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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

zusammenhaltend. Sollte ich Mama alles sagen? Aber hatte sie denn noch einen Willen? Ich bezweifelte es. Alles, was ich von ihrem Leben seit der Verheiratung mit Wollmeyer wußte, war eine völlige Unterordnung unter seinen Willen, ein rückhaltloses Anerkennen seiner Meinung. Wenn ich nur gewußt hätte, wie Wollmeyer über diese Werbung dachte! War er auf Seite des Neffen, dann standen mir noch harte Qualen bevor, unausgesetzter Kampf. Aber kämpfen werde ich, Papa! sagte ich und nickte dem Bilde zu, das im trüben Schein einer einzigen Kerze zu mir herniederblickte. Lieber tot als die Frau von solch albernem nichtssagenden Menschen sein, von einem, der, wie die Base behauptete, dem Herrgott seine Tage stiehlt, dessen einziges Lebensereignis von Bedeutung war, daß er seines Vaters Geld geerbt hatte. Nicht einmal in den Krieg war er mitgegangen, hübsch daheim hatte er gesessen hinterm Ofen während Papa und alle die vielen braven Männer da draußen sich die Kugeln um die Köpfe sausen ließen. Und der wollte Anneliese Sternberg heiraten! So einer, der selig sein wollte, wenn er nur „ein bißchen“ wiedergeliebt ward! Auch ein Standpunkt! Der wollte ein richtiger Mann sein! Ein richtiger Mann würde sagen „Lieben Sie mich, Anneliese, lieben Sie mich mit Ihrer ganzen Seele, mit jeder Faser Ihres Herzens oder – bleiben Sie mir gewogen! Für so ein bißchen danke ich! Ganz oder gar nicht, wie unser Wappenspruch heißt!“

Während dieses Selbstgesprächs hatte ich mein seidenes Festgewand abgestreift und ein dunkles Hauskleid angezogen; nach einem Blick auf die Uhr schickte ich mich an, Mama Guten Abend zu wünschen. Die mit dunkelrotem Smyrnastoff belegte Treppe in dem runden Turm mit den schiefen Fensterchen wand sich mehrfach, ich konnte also nicht sehen, daß vor mir Menschen waren, der Teppich dämpfte auch ihre Schritte völlig, ich hörte nur plötzlich die Stimme Olga Sellmanns. Sie sprach ganz unbekümmert und laut: „Der Plan ist ja recht hübsch, mein Ottochen, und gewiß auch recht praktisch, nur fängst Du die Sache gänzlich verkehrt an. Geh’ doch einfach zu Wollmeyer und halte an! Du spielst ja eine greulich unglückliche Rolle als Schmachtlappen!“

„Ach, der Onkel weiß ja alles,“ antwortete verdrießlich mein Anbeter. „Aber, siehst Du, Olga, die Frau Mama – sie hat erklärt, zu einer Heirat zwinge sie Anneliese nicht, ihr Herz solle wählen, na, und bis jetzt scheint es –“

„Ach, diese Frau, diese Null!“ sagte sie spöttisch, „Du mußt nur dem Wollmeyer Ernst zeigen.“

„Die Frau hat mehr Einfluß, als Du denkst, Olga; sie ist eine kluge taktvolle Frau.“

„Nun, in diesem Fall wird ja Dein altes Mittel auch helfen. Hol’ nur den Butzemann hervor – vor dem grault er sich ja so furchtbar! Nur nicht zaghaft! Als Schwiegersohn hast Du dann immer eine ganz andere Stellung! Denke, wenn Anneliese anderweitig heiratete – es wäre doch in mehr als einer Beziehung unangenehm, um nicht zu sagen schlimm.“

„Das leid’ ich nicht!“ rief er mit einem Ton, der mir das Herz auf einmal wie rasend pochen ließ, „dann – dann, Olga –“

„Pst! Schrei’ doch nicht so! Wenn das jemand hörte, das gäbe eine nette Skandalgeschichte. Na, mach’, was Du willst, mein Junge,“ setzte sie hinzu, „ich mische mich nicht drein; schmachte weiter oder – brauche Ernst!“

„Du könntest mir in betreff der Kleinen wohl ein wenig helfen, Olga,“ schmollte er.

„Nein!“ antwortete sie kurz. „Irgend so einen sentimentalen Backfisch gewöhnlichen Schlages, den hätt’ ich auf mich genommen; man giebt ihm ein paar französische Romane, erzählt ihm irgend etwas Großartiges, Romantisches von Dir, und die Liebe ist da! Aber der kleine schwarze Irrwisch, der guckt einem mit seinen großen dunklen Augen gleich bis auf den Grund der Seele; mir sind diese Augen ordentlich unheimlich. Außerdem – sie ist sehr skeptisch veranlagt und hat Logik, so jung sie ist, und dabei steht sie hoch auf dem Schild ihrer Ahnen, konservativ von der Fußspitze bis zu ihrem dunklen Wuschelkopf! Die fängst Du nicht mit der Aussicht auf stilvolle Equipagen, auf Ballrobeu und Badereisen, Du mußt das anders anfangen, Kleiner. Mir aber ist die Sache zu uninteressant und zu mühsam, ich sehne mich nach Berlin zurück. Doch nun komm, unser liebenswürdiger Wirt kann es sicher nicht erwarten, die Beschreibung der Hochzeit zu hören. Ich bin überzeugt, Deine Zigeunerin ist schon oben.“

Er antwortete nicht. Ich hörte das Rauschen von Frauenkleidern, dann ging die Thür und es war still.

