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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Bude an die andere reihte. In der Mitte war, durch einen Holzzaun abgegrenzt, der Bauerntanzplatz ausgespart, aus welchem der reichgeschmückte Maibaum bis nahe an die Hallendecke emporragte. Nebenan stand das eigenartige, täuschend ausgeführte Bauernwirtshaus mit Erkerfenstern und dem Sankt Florian an der Mauer, jenseit des Tanzplatzes luden die Verkaufsstandeln der Grödener Holzschnitzer, der Sterzinger Lebzelter und Stubaier Eisenschmiede mit ihren bekannten Spezialitäten zum Besuche ein; auch die schönen Ampezzaner Filigran- und Holzeinlege-Arbeiten waren in reicher Auswahl vertreten, Beinwaren vom Eisakthal, Meraner Edelobst und Bozener Wein, Vorarlberger Käse und Innsbrucker Wurstwaren, kurz, es war ein richtiger Jahrmarkt, wie er in den Dörfern der Berge sich abspielt. Fast die gesamte tirolische Kleinindustrie war auf dem Markte vertreten, sogar der Vogelhändler fehlte nicht mit seinen Käfigen, in denen Krummschnäbel und Zeisige, Meisen und Finken sich tummelten. Und damit ja nicht das Geringste am Kirchtag mangle, hatte sich in einer Ecke eine leibhaftige „Dörcher“-Familie samt ihrem Karren gelagert; so vorzüglich waren die Kostüme und Masken dieser jedem Touristen bekannten Tiroler Zigeuner gelungen, daß ein mitleidiger Anthropologe dem aus einer halb zerbrochenen Pfeife scheinbar eifrig rauchenden Kärrnerweibe einen Silberzwanziger schenken wollte zur Anschaffung eines neuen Pfeifenkopfes. Das Dörcherweib war aber eine Geschäftsinhaberin von Innsbruck und hatte vorher eine ziemliche Mühe darauf verwendet, den richtigen braunen Ton für Gesicht und Hände herauszubekommen.

Je näher der wunderschöne Sommertag dem Abend entgegenrückte, desto dichter füllte sich der Festplatz und die große Halle mit Menschen, Tausende von Festteilnehmern wogten beim Eintritt der Dunkelheit zu den Klängen verschiedener Musikkapellen fröhlich durcheinander, ein reizendes Bild, dem die verschiedenen Trachten des Landes nun so recht Leben und Farbe verliehen. Da waren rote und gelbe Röcke und braune Joppen, riesige grüne Hüte, violette Jacken und rote Westen, faltenreiche schwere „Kittel“ der Weiber, runde und spitzige zuckerhutartige Hauben, dazwischen wieder die koketten flachen Hüte vom Unterinnthal, die Spitzhütchen und buntseidenen Busentücher der Zillerthalerinnen und natürlich auch Schlagringe, Reggel- oder Passeirerpfeifchen und alte schön ausgenähte Ledergürtel in Menge. Es waren da mehrere alte Trachten zu sehen, von denen jetzt vielleicht nur noch je ein Exemplar im Lande vorhanden ist und die selbst dem beim Fest anwesenden Altmeister Defregger, als ihn der Schreiber dieser Zeilen darauf aufmerksam machte, zum Teil unbekannt waren.

Am Maibaum.

Aufsehen erregte eine Vorarlberger Wälderin in der fast vollkommen weißen Tracht und mit der weißen halbspitzen Haube aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs. Damals ist es ja den tapferen Wälderinnen gelungen, die Schweden aus ihrer Gegend zu verjagen, weil die fremden Eindringlinge die weißen Jacken der ihnen wohlbewaffnet entgegenziehenden Bauernweiber für österreichische Soldatenröcke hielten. Ein Ehepaar aus Kastelruth (am Fuße des Schlern) war in einem Kostüm auf dem Fest erschienen, das gleichfalls dem siebzehnten Jahrhundert zuzuweisen ist. Noch weiter zurück reichte vielleicht die weiße Lederjoppe eines Bauern aus Waidring und dann ganz besonders die an sich unscheinbare Tracht eines Bäuerleins aus dem Lüsenthale bei Brixen. Der ganze Schnitt seiner grünen Jacke, die weiße Halskrause, die Pumphose und die groben Bundschuhe, alles das ließ im Geiste die tirolische Bauernschaft wieder erstehen, wie sie vor Jahrhunderten mit Sense und Streitkolben verzweifelte Freiheitsschlachten schlug. Dazwischen hinein mischten sich dann wieder wahre Speckbacherfiguren mit grauem Lodenrock und schwarzem Spitzhut, auf welchem der Spielhahnstoß trotzige Rauflust bekuubet, zwei bildhübsche Ampezzanerinnen in Sommer- und Wintertracht mit schwarzen Cylinderhüten wurden viel bewundert, ebenso ein Mädchen aus Val Tesino, Frauen aus Alt-Innsbruck, aus Sterzing, aus dem Lechthal. Ganz besondere Anerkennung fanden die strammen Bozener, durchweg junge blühende Männer, welche in der kleidsamen Tracht der uralten Rittener Freibauerngemeinde auftraten.

