Seite:Die Gartenlaube (1894) 651.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

liegen, mache ich keinerlei Versuch, Dich hier zu behalten, denn es würde keine Wohlthat sein für Deine Mutter, Dein trotziges Gesicht immer vor Augen zu haben. Jetzt aber mußt Du ihr folgen, Ihr beide habt Eure Sachen einzupacken und so Verschiedenes noch zu ordnen, auch“ – und sie wandte sich voll zu mir um „auch möchte ich Dir zu bedenken geben, daß Du Rücksichten zu nehmen hast auf Deine Mutter. Es giebt Lebenslagen, in denen man vor Schmerz und Herzeleid schreien möchte, Anneliese, und doch den Mund zum Lächeln zwingen muß, wo man um keinen Preis der Welt, den Menschen, und wären es die Nächsten, das zuckende Herz verraten darf – beiß also die Zähne zusammen, Anneliese, und lächle, wenn sie Dir Glück wünschen zu Deinem Stiefvater – um Deiner Mutter willen lächle, wenn’s auch schwer ist!“

Sie hatte mich an sich gezogen und streichelte mich, dann gab sie mir einen scherzhaften Schlag auf die Wange, räusperte sich, als habe sie etwas Unangenehmes mühsam hinuntergeschluckt, und sagte, wieder in ihren Ton gutmütiger Polterei zurückfallend: „Na, und schließlich ist es nicht zum Verzagen, dummes Gör! Die englischen Prinzessinnen haben auch unter ihrem Stande geheiratet und blieben doch, was sie waren; also brav, meine liebe Anneliese, brav sein!“

„Du denkst, ich bin unglücklich, weil er Wollmeyer heißt?“ fragte ich achselzuckend, „das wäre mir zuletzt eingefallen. Wahrhaftig, er könnte heißen wie Du, dieser Herr Stadtrat, könnte die neunzackige Krone führen wie Du, er wäre mir genau so verhaßt wie mit seinem bürgerlichen Namen. Aber habe keine Furcht, Tante, ich werde Mama nicht bloßstellen, verlaß Dich darauf, ich beiße die Zähne zusammen. Leb’ wohl, habe Dank!“


Ich ging und bereits einige Stunden später hatte ich eingesehen, daß ich meine Mutter nicht verlassen durfte. Schon als ich den Hof betrat, merkte ich an dem ungewöhnlichen Treiben, daß Mama die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Verlobung erteilt hatte, daß das große Ereignis den Hausleuten bekannt geworden war, und auch, daß Herr Wollmeyer die Verlobung auf die feinste und meiner armen Mutter sicher am wenigsten genehme Art in Scene zu setzen gedachte: keine gedruckten Anzeigen, sondern große Einladung, Knalleffekt, Kanonenschlag!

Die Hauspforte stand weit geöffnet und der Gärtner stürzte mit einem Arm voll grünen Gezweigs herein; im Flur schossen die Mägde wie Schwalben vor einem Gewitter durcheinander, die eine mit Flaschenkorb und großem Schlüsselbund in den Keller, die andere stand auf einer Leiter am Wandschrank und reichte Porzellan herunter; der Kutscher kam aus der Thür des Speisesaals, und die Stimme des Hausherrn rief ihm nach: „Um acht Uhr, Friedrich, zu einem ganz einfachen Abendessen – und mach’ Deine Sache gut!“ Friedrich nickte verschmitzt lächelnd dem Mädchen zu und ging.

Das war so die richtige Art des Herrn Stadtrats, er lud die Menschen ein, um sie zu überraschen mit seiner Verlobung. Geradezu brutal! dachte ich empört. Die Base Himmel kam mir auf der Treppe entgegen mit Tischwäsche; zum erstemal sah ich dieses sonst so unbewegliche Gesicht verändert, eine große mühsam verhaltene Aufregung zuckte darin. Als sie mich erblickte, übergoß eine jähe Röte ihre Züge. „Anneliese!“ murmelte sie.

Wir sahen uns schweigend in die Augen, und wir verstanden uns. „Wer hätt’s gedacht,“ sagte sie leise, und eilig schritt sie vorüber, denn die befehlshaberische Stimme meines zukünftigen Stiefvaters scholl durch das Haus: „Die andere Marke Sekt! Den echten – Kreuzdonnerwetter, ich werde doch heute nicht mit deutschem Schaumwein anstoßen sollen?“

Das gescholtene Mädchen flog in den Keller zurück, und ich ging nach oben. Da stand ich erst eine ganze Weile im Vorzimmer und wußte nicht, wie ich mich Mama gegenüber verhalten sollte. Endlich beschloß ich, die ganze Sache zu übersehen und die Gleichgültige zu spielen. Absichtlich betrat ich zuerst das Schlafzimmer, um meine Sachen abzulegen und mein Haar etwas zu ordnen, hauptsächlich aber, um einer Begegnung so lange als möglich auszuweichen. Da lag Mama auf ihrem Bette, die Hände an die Schläfen gepreßt, mit bläulichen Lippen und eingesunkenen Augen.

„Mama! Ach Mama!“ rief ich; und im nächsten Augenblick lag ich neben ihr auf den Knien, und mein Gesicht an das ihrige schmiegend, begann ich aufs neue zu schluchzen. Da hob sie matt die Hand und streichelte meine nassen Wangen.

