Seite:Die Gartenlaube (1894) 722.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Bis zu der Frist, die Afra ihm festgesetzt hatte, trieb sich Geticus, dessen Obliegenheiten im Hause erledigt waren, ruhelos unter den Säulengängen des Peristyliums und des Xystus umher. Als er für einen Augenblick sich auf die polsterbelegte Bank gestreckt hatte, wo ehvorgestern der Obersklave das „Heilmittel“ des Ovid in Empfang genommen, kam der Leibarzt vorüber und grüßte ihn.

Geticus gaffte ihm breit ins Gesicht, ohne den Gruß zu erwidern.

„Ist Dir nicht wohl?“ frug Ninus, da ihn der glanzlose Blick des Jünglings befremdete.

Die Lippen geschlossen, wandte sich Geticus ab, während der Leibarzt kopfschüttelnd seinen Weg fortsetzte. . Geticus hörte noch, wie der Verhaßte beim Durchgang zum Atrium ein paar freundliche Worte mit der Sklavin Coronis wechselte. Der Ton, in dem Coronis dem Leibarzt antwortete, klang so lebendig und warm, daß Geticus wütend emporfuhr. Wie mochte erst Afra zu diesem verwünschten Gaukler sprechen, wenn schon dies Mädchen da, dem er doch gleichgültig war, so unwiderstehlich von der einschmeichelnden Art seines Wesens bethört wurde! Der niederträchtige Komödiant, der sich mit seiner geschraubten Bedächtigkeit und dem pfiffigen Lächeln überall wichtig machte! Wie jetzt Coronis ihm nachschaute! Dankbar und voll abgeschmackter Bewunderung, als schreite ein gnadenspendender Gott über die Fliesen! Beim Herkules, man mußte die Blütezeit hinter sich haben und auf die steif pathetische Haltung des opfernden Agamemnon geschult sein, wenn man den Weibern von heute noch gefallen wollte!

„Nun Coronis, was treibst Du hier?“ fragte er ingrimmig, da sich die junge Sklavin noch immer nicht rührte.

„Geticus! Du erschreckst mich zu Tode!“ sagte Coronis, aus ihrer Verträumtheit erwachend. „Was ich hier treibe? Du siehst, ich stand just im Begriff, den Blumen da Wasser zu geben.“

Ein leichtes Rot stieg ihr jetzt warm ins Gesicht. Geticus stutzte. Hatte er sich am Ende getäuscht, als er Coronis für gleichgültig hielt? Diese fliegende Glut – kam sie nicht einem Geständnis gleich? Der verlogene Halbbarbar machte also Eroberungen, wo er nur hintrat! Er winkte – und alles, was lange Haare trug, lag ihm girrend zu Füßen, während er, Geticus, nicht einmal das erreichte, was ihm doch einzig auf dieser Welt noch von Wert erschien! Wer konnte denn wissen, ob der Asiate nicht heimlich auch mit Coronis getändelt hatte und sich nur deshalb für eine Verbindung mit Afra entschied, weil Afra vor allen übrigen Sklavinnen bei Lucius Menenius in Gunst stand?

Kaum gedacht, schien ihm diese Erklärung auch zweifellos. Das Ganze war elende Berechnung! Nun, um so rückhaltsloser mußte er durchführen, was er sich vorgesetzt!

Er tastete mit der Hand nach der Stelle der Tunika, wo er die „acta diurna“ verwahrt hielt. Was Afra für Augen machen, wie sie sich bäumen und winden und wehren würde! Aber was half’s ihr! Diesem entscheidenden Schlag konnte sie nicht widerstehen; sie mußte sich fügen wie einer Bestimmung des Schicksals. Und wenn sie trotz alledem Nein sagte? Wohl! Dann mochte alles toll über den Haufen stürzen und zwar sofort!

Jetzt erst kam ihm zu Sinne, daß er für diese Möglichkeit noch nicht gerüstet war. Einen Augenblick überlegte er. Hiernach rief er der Kammersklavin Coronis ein spaßhaftes Wort zu, als gelte es ihm, die Harmlosigkeit seiner Gemütsverfassung recht glaubhaft zu machen. Während Coronis, die jetzt eifrig am Werk war, die Blumen und Blattpflanzen des Peristyls mit frischem Quellwasser zu begießen, ihm lachend antwortete, schritt er ins große Eßzimmer und kehrte nach zwei Minuten zurück, um dann abermals mit Coronis einige Scherzreden zu wechseln. Seine Stimme jedoch hatte sich eigentümlich verändert. Sie klang so unsicher und gedrückt, daß Coronis, in ihrer Beschäftigung innehaltend, die Frage that: „Wie bist Du nur, Geticus! Hast Du ’was auf dem Herzen?“

Geticus lachte. „Wie käm’ ich dazu? Nun vollends Dir gegenüber! Oder erwartest Du gar eine Liebeserklärung?“

„Da müßt’ ich verrückt sein!“

„Weshalb hältft Du das für so unmöglich?“

„Pah! Eine Liebeserklärung von Dir! Da doch alle Welt weiß, daß Du für Afra glühst.“

„So? Das weiß alle Welt?“ stammelte Geticus. „Nenne mir doch die verlogenen Schufte, die dergleichen in Umlauf setzen!“

„Niemand setzt das in Umlauf, aber man hat seine Augen . . . Ja, beim heiligen Feuer, weshalb wirst Du so blaß, Geticus? Mich dünkt, es ist doch just keine Schande, die Afra bezaubernd zu finden. Wir alle schwärmen für sie. Ich glaube, sogar Ninus, der Leibarzt, giebt ihr den Vorzug.“

Geticus wandte sich ab; er schäumte. Jetzt kam zu allem, was ihn zerfraß, noch die wühtende Eitelkeit und der Zorn über sich selbst, daß er, der Verschmähte, seine Empfindungen so schlecht zu verbergen gewußt, während doch Ninus, der Glückliche, sich so meisterhaft in der Gewalt hatte.

