs an, und das hat heiklige Farben, die den Regen schlecht vertragen! Da müßt Ihr wohl ...“ Wicho verstummte, denn er sah seinen Herrn mit des Richtmanns Leuten auf der Lände erscheinen. Mit langen Sprüngen stürzte er zum Haus, riß den fünfzackigen Näbiger von der Wand, eilte über den Hügel hinunter und keuchte. „Das Thor auf!“

Als Herr Waze den Fischer erblickte, öffnete sich schon der Hag, und Wicho stellte sich mit Eigel und dem Altsenn an Sigenots Seite, während die zwei Mägde des Richtmanns mit ihren Kraxen in das Thor flüchteten.

Ueber Wazemanns Lippen huschte ein dünnes Lächeln, er hatte rasch die Fäuste gezählt, welche wider ihn und seine beiden Knechte waren, und merkte wohl, daß für Zorn und Gewalt nicht die rechte Stunde wäre. Mit einem stummen Wink hieß er seine Knechte zurücktreten und rief den Fischer an. „Du mußt ein übles Gewissen haben, denn ich seh’, Du rufst mehr Leut’ um Dich her, als Du füttern kannst an Deinem Tisch!“

Sigenot wollte Antwort geben, doch Eigel kam ihm zuvor und schrie: „Wenn Du meinst, ein gutes Gewissen müßt’ allein stehen ... warum denn hat man Dich im Gadem noch niemals ohne Knecht’ gesehen! Aber steck Dich hinter all’ Deine Knecht’ ... es wird doch eine nach Dir greifen! Schau’ Dich um, sie steht schon hinter Dir und hebt die Fäust’!“

Herr Waze warf einen scheuen Blick über die Schulter, doch er sah nur seine Knechte. „Was will der Narr?“

„So schau’ sie doch an! Oder kennst Du die Salmued nimmer ...“

Sigenot legte die Hand auf Eigels Arm und zog ihn zurück; ruhig fragte er: „Herr Waze, was wollt Ihr bei meinem Haus?“

Langsam wandte der Spisar die funkelnden Augen von dem Kohlmann und sah den Fischer an. „Die Neugier hat mich hergetrieben. Ich möcht’ wohl wissen, warum Dein Hag Dir auf einmal zu nieder scheint, daß Du ihn höhen und festen mußt?“

„Es steht der Winter vor meinem Thor, der Schnee wird steigen und die Wölf’ haben hohen Sprung.“

„So? Und Du fürchtest die Wölf’?“

„Nein, Herr, aber man hütet sich vor ihnen.“

„So? Dann laß Deinen Hag nur gehörig wachsen, eh’ sie springen. Und eine andere Frag’ noch hab’ ich an Dich. Mir fehlt ein Knecht, weißt Du mir keine Kund’ von ihm?“

„Wohl, Herr! Vor kurzer Weil’ erst hab’ ich ihn gesehen. Reitet nur heim ... Euer Henning bringt ihn mit seinen Knechten getragen auf dem Speerholz.“

„Wer hat ihn erschlagen?“ schrillte die Stimme Wazes. „Du?“

„Ob ich’s gethan hab’, wird sich weisen im Gericht.“

„Du wirst Dich stellen?“ fuhr es hastig über die Lippen des Spisars, und seine Augen schossen einen Blitz.

„Ja, Herr! Aber nicht in Eurem Haus, sondern vor dem Sitz der Klosterleut’, die nach Recht die Herren sind im Gadem. Ich hab’ mein Leben und Haus in ihre Hand gelegt. Schauet her, Herr Waze ...“ er deutete nach dem Kreuz, „da steht ihr Herrenzeichen vor meinem Hag!“

Herr Waze würgte an einem Wort, doch es wollte ihm nicht von der Zunge; kalkige Blässe bedeckte sein Gesicht, und der Zügel schwankte in seiner zitternden Faust. Sigenot wandte sich zu den Seinen. „Geht ins Haus, Ihr Leut’, wir wollen das Thor schließen ... denn ich mein’, Herr Waze und ich, wir haben zu End’ geredet.“ Zögernd folgten die Leute dem Geheiß des Fischers, der die Hofreut als der letzte betrat.

Wie versteinert saß Herr Waze im Sattel, doch als die Thorflügel sich schlossen, reckte er die Faust und knirschte: „Auf morgen, Fischer!“ Er warf das Pferd herum und ritt am Hag entlang. Da sah er Hilmtrud auf dem Lugaus stehen, sie hielt mit der einen Hand den Knüttel umfaßt und stieß mit der anderen ihren Mann zurück, der sie vom Hag hinwegreißen wollte.

„Du?“ lachte Herr Waze. „Hast Du Dich auch zu ihm gesellt? Gieb acht ... Dir soll in des Fischers Haus noch heißer werden als unter Deinem eigenen Dach!“

Erbleichend taumelte Hilmtrud, als hätte ein Faustschlag ihr Gesicht getroffen. „Mordbrenner, Mordbrenner!“ kreischte sie wie von Sinnen und wollte den Knüttel schleudern. Schreiend klammerte sich Kaganhart an ihren Arm, aber sie riß sich los und schwang sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_410.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2021)