„Mein Kind! Mein einziges Glück!“

„O Mama, Mama, was hast Du gethan!“ rief ich, „wir waren so glücklich zusammen!“

Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Hol’ mir die Tropfen, und dann – Anneliese, wenn er kommt, ich kann ihn heute früh nicht empfangen – ich – mein Kopf – – heute abend, wir werden pünktlich drunten sein, nicht wahr, Anneliese?“

In diesem Augenblick klopfte es an die Thür des Salons. Sie winkte ungeduldig, ich solle gehen, und ich ging, ihn zu empfangen.

Sein strahlendes süßes Lächeln wich bei meinem Anblick sofort und machte einer würdevollen wohlwollenden Miene Platz. „Mein liebes Kind, meine gute Anneliese,“ begann er, mir beide Hände entgegenstreckend, „es wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, wie teuer Sie mir und meiner lieben verstorbenen Frau immer waren; seien Sie versichert, daß ich glücklich bin, Ihnen fortan väterlich zur Seite stehen zu dürfen, seien Sie überzeugt, daß Ihr leiblicher Vater Sie nicht treuer und – und aufrichtiger –“

Er stotterte und brach ab, seine leer gebliebenen Hände legten sich auf den Rücken, er wurde sehr rot und sehr verwirrt. Was er weiter that, konnte ich nicht sehen, denn ich hatte ihm den Rücken gewandt.

„Mama ist nicht wohl, bedauert, Sie nicht empfangen zu können, Herr Stadtrat. Heute abend will sie, glaube ich, hinunterkommen.“ Damit schritt ich, echt kindisch, zum Bilde Papas hinüber, stellte mich davor und sah es an; ich wollte auf diese Weise zeigen, daß mir des Herrn Wollmeyer väterliche Gefühle und Absichten im höchsten Grade gleichgültig, ja noch mehr, unangenehm seien. Ich hörte, wie er rasch Atem holte. Er war offenbar tief beleidigt.

„Es ist nicht freundlich von Ihnen, Anneliese, mich so zu empfangen und eines Tages wird es Ihnen leid thun.“

Ich wandte den Kopf über die Schalter. „Nie, mein Herr!“

„Sie sind ein kleiner Trotzkopf,“ antwortete er mit unverkennbarer Anstrengung, so zu scheinen, als nehme er mich nicht recht ernst. „Nun, ich lasse Hel – – Ihrer Mama gute Besserung wünschen und sie bitten, heute abend schön auszusehen, sehr schön, Anneliese!“ Und er lachte sein nichtssagendes Lachen. „S’ wird eine kolossale Ueberraschung, Anneliese, ganz kolossal! Auf Wiedersehen!“

Ach, dieser Abend! Natürlich war das Gerücht dieser Angelegenheit schon ins Publikum gedrungen, keiner war verhindert zu kommen. Mama hatte sich aufgerafft und sah wunderschön aus, wie sie jetzt vor dem Spiegel in ihrer Schlafstube stand. Sie trug, wie immer, Schwarz, aber sie hatte eine purpurrote Rose im braunen Haar und einen Strauß der nämlichen Blumen im Gürtel. Ja, sie sah wunderschön aus und doch zum Verzagen elend und blaß. Schon eine Viertelstunde weilte sie da und starrte in das Glas, indes ich sie vom Wohnzimmer aus beobachtete, das schon in tiefer Dämmerung lag, während um Mamas Gestalt das rote Licht der untergehenden Sonne spielte. Von drunten scholl beständig das schrille Kling-Kling der Hausglocke, die Gäste des Herrn Stadtrats kamen heute ausnahmslos pünktlich.

Und endlich mußten auch wir gehen. Die Komtesse, die die Stelle der dame d’honneur übernommen hatte, kam herauf, uns abzuholen. Sie zog mich an das nächste Fester und besah mich vom Kopf bis zu Fuß.

„Na, das lob’ ich mir, daß Du Toilette gemacht hast, Kücken! Hättest aber immerhin noch eine rote Schleife auf das weiße Kleid stecken können. Und das Gesicht?“ Sie hob warnend den Finger. „Uebrigens hätte der gute Mann sich den Zauber heute schenken können, Lene, Du mußtest ihn zurückhalten.“

„Ich?“ fragte Mama mit sonderbarer Betonung und nahm den Arm der Komtesse, da sie schwankte wie eine, die nach langer Krankheit das Gehen wieder lernen muß. So schritten sie die Treppe hinunter. Ich folgte ihnen mit einem Gefühl, als ginge es zu Mamas Begräbnis.

In Hannchens guter Stube faud der Empfang statt. Sie waren alle da, unsere Bekannten, und über der ganzen Versammlung lag der Bann gespannter Erwartung. Sie gaben sich nicht harmlos wie sonst, vielleicht störte auch die Unruhe des Herrn Stadtrats, der wie ein betriebsamer Gastwirt Verbeugung über Verbeugung machte, seine Gäste zum Thee nötigte, die Herren animierte, einen kleinen „Schuß“ Rum hineinzuthun, „echten Jamaika, direkt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_651.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2022)