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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Lachen steckt bekanntlich so leicht an wie Masern – begannen jetzt auch zu schluchzen, da die Stunde herannahte, wo sie ihre Flora hergeben sollten.

Da erhob die Braut ihre Stimme und sprach die denkwürdigen Worte: „Weint nicht erst, Kinder! Man weiß ja nie, wie’s im Leben kommt! Der liebe Gott kann ja einen von uns beiden ’mal bald zu sich nehmen – und dann ziehe ich wieder zu Euch! Nicht wahr, Scholz?“

Daß der Bräutigam diesem heiteren Zukunftsplan nicht gerade mit Jauchzen und Begeisterung zustimmte, sondern sich mit der zu nichts verpflichtenden Bemerkung begnügte: „Wir werden ja sehen!“ wird ihm wohl niemand verdenken können.

Wir andern saßen natürlich „zu Statuen entgeistert“ um den Hochzeitstisch, und der eigentümliche Toast, durch den Flora diese feierliche Stille hervorgerufen hatte, diente zugleich als Zeichen für das Aufheben der Tafel.

Als dann unsere Flora mit ihrem Scholz abgeschwebt war, sahen wir dem kleinen Ehemann ungefähr mit den Empfindungen des alten Kinderliedes nach, in dem es heißt: „Putthöneken, Putthöneken, wie ward et Dir ergahn!“

Einige Wochen nach der Hochzeit schrieb Flora einen Stadtpostbrief und lud unsere Kinder sämtlich zum Kaffee ein. Die Aufregung war ungeheuer, wie man sich denken kann! Mit Vorräten an Würsten, Butter und Semmeln beladen, um den Scholzschen Haushalt durch ihren Masseneinfall nicht zu schwer zu schädigen, zog die Gesellschaft ab und kam erst ziemlich spät wieder heim, im höchsten Grade befriedigt von den gewonnenen Eindrücken.

Bei Scholzens war es „reizend“ gewesen! Sie hatten an dem gedeckten Klavier, was richtig zum Tisch herabgewürdigt war, Kaffee getrunken. Die Flora hatte Räderkuchen in ungeheuren Mengen gebacken, und alle Kinder schwärmten für den Scholz, der Reuters Werke besaß und sich als liebenswürdigster Wirt gezeigt hatte. „Und das Beste ist,“ berichtete unser Aeltester, „die Flora fürchtet sich vor dem Scholz! Der Scholz kommandiert sie wie ein Feldwebel, und als wir weggingen, mußte sie ihm die Pantoffeln anziehen.“

Und so war es! Durch welche geheimnisvollen Eigenschaften der Scholz sich ein so beispielloses moralisches Uebergewicht über seine riesige Lebensgefährtin verschafft hatte, blieb unaufgeklärt, aber die Thatsache ist nicht wegzuleugnen, daß die große Flora ganz gehörig unter dem Pantoffel stand und auf den Wink des „Spazierstöckchens“ wie ein Apportierhündchen hin und her laufen mußte.

Ob sie angesichts dieser Verhältnisse es beklagte, daß sie ihre Selbständigkeit bei uns mit den Rosenketten der Ehe vertauscht hatte, das weiß ich nicht zu sagen. Ich glaube es aber nicht, denn Scholzens machen einen sehr zufriedenen Eindruck, so daß es scheint, als hätte Flora doch zu sanfter Unterwürfigkeit mehr Talent, als wir an ihr bemerkt hatten.

Ihre schönen Ausdrücke hat sie übrigens noch beibehalten, neulich trennte sie sich von uns mit den Worten: „Jetzt muß ich aber machen, daß ich nach Hause komme, denn wenn der Scholz sein Abendbrot zu spät kriegt, macht er ein Gesicht so lang wie ein Ausziehtisch zu vierundzwanzig Personen.“

Und da hat ja der Scholz ganz recht!

Flora hat ihn übrigens vermöge ihrer vorzüglichen Küche so herausgefüttert, daß er aufblüht wie eine Rose. Und obwohl damit für uns die Aussichten auf Floras Wiederkehr geringer werden, so freuen wir uns doch seines Wohlergehens – man muß ja kein Egoist sein!




Das Ende eines königlichen Abenteurers.

Von Eduard Schulte.
(Schluß.)


