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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Heirat die mächtige SUitze, die sie seither an dem Hause Rohan gehabt hatten.

Eine besondere Gegnerschaft aber erwuchs ihr in den Freunden ihrer früheren Tage, den Mitwissern ihrer Heimlichkeiten, den Vollstreckern ihrer stillen Wünsche. Herr von Ruvigny forderte Herrn von Chabot und wurde von ihm verwundet. Obwohl Ruvigny und seine Genossen sich durch Bekanntgeben der Entführungsgeschichte selbst bloßstellten und gefährdeten, schwiegen sie, über den Undank ihrer Dame empärt, im Kreise ihrer Vertrauten doch nicht länger, und die Hochzeitsfeierlichkeiten waren kaum zu Ende, als sich alle Welt von dem in Leiden weilenden und durch die eigene Schwester um sein Erbrecht betrogenen jungen Rohan erzählte. Auch der Herzogin-Mutter blieb diese Kunde nicht mehr verborgen.

Beide Herzoginnen von Rohan bemühten sich nun, den jungen Tankred in ihre Hände zu bekommen. Wäre er in die Gewalt der jungen Herzogin gefallen, so würde er vermutlich ins Ausland geschafft, vielleicht sogar ganz aus dem Wege geräumt worden sein. Vermöge der Verwendung besserer Rechtsmittel erlangte jedoch die Herzogin-Mutter die Auslieferung Tankreds, und noch im Jahre 1645 sah sie nach neunjähriger Trennung ihren nun fünfzehnjährigen Sohn wieder. Seine französische Muttersprache hatte er, da er seit Jahren nur Holländisch sprach, fast vergessen, sein Benehmen verriet seine bäuerische Erziehung, und in der ersten Zeit zog er die ihm gewohnte grobe Kost der feinen herzoglichen Küche vor. Aber er fand sich bald in der ihm fremden Umgebung zurecht und lernte in einigen Jahren, es seinen gleichalterigen Standesgenossen in ritterlichen Uebungen und höfischer Sitte gleichzuthun. Keinen Augenblick zweifelte die Herzogin, daß er wirklich ihr Sohn sei; er hatte nicht nur Aehnlichkeit mit dem Herzog von Rohan, sondern es wiederholte sich auch bei ihm ein Naturspiel, das jenen gekennzeichnet hatte. eine Locke seines dunklen Haares war blond.

Wesentlich anders stellte sich die Frage, ob sich gerichtlich werde erweisen lassen, daß der Ehe des herzoglichen Paares überhaupt ein Sohn entsprossen und daß der junge Mensch, der jetzt plötzlich aus Holland herbeigeholt worden war, mit dem jungen Rohan eine und dieselbe Person sei. Die Rechtsbeistände der Herzogin-Mutter verschafften sich von Personen, welche um die Geburt Tankred Le Bons, seine späteren Schicksale, seine Entführung und seinen Aufenthalt in der Fremde wußten, eine Reihe protokollarischer Aussagen, mit deren Hilfe jener Beweis geführt werben sollte; aber in dieser Reihe boten einige vorläufig noch nicht ausgefüllte Lücken Raum zu rechtlichen Zweifeln und Angriffen.

Zur Sicherung der Erbrechte Tankreds wandte sich die Herzogin-Mutter an den für die Rechtsprechung über die Hugenotten besonders gebildeten, halb aus Katholiken, halb aus Protestanten zusammengesetzten Gerichtssenat und erlangte von ihm, daß ein Familienrat einen anerkannten Vormund für Tankred einsetze. Die junge Herzogin suchte diesen ersten Schritt zur rechtlichen Anerkennung Tankreds abzuwehren; sie ließ gegen den Gerichtsbeschluß Einsprache erheben und forderte, als Prozeßgegnerin ihrer Mutter zugelassen zu werden. Zugleich reichten 80 Herren des vornehmsten katholischen Adels, Herr von Chabot an der Spitze, bei der Königin die Erklärung ein, daß sie die Abstammung Tankreds von dem herzoglichen Ehepaare für unerwiesen hielten. In diesen Kreisen wurde die Auffassung vertreten, daß die Herzogin-Mutter diesen Tankred, der ein Mensch von unbekanntem und gleichgültigem Herkommen sei, nur deshalb aus dem Dunkel auftauchen lasse und für ihren Sohn ausgebe, um sich dafür zu rächen, daß ihre Tochter sich gegen den mütterlichen Rat und Wunsch mit Herrn von Chabot verheiratet habe; ein unrechter Erbe werde hervorgezogen und als der rechte bezeichnet, damit es möglich werde, der rechten Erbin die Güter der Rohans wieder zu entreißen.

