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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

und Reisigbündeln, die Mägde trugen die Metkannen um, und Herr Waze stand mit fünf Söhnen am Fuß der Freitreppe, der Pferde harrend, die man aus den Ställen führte. Einer der Knechte ließ am Thor die Brücke nieder, und als sie gefallen war, erhob sich Ulla, die alte Magd, aus einem Winkel, in dem sie auf das Fallen der Brücke gelauert hatte. Lautlos huschte sie zum Thor hinaus, und niemand achtete ihres Weges.

Schon wollte Herr Waze den Fuß in den Bügel setzen, da dröhnten schwere Schläge an der Mauerpforte, welche gegen die Bergseite führte. Man lief und öffnete. Bis über die Hüften mit Schnee behangen, trat Rimiger in den Burghof. Dunkle Zornröte schlug über Wazes Stirn, als er den Sohn erblickte, und böser Willkomm schien ihm auf der Zunge zu liegen. Doch Rimiger schnitt ihm die Rede ab mit dem keuchenden Ruf: „Vater, Dein Wort und Verbot ist Wind geworden im Gadem! Auf Deinem Bannberg hausen Leut’ . . .“ er lachte heiser, „und kochen sich das Mus am Feuer!“

„Laß sie kochen!“ schrie Henning. „Wir haben andere Sorg’!“

Herr Waze hatte das Roß von sich geschoben und war auf Rimiger zugetreten. „Leut’ auf meinem Bannberg?“

„Hinter dem Eismann droben, auf der öden Albhütt’! Und rat’ nur: wer! Der Richtmann mit seinem Buben und Sigenots Schwester!“

„Das Rötli?“ klang Eilberts Stimme aus dem Lärm der anderen. Der schrille Hall dieses Namens flog in die Herrenstube und weckte die Tochter Wazes aus ihrem starren Brüten. Langsam hob sie das bleiche Gesicht, atmete tief und lauschte. Sie hörte das wirre Geschrei, zornige Worte ihres Vaters, dann in lautloser Stille die Stimme Rimigers: „Schon wie wir über die erste Schneid’ gestiegen sind, noch hell am gestrigen Tag’, haben wir Schnee gehabt. Da ist kein Weg mehr über die Wänd’ gewesen. Otloh wär’ am liebsten heimgekehrt, aber ich hab’ ihn gehalten, denn ich hab’ mir gute Jagd versprochen vom Morgen. Das Fahlwild, das hinter dem Eismann steht, ist mir im Sinn gelegen. So sind wir über die Alben aus und hinuntergestiegen gegen den Windacher See. Noch eh’ wir im Seethal ans End’ gekommen sind, ist der Abend eingefallen. Otloh wär’ gern in der Albhütt’ am See geblieben, aber ich hab’ gemeint, wir sollten noch aufsteigen bis zur Oedhütt’ und droben nächten. Die Hütt’ liegt ja kaum einen Pfeilschuß von dem Wechsel, über den das Fahlwild niederzieht, wenn Schnee gefallen. Da hätten wir gute Rast gehabt und am Morgen leichten Weg. Also gut, wir steigen weiter und kommen in schneeheller Nacht zur Hütt’. Schon von weitem ist mir immer gewesen, als käm’ aus der Hütt’ ein Lichtschein. Und richtig, wie ich näher komm’, geht vom Dach der Rauch auf, und ich hör’ im Feuer das Holz krachen! Wilddieb’! Das ist das erst’ gewesen, was ich denken hab’ müssen! Aber wie ich näher schleich’, hör’ ich aus der verschlossenen Hütt’ die Stimm’ einer Dirn’. Und die Stimm’ kenn’ ich!“ Hennings Lachen unterbrach die fliegenden Worte Rimigers. „Und gleich darauf hör’ ich eine zweite Stimm’, den Richtmann! Und eine dritte noch: seinen Buben! Und rat’, was ich gehört hab’ aus ihrem Reden! Vater! Sie haben Dir einen Knecht erschlagen, weil er die Fischerdirn’ hat fassen wollen . . .“

Die Stimme Rimigers ging wieder unter in Geschrei. Starr lauschte Recka. Abgerissene Worte drangen an ihr Ohr, sie hörte, wie Rimiger von seinem Heimweg berichtete, und hörte ihn sagen, daß Otloh in sicherem Versteck zurückgeblieben, um die Hütte im Auge zu halten.

„Rühr’ Dich, Vater, und hinauf!“ schrie Henning. „Hinauf! Oder willst Du zum Gespött werden im Gadem und stillsitzen, wenn Dir das Bauernpack Dein Fahlwild scheucht? Der Fischer hütet seinen Hag . . . die Kutten hüten ihre Klaus’ ... die bleiben Dir all’weil’ noch! Hinauf, Vater, hinauf!“

Aus dem Lärm, der diesen Worten folgte, hob sich schrill die Stimme Wazes. „Vier Knecht’ mit uns! Die Hetzhund’ an die Riemen! Und nehmt die Knöchel mit, Ihr Buben: als Einsatz geb’ ich Euch die Dirn’!“