Als die Anthropologen, von ihrem Ausfluge nach Schloß Ambras zurückkehrend, in der Festhalle erschienen, zeigte auch bald der Meraner Fahnenschwinger seine Künste und die Schuhplattl-Tänzerpaare erfreuten die Kopf an Kopf gedrängt stehenden Zuschauer durch die teils wildverwegenen, teils anmutig graziösen Drehungen und Wendungen und durch die kühnen Turnerstücke, welche die Männer unermüdlich in den Rundtanz einzuflechten verstanden.

Gewandte Burschen erkletterten den Maibaum, schöne Frauen und Mädchen boten Blumen und Glückstopflose zum Kaufe an, Sänger, Jodler, Zitherspieler aus dem tirolischen Unterland, die Stadtkapelle und verschiedene Dorfmusikgesellschaften ließeu in Gesang und Spiel keine Pause eintreten, bis endlich der Brautzug zur Bauernhochzeit zusammengestellt wurde.

Der Hochzeitlader mit blumenumwundenem Stabe, die Ehrenjünglinge oder „Huibuaben“ mit dem Johannissegen-Wein und die lustige Bauermusik bildeten die Spitze des Zuges, der sich mühsam zwischen der wogeden drängenden Menge hindurchwand. Das Brautpaar aus dem Grödnerthal trug reichen Schmuck, auch der schwersilberne Brautgürtel mit all seinen Anhängseln war in üblicher Weise zur Stelle. Nach den Kranzeljungfern folgten die Träger und Trägerinnen der Volkstrachten aus den verschiedenen Thälern und Berggebieten als Gäste des Hochzeitspaares, und da war nun dem Forscher reiche Gelegenheit geboten, an den Kostümen interessante Studien über den Volkscharakter zu machen. Ernft, beinahe düster wie ihre der bunten Farben entbehrende Tracht zeigten sich Oberländer, Alpacher, Buchensteiner, Passeirer und die Leute von Windisch-Matrei, aufgeräumt und zum Hüpfen und Jauchzen geneigt dagegen die immerfort lustigen Unterländer, die Wippthaler, Ampezzaner etc.

Den Abschluß des Ganzen bildete in klappernden Holzschuhen und einem Hemd aus sackgrobem Rupfen der Dorfgeißhirt, der seinem Bockshorn steinerweichende Töne entlockte. Nach dem Umzuge hielt der Hochzeitlader vor dem Dorfwirtshause seine halb ernste, halb launige Ansprache, worauf die Brautmutter der jugendschönen Braut den Kranz abnahm und ihr die Weiberhaube auf das Haar drückte, eine rührende Scene, deren Eindruck aber bald wieder im allgemeinen Hochzeitstanz, in Jauchzen und Jodeln und Fahnenschwingen untergiug.

Unterdessen waltete das Preisgericht über die Volkstrachten seines Amtes – eine schwere Aufgabe, da mit wenigen Ausnahmen alle vertretenen Nationaltrachten, beziehungsweise deren Träger und Trägerinnen, Preise verdient hätten. Weil dies aber nicht anging, so mußte man sich auf die älteren und selteneren Kostüme beschränken, wobei auch auf diejenigen Thäler und Orte besonbers Rücksicht genommen wurde, von denen eine weitere kräftige Beihilfe zur Erhaltung und Wiedereinführung der alten Volkstracht mit Grund zu erhoffen ist.

Daß das Innsbrucker Fest in dieser Richtung einen kräftigen Nachhall finden möge, das ist der Wunsch, von dem seine Veranstalter, die Stadtverwaltung Innsbrucks im Verein mit dem „Komitee zur Erhaltung der Volkstrachten in Tirol“, sich leiten ließen. Man giebt sich der Hoffnung hin, daß unter dem Eindruck des Geschauten sich – ähnlich wie schon in Passeier, in Bozen, Gossensaß,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_646.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)