In Castellamare angekommen, hatte Othello, noch ehe er seine Briefe abgab, mit seinem Schwiegervater über seine Aufträge gesprochen. Dieser aber wurde zum Verräter und erstattete der Polizei Anzeige. In der nächsten Nacht drang die Polizei in das Haus, nahm die Briefe in Beschlag und verhaftete den Mamelucken. Die durch die Aufschriften als Empfänger bezeichneten Personen wurden ebenfalls verhaftet und angewiesen, dem Verfasser der Briefe so zu antworten, als wenn sie auf freiem Fuße wären, ihren Antworten aber den Wortlaut zu geben, den der Polizeiminister in Neapel dafür festgesetzt hatte und der dahin ging, daß ein Landungsversuch alle Aussicht auf Gelingen habe und daß dafür Salerno zweifellos der geeignetste Hafen sei. Zwei der Briefempfänger, ein aus Spanien stammendes Brüderpaar, weigerten sich, diesem Befehle nachzukommen, sie wurden in Haft behalten. Die übrigen, fünf an der Zahl, erkauften ihre Freiheit durch Befolgung des Polizeibefehls. Mit der Ueberbringung der Briefe an Murat wurde vom Minister ein gewisser Luigi beauftragt, der in Diensten der Polizei stand. Luigi kam am 28. September früh in Ajaccio an, stellte sich dem König Joachim als Bote Othellos vor, der noch in Castellamare bleiben wolle, überreichte die Briefe und spielte vor dem Könige den begeisterten Parteigänger. Murat ahnte nicht im entferntesten, daß er einen Verräter vor sich hatte, der ihm gefälschte Briefe überbrachte. In der Freude über die günstigen Berichte, die er mündlich und schriftlich empfangen, gab er seinen Offizieren ein großes Fest, ließ den Soldaten doppelte Löhnung auszahlen und ordnete den Aufbruch des Geschwaders für den Abend desselben Tages an.

König Murat saß noch an der Tafel, da meldete man ihm einen Herrn von Maceroni, der im Auftrage des Kaisers Franz von Oesterreich kam. Murat empfing den Abgesandten in einem Nebenzimmer und nahm aus seinen Händen ein unter dem 1. September erlassenes kaiserliches Schreiben entgegen, worin Kaiser Franz ihm eine Zufluchtsstätte auf österreichischem Gebiet anbot, jedoch nur unter der Bedingung, daß er fortan den Königstitel ablege, als Privatmann lebe und das österreichische Staatsgebiet ohne Erlaubnis des Kaisers nicht verlasse. Murat beendete lächelnd die Lesung dieses Briefes und trat mit dem Boten auf die Terrasse des Gasthofs. Dort sah man Murats Königsbanner wehen, man blickte auf sein im Hafen liegendes Geschwader und auf die die Straße füllende Menschenmenge, die beim Erscheinen Murats zu den Klängen seiner Militärkapelle rief: „Es lebe König Joachim!“ Staunend betrachtete der Bote das alles. Nun führte Murat ihn in den Salon, wo Offiziere Murats in glänzenden Uniformen versammelt waren, wie während der vorhergehenden Jahre in den Königsschlössern zu Neapel und Caserta. Von dem Gesehenen etwas eingeschüchtert, fragte der Bote: „Welchen Bescheid habe ich dem Kaiser von Oesterreich zu überbringen?“ Stolz antwortete Murat: „Sagen Sie meinem Bruder Franz, was Sie gehört und gesehen haben, und dann bestellen Sie ihm, daß ich noch heute abend ein Schiff besteige, um mir mein Königreich wiederzuerobern.“ Einige Stunden später ging Murat mit seinem Geschwader, an dessen Spitze er einen aus Malta stammenden Kapitän mit Namen Barbara gestellt hatte, unter Segel.

In welcher Selbsttäuschung befand sich doch der leichtlebige, hoffnungsfreudige, sorglose Murat! Mit den Vorbedingungen für ein Gelingen seines Unternehmens stand es so mißlich wie nur möglich. In den von Luigi überbrachten gefälschten Briefen hatte König Ferdinands Polizeiminister ihm deshalb Salerno als Landungsplatz bezeichnen lassen, weil von dem österreichischen Heere, das die Truppen Murats besiegt hatte, dort 3000 Mann standen. Die Anwesenheit der Oesterreicher im Königreich Neapel reichte bei der Ueberlegenheit der österreichischen Soldaten über die neapolitanischen allein hin, um eine erfolgreiche Schilderhebung zu gunsten Murats zu verhindern, und von dieser Anwesenheit mußte Murat Kenntnis haben, wenn er auch nicht für jede Stunde wissen konnte, an welchen Punkten sie standen. Erst nach dem Abzug der Oesterreicher hätte das Gelingen des Eroberungszuges einige Wahrscheinlichkeit für sich gehabt. Im neapolitanischen Heere hatte Murat wohl noch einige Anhänger, und es ist bezeichnend, daß König Ferdinand ihm lieber österreichische als neapolitanische Soldaten entgegenstellen wollte. Aber alle Offiziere, die als Parteigänger Murats bekannt waren, hatte König Ferdinand längst abgesetzt und in die Verbannung geschickt. Immerhin hätte Murat beim Eindringen in das Land einige Bataillone seines alten Heeres um sich versammeln können, wenn er selbst nur, wie Napoleon es that, mit einigen hundert Mann hinter sich gelandet wäre; aber so viele hatte er nicht, und auch nur mit denen zu landen, die er hatte, wurde ihm zum Teil durch Verrat unmöglich gemacht. Fast

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_443.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2021)