Seite:Die Gartenlaube (1894) 536.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Nein, nein; das will ich nicht! Ohne mich würde er wie ein Junggeselle leben, noch mehr, als er es jetzt schon thut!“

Hermann senkte nachdenklich den Kopf und rührte langsam mit dem Löffel in der Tasse herum. Konnte er ihr widersprechen? Arme Lore! Sie kam ihm vor wie ein gehetztes Wild, unstet, nirgends sichere Ruhe erspähend.

Ihre Augen hingen an seinem Gesicht. Wenn er bei ihr war, fühlte sie sich ruhiger, die schlichte Festigkeit seines Wesens schien ihr ein Bollwerk gegen alle Stürme. Hier, hier war ein Mensch, zu dem sie vor sich selbst flüchten konnte! Eine unbeschreibliche Sehnsucht nach dem Glück, das einst, von ihr ungeahnt, ihr Leben gestreift hatte, stieg in ihr auf. Aber war Hermann denn noch derselbe wie ehedem, wie bis vor wenigen Wochen? Was würde sie ihm noch sein, wenn er eine große Neigung faßte zu jenem Mädchen, das ihn verstand, ihn würdigen konnte?

„Was sagst Du zu Edda Helm?“ fragte sie unvermittelt, das Schweigen brechend.

Er war nicht erstaunt über diese Frage, weil seine Gedanken sich gerade mit Edda beschäftigt hatten; ihm hatte das Bild der Ohnmächtigen vorgeschwebt, der seelenvolle weiche Ausdruck in den sonst so herben Zügen.

„Ich denke nach über sie.“

„Findest Du sie nicht schön?“

„Nein, schön finde ich sie nicht. Aber sie hat ein Gesicht, das man nie vergißt, weil es die Gedanken beschäftigt.“

Lore schaute ihn prüfend an. „Könnte Dir eines solchen Mädchens Dasein interessant werden?“

„Ja, denn es giebt mir zu raten.“

„Geh’ mir nicht aus dem Wege! Könntest Du sie lieb gewinnen?“

Er fuhr auf.

Nun wußte sie genug; sie lächelte wehmütig. „Aber weshalb denn so erregt? O, wenn dies Mädchen einen Mann liebt, wird sie alles von sich werfen, rücksichtslos, selbst ihren weiblichen Stolz, und wird ihm gehören mit Leib und Seele.“

„Ein solches Mädchen sollte lieben können wie andere? Glaubst Du das, Lore?“

„Sicherlich! Nur größer, stärker!“

Edda Helm die Seine! Ein heißer Blutstrom schoß ihm durch die Adern.

„Ach, Unsinn, Lore! Daß Ihr Frauen doch das Ehestiften nicht lassen könnt! Geh’ zur Ruhe, Du siehst übermüdet aus.“

Sie lächelte wieder mit demselben eigentümlichen Lächeln wie vorhin. „Gute Nacht, Hermann!“ Und dann ihm beide Hände auf die Schultern legend: „Wenn ich einem Menschen in der Welt etwas Gutes gönne, so bist Du es. Und nun versuche, ob Du die späten Gäste auf anständige Weise aus dem Rauchzimmer vertreiben kannst, es ist vier Uhr vorüber.“

Mit müden Schritten ging sie langsam zur Thür.

In ihrem Schlafzimmer angelangt, sank sie aufs Sofa. „Den habe ich nun auch verloren,“ murmelte sie erregt. „Nur die Bande der Verwandtschaft und unserer gemeinsam verlebten Kindertage verknüpfen mich noch mit ihm. Und Bruno? Mein Gott, wie gleichgültig ich neben ihm hergehen kann! Warum vernachlässigt er mich, läßt mich stets allein mit diesem Russen, der mir schmeichelt mit seiner blinden Ergebenheit? Er achtet gar nicht auf den Prinzen, auf mich, gerade als wäre ich ein Wesen ohne Schwäche, ohne Blut in den Adern. Oder hält er mich nicht mehr für schön genug, eines anderen Mannes Liebe zu erwerben?“

Ein schrilles Lachen tönte durch das Schlafgemach. Nicht mehr schön genug! Sie strich die goldenen Locken aus der Stirn und eilte zum Spiegel. Ein trotziger Zug legte sich um ihren Mund, als sie ihre biegsame Gestalt in dem eng anliegenden mattgelben Seidenkleid betrachtete. O, Bruno sollte schon sehen! Wenn er sie reizte – – Sie beugte lauschend den Kopf zur Seite. Im Nebenzimmer lallte eine Kinderstimme abgerissene Worte im Schlaf.

„Edgar!“ rief sie und wankte an das Bett ihres Kindes.