„Weibergewäsch!“ knirschte er vor sich hin. Dann verließ er das Peristyl. Die anderthalb Stunden waren jetzt nahezu um. Er schritt nach dem Park.

Dort angelangt, ging er in keuchender Unrast hinter dem Rosengehege auf und ab, immer von Zeit zu Zeit nach der Pergamentrolle und dann weiter links nach einem andern, ebenso vorsichtig eingebauschten Gegenstand fühlend.

Afra kam. Sie hatte sich umgekleidet. Eine lichtblaue Tunika schmiegte sich fest um die schlanke Gestalt. Lichtblau waren die Bänder im Haar, das überdies noch mit einer tiefdunkeln Mohnblume geschmückt war, und lichtblau die schöngezackten Sandalenschnüre.

„Ich habe nur wenig Zeit,“ sagte sie schon von weitem. „Lucius Menenius schickt die Lysandra und mich zur jüngeren Paulina, um eine Botschaft seiner Gemahlin auszurichten. Also beeile Dich!“

„Ein paar Minuten wirst Du wohl opfern können. Ich sagte Dir schon, wie viel von dem, was ich Dir mitteilen muß, abhängt. Dein Leben und meines – und mehr noch, wie Du sofort begreifen wirst. Afra, aus Deiner Heirat mit Ninus kann unter keiner Bedingung etwas werden. Trittst Du nicht freiwillig sofort zurück – – Aber gestatte mir, daß ich zunächst Dir ein fesselndes Bruchstück der ‚acta diurna‘ vom siebenten Mai vorlese!“

„Und darum bestellst Du mich hier in den Park?“

„Just darum. Du wirst mir einräumen, daß die Neuigkeit, die Du hören sollst – oder vielleicht ist es für Dich keine Neuigkeit mehr – eng im Zusammenhang steht mit der Unmöglichkeit Eurer Hochzeitspläne.“

„Du sprichst wie ein Prätor, so kühl und so siegesgewiß. Ich bitte Dich, laß doch die Possen und sag’ mir kurz und bestimmt . . .“

„Hör’ zu!“

Er nahm die Rolle aus seiner Tunika und las mit gedämpfter Stimme:

„Gestern wurden die sieben Sklaven des Ritters Tullius Corvinus, der, wie man weiß, auf seinem Landhaus zu Alsium von einem der Sieben meuchlings ermordet wurde, zum Anger der Frevler geführt und dort durch den Beilhieb des Henkers dem Tod überantwortet. Die Unthat des Mörders fand somit ihre gesetzliche Sühne. Seit Anfang des laufenden Jahres ist dies nunmehr schon der zweite Fall, daß unser altes Gesetz über die Mitschuld der Nichtthäter in Anwendung kommt.“

Afra rückte mit ihren rosigen Fingern das überquellende Haar zurecht.

„Was soll’s damit?“ fragte sie gleichmütig, als Geticus geendet hatte.

„Das rechne Dir aus, mein Kind!“

„Ich bin auf solche Exempel nicht eingeschult.“

„So wia ich Dir’s klar machen. Beim Rächer der Meineide hab’ ich geschworen, dem götterverhaßten Buben, der Dich gekirrt hat, nicht an die Gurgel zu springen. Auf diese Art also kann ich das zärtliche Bündnis, das ihr Euch vorgesetzt, nicht vereiteln. Dich selbst zu erdolchen – wie Du’s verdient hättest – dazu fehlt mir der Mut. Wenn Du mich ansähest mit Deinen verschwimmenden Rehaugen, dann würd’ ich den Stahl wider mein eigenes Herz kehren – und dann bliebet ja Ihr beide übrig und könntet Euch ungestört Eurer Liebe freuen, während ich moderte. Aber es giebt hier ein Drittes, und dieses Dritte – das schwör’ ich Dir abermals bei dem allrächenden Jupiter – dieses Dritte führ’ ich Dir aus, falls Du nicht jetzt, in dieser Minute noch, Dein verruchtes Verhältnis zu Ninus lösest und mir gelobst, mein zu sein mit Leib und Seele bis an mein Ende!“

„Geticus!“ schrie Afra entsetzt, denn sie hatte den Dolch gewahrt, dessen vergoldeten Knauf er jetzt mit der Hand berührte.

„Du hast nichts zu besorgen!“ raunte er, tonlos vor Leidenschaft. „Ich sagte Dir schon: Dich zu töten, fehlt mir der Mut! Tritt nur heran! Beim Jupiter (Du nötigst mir Eid um Eid auf) beim Jupiter sei Dir beteuert: wie Dein Entschluß auch ausfalle,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_722.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)