Wie betäubt stand ich an der Biegung der Treppe, den Kopf an die Wand gelehnt, mit beiden Händen mich am Geländer haltend. Es war von mir die Rede gewesen und ich hatte gehorcht – etwas, das ich verabscheute gleich der Lüge. Und ich war doch nicht gegangen, meine Glieder hatten mir einfach den Gehorsam versagt, in meinem Kopf war in den paar Minuten kein Wille gewesen. Und nun wußte ich – nein – wußte ich doch nicht alles. Was sollte seine Drohung bedeuten? Womit wollte er mich zwingen, womit Wollmeyer? Was war da verborgen, das, an die Oeffentlichkeit gezogen, eine Skandalgeschichte werden mußte?

Wenn ich doch Mama sprechen könnte!

„Ach, da sind Sie ja, gnädiges Fräulein,“ sagte in diesem Augenblick das Stubenmädchen, das die Treppe herabgehuscht kam. „Sie möchten den Thee einschenken, läßt gnä’ Frau bitten.“

Ich fand sie alle im Salon. Ein Serviertischchen war hereingebracht mit Tassen und dem silbernen Kessel, unter dem die zartblaue Spiritusflamme brannte. Einige rot verschleierte Lampen gaben dem schönen Raum ein trauliches zum Plaudern geschaffenes Dämmerlicht. Mama saß in einem tiefen Sessel, ihr gegenüber im vollsten Erzählen Frau Sellmann, die ihre kostbare blaßgrüne Brokatrobe mit einem hellen Hauskleid vertauscht hatte. Mein Stiefvater stand, auf den Fußspitzen wippend, die Daumen in den Aermellöchern seiner Weste, den Klemmer auf der Nase, vor Otto Brankwitz, der ein ziemlich mürrisches Gesicht machte. „Wir müssen alle sterben,“ bemerkte er eben philosophisch; und das war das Ganze, was er über den jähen Tod des alten Herrn von Tollen redete. „War ein wunderlicher Heiliger, meine liebe Frau Olga,“ setzte er dann hinzu. „wie es so alte Soldaten werden, die auf den Rest ihrer Tage in knappem Futter stehen. Er biß um sich wie ein verdrießlicher alter Kettenhund, und wenn er nicht biß, so knurrte er.“

„Er war ein Ehrenmann durch und durch,“ sprach Mama warm. „Es liegt für mich etwas Erhebendes in solchem einfachen pflichttreuen Leben. Gehorsam, Genügsamkeit und Treue bis zum Tode! Ich bin fest überzeugt, wäre jetzt ein neuer Krieg ausgebrochen, der alte Mann hätte seinen Waffenrock über der eingesunkenen Brust zugeknöpft und hätte gesprochen: ,Hier bin ich, Majestät, was kann ich noch helfen mit meinen müden Gliedern?‘“

„Ja, Mama!“ rief ich, „und darum ist unser Vaterland so groß geworden, darum haben wir unsere Feinde schlagen können!“

Frau Sellmann lächelte. „Wie schade, daß Sie ein Mädchen sind!“

„Das hat Papa auch immer gesagt,“ antwortete ich.

„Sie wären gewiß Offizier geworden!“

„Ich weiß nicht, ob Berufsoffizier; im Blute steckt mir’s ja. Jedenfalls aber wäre ich irgend etwas geworden, und das mit Einsatz aller meiner Kräfte. Es muß schrecklich sein für einen Mann, ohne Beruf, ohne Beschäftigung dahin zu leben!“

„Sie gehen am Ende noch unter die Emancipierten?“

„Ich sehe nicht ein, warum ich als Mädchen zusehen muß, wie alles um mich her arbeitet, strebt, schafft –“

„Was möchten Sie denn werden?“ fragte die schöne Frau lächelnd und spielte mit der Schleife ihres Kleides.

„Irgend etwas, wobei man sich rühren muß, wobei einem die frische Luft um die Ohren weht; nur nicht in der Stube sitzen über Büchern, nur nicht als Lehrerin – –“

„Wie schade, daß wir kein Amazonenkorps haben!“ fiel Herr von Brankwitz ironisch ein, „das wäre so etwas: Uebungsmärsche, Felddienst, hin und wieder ein kleines Biwak – kurz, das Vaterland verteidigen mit Zunge und Schwert. Die Schneid’ wäre ja da.“

Herr Wollmeyer fand darin einen ausgezeichneten Witz, er lachte übermäßig laut. „Ich will Ihnen etwas sagen, mein Töchting,“ rief er und ließ seine Hand schwer auf meine Schulter fallen, „heiraten Sie einen Gutsbesitzer, da haben Sie frische Luft die Hülle und Fülle, können auf die Felder fahren, den Erntestand betrachten, können reiten, auf die Jagd gehen, und Tinte, Bücher und Gelehrsamkeit brauchen Ihnen nicht in die Quere zu kommen, wenn Sie nicht wollen!“

Ich antwortete nicht gleich, denn ich hatte sein Blinzeln zu Brankwitz hinüber gesehen. „Ich heirate nicht,“ antwortete ich kurz.

„Ja, das sagen sie alle!“ lachte er und rieb sich die Hände, „und wenn dann einer kommt, wenn überhaupt erst ’mal einer ein Wörtchen von Ring und Ehe spricht, dann sind sie alle dabei, alle, eine wie die andere. Was sagst Du dazu, Helene? Sieht sie aus wie ledigbleiben, wie Körbe geben? Ha! ha!“

„Aber wirklich, Bernhard,“ unterbrach ihn Mama, der meine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_712.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)