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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Der weite weiße Rittermantel, den er über seiner spanischen Herrenkleidung trug, ließ zwar an Decenz nichts zu wünschen übrig, dafür erforderte er aber für den Träger die größte Aufmerksamkeit, um nicht beständig über die Schleppe zu stolpern, und die Königliche Hoheit ließ es an dieser Aufmerksamkeit durchaus fehlen. Zudem hielt sie sich stets nach Möglichkeit auf der Seite nach der Garderobe zu, wodurch sie sich der Wohlthat des Soufflierens gänzlich beraubte und das Zusammenspiel häufig zu stören drohte.

„Höre,Paula,“ bemerkte die Hirtentochter Thusy, während draußen auf der Bühne Nocturna und Titania ein Wett-Erscheinen aufführten. „Was ist das nur mit Dir? Ich glaube, Du genierst Dich vor dem Professor mehr als vor einem ganzen Armeekorps Lieutenants.“

„Laß mich! Du bist unausstehlich,“ schluchzte der Königssohn und stampfte mit dem Füßchen auf die Mantelschleppe.

„So? Das ia ja recht nett,“ erwiderte die Hirtentochter. „Na warte, ob ich Dir nachher helfe, wenn Du so bist.“

„Du brauchst mir gar nicht zu helfen, Du – Du – Du bist abscheulich, immer, schon den ganzen Nachmittag.“

Der Professor „donnerte“ gerade während dieses Gespräches, indem er einen großen Sack Kartoffeln langsam und kunstgerecht in eine Waschbütte kollern ließ. Dabei machte er ein entsetzlich trauriges Gesicht und blickte zuweilen nach der anderen Seite zu dem Königssohn hinüber, mit Augen, in denen eine Welt von Jammer dunkelte. Der armen Pussy, die gerade vorbeistreichen wollte, warf er eine Kartoffel an den Kopf, und ihr Wehschrei erhöhte noch den schauerlichen Zauber der Bühnenscene.

Nun, schließlich ging auch dieses Stück zu Ende. Das Publikum, unter welchem neben Frau Doktor Ulrich ein älterer wohlbeleibter Herr mit goldener Brille den Ehrenplatz einnahm, spendete unendlichen Beifall. Die gefeierten Künstlerinnen mischten sich nach und nach – wo dies anging, in ihren Bühnengewändern – in den Zug der gewöhnlichen Sterblichen, der unter Lachen und Plaudern die Treppe hinunter in die Gesellschaftsräume pilgerte. Der Professor blieb noch im Bühnenraum, um einige feuergefährliche Requisiten zu beseitigen – oder weil es ihm sonst so gefiel.


13.

Schließlich stieg auch Hans die breite festlich erleuchtete Treppe hinunter, sehr langsam und sehr traurig. „Ich wollle, es wäre morgen,“ seufzte er. Dabei lehnte er sich an den Pfosten, ohne zu bemerken, daß neben ihm auf dem Geländer Pussy kauerte. Die Gelegenheit war zu verlockend für das kleine rachsüchtige Raubtier. Sie zog den geschmeidigen Leib zusammen und zielte zu einem großen Sprunge, gerade nach dem Gesicht des Mannes. Dann gab es urplötzlich einen Schrei, ein Gezisch und Gefauche, die Katze sauste an Hansens Kopf vorbei auf den Teppich und vor ihm standen – nun wieder in Civil – Thusy und Paula, letztere mit einem roten Streifen über dem zarten Handgelenk.

„Entschuldigen Sie, Herr Professor,“ sagle der verwandelte Königssohn mit einer Stimme, so kühl wie in der Tanzstunde, „das Tier wollte nach Ihnen springen, als wir gerade vorbeikamen, und da habe ich es weggejagt.“

„Und Sie sind statt meiner verwundet worden!“ rief Hans statt jeden Dankes, indem er voll Bestürzung nach Paulas blutendem Händchen griff.

„O bitte, Herr Professor!“ erwiderte sie und hielt die Hand auf den Rücken.

Der kleine Lärm hatte noch einige Mädchen herbeigezogen. Neugierig drängten sie heran, und die rothaarige Hetty von Siegendorf, welche schon längst nur die Fee Nocturna hieß, flüsterte kichernd. „Nun hat die Maus es doch von der Katze gekriegt!“

„Pfui,“ rief Thusy, gab der bösen Fee einen recht kräftigen Puff und zog Paula, welche laut zu weinen anfing, mit sich fort in ein leeres Zimmer. „Daß mir keine von Euch nachkommt!“

„Ich wollte, ich hätte ein Glas Sekt!“ seufzte der Professor für sich. Es fing an, ihm schwindlig zu werden. Und jetzt kam er auch noch in den hellen, menschenerfüllten Saal, und da stand auch schon Frau Doktor Ulrich mit dem dicken Herrn vor ihm.

„Unser Herr Professor Doktor Seeling – Herr Senator Meyer.“

„Nun, es war ja sehr, sehr hübsch,“ meinte der Senator, „aber, aber der Königssohn!“

„Nur zu erklärlich in der bräutlichen Stimmung,“ erwiderte Hans mit grausamer Selbstquälerei. „Gestatten Sie mir, Herr Senator, daß ich Ihnen zur Verlobung von Fräulein Paula meinen herzlichsten Glückwunsch ausspreche!“

Der dicke Herr sah ihn groß an. „Aber, Herr Professor, ich verstehe nicht recht – bis jetzt weiß ich nur von der Verlobung meiner ältesten Tochter Helene mit Herrn von Wildenstedt.“

„Ihrer Tochter He–lene?“ stammelte Hans, „ja dann – dann entschuldigen Sie gütigst, Herr Senator!“

Und fort war er. Der dicke Herr sah ihm nach und blickte dann Frau Doktor Ulrich fragend an. „Er wird etwas vergessen haben,“ meinte sie entschuldigend. „Darf ich Ihnen hier unseren trefflichen Zeichenlehrer, Herrn Rabe, vorstellen?“ Und während die beiden sich begrüßten, murmelte sie. „Herr meiues Lebens, mir ahnt etwas!“


14.

Unterdes war Hans an dem bewußten kleinen Ankleidezimmer angelangt und stürzte höchst ungebildet gleich mit dem Anklopfen hinein. Da saß Paula weinend auf einem Sessel, Thusy stand neben ihr und gleich darauf auch Hans. „Paula!“ rief er.

„Lassen Sie mich, Herr – Herr Professor!“ schluchzte sie und wollte nach der Thür eilen. Aber dort hatte schon Thusy den Platz eingenommen. Sie stand wahrhaft groß da.

„Was hat man eine Not mit den Menschen!“ rief sie. „Nun, Gott sei Dank, daß Sie wenigstens da sind! Nein, hier wird nicht wieder weggelaufen, jetzt kann er Dir ja sagen, wie es wirklich ist. Bitte, sagen Sie’s ihr doch, Herr Professor! Es ist ja alles nur wieder so ein Streich von der Fee Nocturna – die hat nämlich den Spitznamen ,Maus‘ für Paula aufgebracht, Herr Professor, weil Paula seit der Geschichte neulich so für Mäuse schwärmt und sich ärgert, wenn die Nocturna so intim mit der Katze ist, und die hat ihr dann heute morgen vorgelogen, der Herr Professor ulke zu Hause mit seinem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_644.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2023)