Seite:Die Gartenlaube (1894) 734.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

sein hohes Alter zehrte, den er mit zähem Lerneifer durch das Studium der ihm zugänglichen Litteratur unermüdlich zu erweitern suchte und in seinen Dichtungen reichlich verwertet hat.

Gleich anderen Handwerkern machte Sachs nach der Rückkehr von der Wanderschaft sein Meisterstück und nahm sich 1519 in Kunigund Creutzerin ein „Gemahel“. Aber noch eine andere Lebensgefährtin begleitete ihn, nun er als junger Schuhmachermeister sein eigen Heim bezog, die Muse. Sie breitete über den aufblühenden Hausstand Glanz und Segen. Schon bevor er in die Fremde gegangen war, hatte er sich von Lienhart Nunnenbeck in die löbliche Kunst des Meistergesangs einführen lassen, der er auch auf seiner Wanderschaft „mit hertzenlicher Lieb und Gunst“ zugethan blieb. In München half er 1514 die Singschule verwalten und hielt in den Städten, in die er kam – das erste Mal zu Frankfurt a. M. – selbst „Schule“. Aber in der Vaterstadt erst wurde seine Zugehörigkeit zur Zunft der Meistersinger für ihn von einer Bedeutung, die sehr bald weit über deren ursprüngliches Wesen hinausragen sollte.

Thatsächlich war ja die schul- und zunftmäßige Pflege des Meistergesangs in den deutschen Städten des 15. und 16. Jahrhunderts eine Stufe des Verfalls der Poesie. Aeußerlichkeiten, die dem kunstreichen „Singen und Sagen“ der Minnesänger einst angehaftet hatten, wurden von ehrsamen Handwerksmeistern sehr handwerksmäßig nachgeahmt und als das Wesentliche poetischen Schaffens behandelt. Das Gepränge mit Rangstufen und Förmlichkeiten, das sich im Zunftwesen des Mittelalters ausgebildet hatte, war auch auf die zunftmäßigen Vereinigungen der „Liebhaber des deutschen Meistergesangs“ übergegangen. Alle Mitglieder einer „Singeschule“ hießen „Gesellschafter“. Ihre unterste Stufe waren die „Schüler“, die nach bestandener Lehrzeit zu „Schulfreunden“ aufstiegen. In der „Schule“ ging wie in den Zeiten des Minnegesangs das Dichten und die musikalische Komposition Hand in Hand. Man ahmte überlieferte Formen sowohl in dichterischer als in musikalischer Beziehung nach, trug Musterbeispiele vor und strebte danach, ihnen ebenbürtige Melodien (Töne) und Strophen (Gesätze) zu erfinden. Den Stoff boten Legenden und Historien, nach Luthers Bibelübersetzung vor allem biblische Stoffe. Wer die Töne und Gedichte anderer korrekt vortragen konnte, ward Sänger, wer nach den Tönen anderer Lieder zu machen verstand, Dichter, wer selbst Töne zu erfinden vermochte, fand Aufnahme unter den „Meistern“. Das alles unterlag feierlichen und strengen Prüfungen, sie waren neben dem Wettsingen der Meister der Gegenstand in den Zusammenkünften, wenn Schule gehalten wurde. Den Vorsitz hatte dabei das sogenannte „Gemerk“, bestehend aus dem Büchsenmeister (Kassierer), dem Schlüsselmeister (Verwalter), dem Merkmeister und dem Kronmeister, der die Preise verteilte. Mit diesen zusammen in einem verhängbaren Verschlag oder Seitengemach, und zwar neben dem Merkmeister, saßen die Merker, denen im besonderen die Begutachtung der Vorträge oblag, die jeweils von dem Singestuhl, einer Kanzel, herab gehalten wurden. Der Inhalt der Regeln hieß die „Tabulatur“ und die Merker mußten scharf auf die Fehler passen, mit denen der Sänger im Ton oder Text gegen die Tabulatur verstieß; das Ergebnis ihrer Notierungen entschied Sieg oder Niederlage.