Die Herzogin-Mutter wandte sich nun ebenfalls an die Regentin und überreichte die Erklärung von 42 meist protestantischen und mit den Familien Rohan und Bethune verwandten Herren, welche die Ansprüche Tankreds für begründet hielten. Diese Namen mußten um so mehr ins Gewicht fallen, als manche dieser Herren, namentlich die Häupter der Rohanschen Seitenlinien, eher ein Interesse daran hatten, Tankreds Erbrecht beseitigt als anerkannt zu sehen; denn ihnen blieben, wenn es beseitigt wurde, diejenigen Rohanschen Güter, die nur für männliche Erben bestimmt waren und deren Besitznahme zu erstreiten Herr von Chabot, dem nur das Erbrecht der Tochter zur Seite stand, sich seit Jahren vergeblich bemühte. Eine königliche Verfügung entschied, daß ein erweiterter, durch Katholiken verstärkter Gerichtssenat über Tankreds Ansprüche befinden sollte. Der Herzogin-Mutter wurde darauf von ihren Freunden geraten, bis zur Volljährigkeit Tankreds keine weiteren Schritte zu thun, da die Gegenpartei vom königlichen Hofe unterstützt werde. Das gerichtliche Verbot, den angeblichen Sohn des Herzogs von Rohan als ihren Sohn zu bezeichnen, ließ sie unbeachtet. Mit der Volljährigkeit Tankreds sollte der Prozeß von neuem beginnen.

Für unser heutiges Rechtsbewußtsein sind diese Vorgänge, diese Eingriffe adligen und königlichen Einflusses in noch unentschiedene Rechtsfragen höchst befremdlich, ja peinlich. Heutzutage hätten sich nicht nur die Tochter und ihre Helfershelfer wegen Entführung, es hätte sich auch die Mutter wegen Fälschung des Personenstandes zu verantworten gehabt, und eine Klärung und Feststellung der Rechte eines Minderjährigen hätte weder von Gunst und Haß der Mächtigen im Lande abgehangen, noch würde sie in eine ungewisse Zukunft verschoben worden sein.

Indessen erhoben sich die von Richelieu erfolgreich niedergehaltenen Gegner des schrankenlosen Königtums in Frankreich unter Mazarin noch einmal. Im Jahre 1648 begann der unter dem Namen der „Fronde“ bekannte Bürgerkrieg, der bis 1653 dauerte. Das Parlament von Paris, das nach Richelieus Willen nur noch eine Art Registratur für königliche Befehle sein sollte, war die Seele des Widerstandes. Hatte Herr von Chabot eine königliche Verfügung zu erlangen gewußt, die den seither von seiner Gemahlin allein geführten Rohanschen Herzogstitel auch auf ihn übertrug, so weigerte sich das Parlament, diese Verfügung anzuerkennen. Aehnliche Vorgänge in großer Zahl bezeugten und steigerten den wechselseitigen Groll zwischen den Parteien im Staate. Der Hof mußte aus Paris flüchten, und die königlichen Truppen wurden von einem aus Anhängern und Verbündeten des Parlaments gebildeten Heere bekämpft.

Die alte Herzogin von Rohan ließ ihren Tankred ebenfalls in das Parlamentsheer eintreten; er nahm als Freiwilliger Dienst in einem Kavallerieregiment. Sie meinte, daß die Familientradition ihrem Sohn gebiete, gegen Mazarin zu kämpfen, wie ihr Gemahl gegen Richelieu gekämpft hatte, und sie hoffte, so das Parlament für ihren Sohn zu gewinnen, da ja der königliche Hof für ihre Gegner gewonnen war.

Allein es kam anders. Am 31. Januar 1649 fiel der Truppenteil, dem Tankred angehörte, bei Vincennes in einen feindlichen Hinterhalt. Tankred wehrte sich tapfer und ergab sich auch nicht, als er bereits verwundet war. Von neuem durch einen aus nächster Nähe abgegebenen Schuß getroffen, sank er bewußtlos vom Pferde. Die Feinde schafften ihn nach Vincennes. Als seine Verwundung und Gefangennahme in Paris bekannt wurde, sandte man einen Unterhändler, um ihn loszukaufen. Der feindliche Befehlshaber von Vincennes, ein Herr von Drouet, verweigerte nun, da ihm der Name Tankreds von Rohan genannt wurde, die Freigabe und wollte erst an den Hof berichten. Er ließ jedoch für die Pflege des Verwundeten zwei Wärterinnen kommen. Aber schon am Morgen des 1. Februar starb Tankred, wenig über achtzehn Jahre alt. Die Leiche wurde erst in der protestantischen Kirche zu Charenton beigesetzt. Dem Wunsche der Mutter, ihn in Genf neben seinem Vater zu bestatten, trat ein von dem immer noch im Knabenalter stehenden Könige Ludwig XIV. unterzeichneter Brief an den Rat der Stadt Genf entgegen. Aber im Jahre 1654 erlangte die Herzogin doch noch die Erfüllung ihres Wunsches, und als sie 1660 starb, ließ sie sich ebenfalls in Genf beerdigen, und zwar zwischen dem Herzog und Tankred. Die Inschrift, welche sie diesem auf den Grabstein hatte setzen lassen und in welcher sie ihn als echten Sohn und Erben des Herzogs von Rohan bezeichnete, mußte jedoch auf Anstiften der jungen Herzogin, die wieder den König zu gewinnen gewußt hatte, entfernt werden.

Der Tod Tankreds schnitt weitere Untersuchungen über die Frage ab, ob er wirklich der war, für den die Herzogin ihn ausgab, und gerichtlich erwiesen ist seine Abstammung nicht. Die gleichzeitig lebenden Verfasser von Geschichtswerken und Denkwürdigkeiten aber erklären ihn fast einstimmig für den echten Herzog von Rohan.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_679.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2023)