Der Knabe schlief fest, erwachte auch nicht bei dem Lichtschimmer des über sein Lager gehaltenen Lichtes. Lore blickte lange nieder auf das rosige Gesicht. „Nein, nein, Du sollst Dich Deiner Mutter nicht zu schämen brauchen,“ flüsterte sie und senkte langsam den Kopf. – 0000000000


Im Rauchzimmer herrschte eine abscheuliche Luft. Der Qualm der Cigaretten und Cigarren vermischte sich mit dem Dunst von Wein, Bier und Punsch. Um einen runden Tisch saßen noch einige Herren, Prinz Sissi auf dem Sofa mit einem vergnügten Kindergesicht wie ein Knabe beim „Schwarzen Peter“. Er litt nie unter den Wechselfällen des Spiels. Was galt es ihm, ob er Tausende verlor oder gewann! Und weil er so gleichgülag gegen die Höhe der Summe war, machte er nie aus eigenem Antrieb höhere Sätze, sondern spielte nur gerade hoch genug, um sein Vergnügen bei der Sache zu haben.

Eben hatte der Prinz die Bank übernommen. Ihm gegenüber saß Bruno nachlässig auf dem Stuhle, mit eleganter Bewegung die Einsätze vor sich hinschiebend. Er hob die Karten nie hastig auf, sondern mit der Ruhe eines gewiegten Spielers, langsam, mit halb geschlossenen Augen, ohne neugierige Blicke auf den Tisch, und erst dann, wenn alle anderen bereits ihre Blätter gesehen hatten. Aber der feine Beobachter bemerkte doch, wie sehr das Spiel ihn beschäftigte, wie jede Fiber in ihm gespannt war, die Vorteile auszunutzen, wie oft eine kaum merkliche Röte über seine etwas blassen Züge huschte. Der andere Kartenhalter war ein junger Assessor, der vor sechs Wochen die Tochter eines Kommerzienrats geheiratet hatte. Die übrigen Anwesenden beteiligten sich nur hier und da mit kleinen Einsätzen auf irgend eine Karte.

Hermann trat hinter Brunos Stuhl, um einen günstigen Augenblick für die Erfüllung von Lores Bitte abzuwarten.

Prinz Sissi nickte ihm lächelnd zu. „Sie sah reizend aus, die Helm,“ meinte er, ohne die Cigarette aus dem Munde zu nehmen, während er die Karte abheben ließ. Dann fiel sein Blick auf das unbefriedigte Gesicht eines jungen Lieutenants, der beiseite stand, weil fortgesetzter Verlust und ein Rest von Besinnung ihn hatten aufhören lassen. „Aber, lieber Baron, Sie setzen ja nicht mehr mit!“

Dieser zuckte die Achseln und machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung.

„Nur nicht weglaufen!“ rief der Russe. „Kommen Sie, ich gebe Ihnen tausend Mark! Man muß das Glück zwingen!“

„Ich möchte lieber nicht,“ antwortete der Lieutenant, war aber offenbar doch geschmeichelt durch die Aufmerksamkeit des Fürsten.

„Machen Sie keine Umstände! Rückzahlung nach Belieben, meinetwegen, wenn Sie Hauptmann geworden sind! Hier, ich gebe die Bank ab. Setzen Sie – ich wette, in einer halben Stunde haben Sie Ihre Verluste ausgeglichen.“

Hermann ärgerte sich über den Russen, aber er war klug genug, zu schweigen.

Der Prinz stand auf, trank ein Glas Selterswasser und sah dann lächelnd zu, wie der Offizier aufs neue an dem Spiel teilnahm und nach Art des Anfängers regelmäßig ein Zwanzigmarkstück setzte. „Das ist geradezu Selbstmord, lieber Freund! Sie können so nicht ordentlich gewinnen. Hundert Mark! So ist’s recht! Sehen Sie, großer Schlag! Und nun den Gewinn stehen lassen! Gut gekauft – so fängt man das Glück!“ rief er lachend, während er für sich selbst einen Geldschein auf eine Karte schob.

„Lassen Sie die Summe stehen, Prinz?“ sagte Bruno langsam, mit einem Ton in der Stimme, als wünsche er das. Die Bank, die er jetzt übernommen hatte, war stark zusammengeschmolzen.

„Wie hoch hält die Bank?“

„Alles!“ erwiderle Bruno, während er ein Stück Papier mit einer Zahl und seiner Unterschrift versah und vor sich zu dem Gelde legte.

Weßnitz verlor noch zweimal.

„Nun, Prinz?“

„Ich lasse es wieder liegen.“

„Das isl kein Spiel mehr,“ knurrte der Assessor, ohne gehört zu werden.

Die Karte schlug für Bruno. Der Russe lächelte fein.

„So kann ich mich nicht behandeln lassen! Ich halte die Bank!“

Es trat Stille ein. Dem Lieutenant, der zwei Karten zu nehmen hatte, zitterte die Hand, obgleich er selbst nur mit einer kleinen Summe beteiligt war.

„Nehmen Sie einen Schlag auf zwei Karten an, Prinz?“ fragle Bruno, die Blätter verteilend.

Dieser nickte und trat gleichgültig an einen Nebentisch, um sich einen Chartreuse einzuschenken. Beim Umwenden streiften seine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_536.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)