Hans Sachs und seine Frau als „lustige Niederländer“.
Nach englischen Schwarzkunstblättern des 18. Jahrhunderts

In Richard Wagners Oper „Die Meistersinger“ ist die ganze Feierlichkeit ziemlich getreu nachgebildet und die Satire, welche dort die dem Merkertum mit seiner Tabulatur anhaftende Pedanterie trifft, ist nicht weniger berechtigt als das Lob, das dabei der rühmlichen Ausnahmestellung des Hans Sachs gezollt ist. Dessen veredelter Kunstsinn und mächtiges Beispiel brachte die Nürnberger Singschule zu ihrer höchste Blüte. Sie umfaßte damals über zweihundert Gesellschafter, die alle ihrem Beruf nach Handwerker waren. Da der Inhalt der „Schul“-Vorträge vornehmlich religiösen Inhalts war, wurde nach Einführung der Reformation in Nürnberg den Meistersingern eine Kirche zur Verfügung gestellt für ihre Uebungen sowie für ihre Haupt- und Preissingen, die einzigen, welche öffentlich waren. So kam bei Sachs’ Lebzeiten neben dem Schulhaus zu St. Lorenzen das Predigerkloster in den Dienst der „Schule“. Erst später wurde die Marthakirche, dann die Katharinenkirche den Meistersingern überwiesen, in welche Richard Wagner seine Oper verlegt hat und die zu Ehren des Dichters jetzt in einen würdigen Zustand versetzt wird. Denn da sich später die lebendigen Erinnerungen in Bezug auf die Meistersinger vornehmlich an diese knüpften, so blieb bis in die heutige Zeit die Meinung bestehen, daß sie auch zu Hans Sachs’ Zeit die Heimstätte der Meistersingschule gewesen sei. In die Katharinenkirche ist auch auf unserer Abbildung (S. 733), die Hans Sachs auf der Kanzel als Sänger zeigt, die Handlung verlegt. Denn das Tafelgemälde im „Germanischen Museum“, das ihr zur Vorlage gedient hat, stammt aus dem 17. Jahrhundert und ist eine Art Apotheose des Hans Sachs, wobei die Rolle der Merker die legendären Begründer des Meistergesangs, Frauenlob, Regenbogen, Marner (wie statt des vom Maler gebrauchten „Wörner“ richtig zu lesen ist) und Mügling, übernommen haben, die als die „gekrönten Töne“ gleich Schutzheiligen der Schule verehrt wurden. Daher die Kronen auf ihren Häuptern. Im Vordergrunde sehen wir Zuhörer, Männer und Frauen, und in der Mitte zwei Schüler, die der Aufnahmeprüfung harren.

Es war des Hans Sachs Verdienst, daß diese Art Kunstpflege, welcher der beste Kern des Volks ergeben war, noch bevor die Stadt Nürnberg sich offen zur evangelischen Lehre bekannte, hier im Geiste der Reformation ausgeübt ward. Der mächtige Eindruck, den er selbst von Luthers ersten Schriften, von dessen Wesen und Lehre empfing, war es auch, der ihn weiter anregte, die Gedanken, die ihn bewegten, außer in den kunstreichen Strophen des Meistergesangs in volkstümliche Verse zu kleiden und diese, mit kräftigen Holzschnitten verziert, als fliegende Blätter drucken und unter das „gemeine“ Volk zu „gemeinem Nutz“ gehen zu lassen; auch ihn ergriff der Drang, mit seinem Wissen und Können im Sinne der Aufklärung der Geister reformatorisch zu wirken. Aehnlich wie er alte Mären und Schwänke um einer neuen kernigen Moral willen in solche volksmäßige schlichte Reime brachte und diesen in Form solcher fliegenden Blätter, wie wir eines auf Seite 737 abbilden, die weiteste Verbreitung gab, so that er auch, als es galt, sich zu Luther und zur Reformation zu bekennen, mit seinen heiligsten Ueberzeugungen. Das Gedicht „Die Wittenbergisch Nachtigall“, in dem er das Auftreten des Reformators als das Tagen einer neuen besseren Zeit begrüßte, machte ihn dank dieser Form und der sich daraus ergebenden Wirkung zuerst zu einem

populären Dichter für ganz Deutschland. Nun wurde sein Dichten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_734.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)