Tumult und Gelächter, Pferdegetrappel und das Gebell der Hunde füllte den Burghof. Im öden Herrensaal stand Recka, zitternd an allen Gliedern. Ein mattes Lächeln ging über ihre bleichen Lippen, ihre Gestalt streckte sich und die Finger schlossen sich zu Fäusten. „Rötli! Auf Tod und Leben . . . ich halt’ Dir meine Treu’!“

Fliegenden Schrittes eilte sie in ihre Kammer, und während sie sich rüstete wie zu Ritt und Jagd, ging ein Schreien und Rennen durch alle Räume des Hauses. die Knechte liefen nach den Schneereifen und Grießbeilen. Als Recka den Wildfänger um ihre Hüfte gürtete, wurde an ihrer Kammer die Thüre aufgerissen. Henning erschien auf der Schwelle, maß die Schwester mit spöttischem Blick und lachte. Ohne ein Wort zu sprechen, trat er wieder zurück, warf die Thüre zu – und draußen klirrte der Riegel.

Recka war gefangen. Sie lächelte nur – und koppelte den Köcher an ihren Gürtel. An jedem Pfeil, den sie im Köcher verwahrte, prüfte sie die Fiederung, den Schaft und die Spitze, den Eibenbogen nahm sie auf den Rücken und faßte den Jagdspeer. Nun stand sie und lauschte. Im Burghof dämpfte sich der Lärm, und als der Hufschlag der Pferde und das Gekläff der Meute gegen die Bergseite hin verklang, eilte Recka zum Fenster und schwang sich auf die Brüstung. Sie sah nicht, daß von dem wankenden Tischlein der kleine Schrein mit dem Geschmeid ihrer Mutter zu Boden stürzte ... sie sprang.

Auf den Dielen zersplitterte der Schrein, die goldenen Schaumünzen, die silbernen Ketten, die Ringe und Spangen fielen klirrend durcheinander, und aus dem schimmernden Geschmeide hüpfte der halbe Beinreif der Salmued heraus und kollerte über den Estrich gegen die Thüre.




32.

Auf dem Lugaus des Fischerhauses stand Wicho mit dem Kohlmann; sie lauschten dem Gekläff der Meute, welches hinter Wazemanns Haus im Bergwald verklang. „Ich mein’, sie kommen!“ flüsterte Eigel.

Wicho schüttelte den Kopf. „Die Hund’ läuten gegen die Berg’ hin. Wir haben heut’ noch Ruh’, sie ziehen ins Gejaid!“

„Gieb acht, dahinter steckt ein Schlich! Sorglos will er uns machen und schickt die lauten Hund’ zu Berg ... und eh’ wir uns umschauen, ist er da und brennt ein Loch in den Hag! Ich schaff’, solang’ noch Zeit ist!“ Er griff nach einem der Rutenbündel, die auf dem Lugaus aufgeschichtet lagen. Wicho trat zu ihm, und schweigend begannen sie die Arbeit. Rute um Rute flochten sie um die frischgeschlagenen Pfähle, und immer höher wuchs unter ihren Händen die hölzerne Mauer. Ein dünnes Lachen machte sie aufblicken. Unter dem Hag stand Ulla. „Ihr Narren übereinander!“ rief sie mit verzerrten Lippen. „Was schaffet Ihr und schwitzet? Fürchtet Ihr den da droben? Narrenleut’! Narrenleut’! Meint Ihr, der selb’ da droben hätt’ Zeit für Euch?“ Ihr Lachen hob sich mit schrillem Klang. „Der muß ja raufen mit seinem Fluch!“

„Meiner Seel’, das Weibsbild ist närrisch!“ lachte der Kohlmann.

„Sie ist aus Wazemanns Haus!“ flüsterte Wicho ihm zu.

Mit starrem Blick hingen Ullas Augen an dem Kohlmann, und ihre welke zitternde Hand streckte sich gegen ihn. „Du! Weißbartiger! Bist nicht Du derselbig’, dem die Salmued lieb gewesen?“

Dem Kohlmann fielen die Ruten aus der Hand, und ein Blick des Hasses sprühte aus seinen Augen. „Weib, ich sag’ Dir, wahr’ Deine Zung’!“

Ulla lachte. „Hast nie gesucht nach Deiner Dirn’? Freilich, einen weiten Weg hättst laufen müssen! Wenn der Tandelmann mit seinem Karren wieder kommt, so frag’ ihn doch, wo Deine Dirn’ geblieben ist. Zahl’ ihn gut oder greif’ ihm an die Gurgel! Wer weiß, vielleicht hörst von ihm die gleiche Boachaft, die er dem da droben gebracht hat: die wilden Säu’ sind über die Salmued und ihr Kind gekommen! Gelacht hat der da droben, Kohlmann, gelacht, und hat gemeint, jetzt hätt’ er Ruh’ vor ihr! Aber schau’ hinauf zu ihm ... die Tote hat wieder heimgefunden und hauset unter seinem Dach!“

„Eigel! Eigel!“ stammelte Wicho und hielt mit beiden Armen den Kohlmann fest, der über den Hag auf die Lände springen wollte. Vom Hall der Stimmen gerufen, eilte Sigenot zum Lugaus.

„Du Narr! Was schlägst denn umeinander mit Händ’ und Füßen?“ kreischte die Magd. „Bleib’ hocken in aller Ruh’ ... die Salmued wird schon allein noch fertig mit ihm! Sie rührt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_432.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2021)