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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Fasse Dich, Cajus!“ stammelte Nonus Quintilius. „Noch ist ja vielleicht Rettung möglich! Sollten aber die Götter es anders beschließen, so stärke Dich im Gedanken, daß Du ihm allzeit ein guter Sohn gewesen, treu und ehrlich und eines so glorreichen Vaters würdig!“


Ninus, der Leibarzt, hatte sich unterdes, ohne des Schicksals zu denken, das ihm als einem unfreien Hausgenossen des Ueberfallenen ebenso unabweislich bevorstand wie dem geringsten der Untersklaven, eifrig um Lucius Menenius bemüht, ihm einen kühlenden Trunk bereitet und ihn mit schonendster Vorsicht dann untersucht. Die Wunde war höchst gefährlich. Ninus trug ernste Bedenken, die Waffe herauszuziehen, ehe Cajus zur Stelle war; denn die Wahrscheinlichkeit einer sofortigen inneren Verblutung lag außerordentlich nahe. Eine Zeitlang schien Lucius Menenius besinnungslos. Dann schlug er, schwer seufzend, die Augen auf und drückte dem Ninus, der sich gerade über ihn beugte, kaum bemerkbar die Hand.

„Er lebt!“ jubelte Afra.

„Dank, Ihr Getreuen!“ hauchte Menenius. „Ich lebe . . . gerade noch lange genug . . . um Euch ein Wort des Abschieds zu sagen . . . Nochmals, ich danke Euch . . . Allmächtiger Jupiter – was that ich dem Geticus, daß er . . . Arme Plotina! Ach, und mein Töchterchen! Und Cajus, Cajus!“

„Gieb nicht die Hoffnung auf!“ sagte der Leibarzt mit erkünstelter Gleichmütigkeit. „Dein Sohn Cajus wird im Augenblick hier sein. Liege nur ruhig, Herr! Ganz still! Rege auch keinen Finger! Wenn uns die Götter beistehen . . .“

„Nicht doch!“ seufzte Menenius. „Ich fühl’ es . . . der Tod. Keine Stunde mehr, Ninus . . . O, dieser Knabe! Der Gottlose! Euch alle ... stürzt er ins Elend. Wenn ich nur ahnte, weshalb!“

„Herr,“ wimmerte Afra, „wenn Du es hören willst: ich, ich trage die Schuld daran.“

„Du?“

„Ja, Herr, und so sterb’ ich mit Freuden.“

Kurz und in fliegender Hast erzählte sie nun, was Geticus ihr gedroht und in welcher unglaublichen Absicht er die Unthat vollführt hatte. Lucius Menenius schloß wieder die Augen. „Der Unglückselige!“ raunte er durch die Zähne. „Seine Vernunft war umnachtet ...“

Es entstand eine lange Pause. Dann beugte sich Afra dicht an das Ohr des Verwundeten und flüsterte bebend:

„Herr, gedenke des Ninus! Ich bitte ja nicht für mich, Herr! Ich war die heimliche Ursache dieser That und will gerne als Opfer bluten. Ach, wenn nur er dem furchtbaren Schicksal entgeht! Gnade, Herr, für den Mann, der Plotina gerettet hat und auch Dich retten wird, wenn ihm die Götter die Kraft verleihen! O, das grauenhafte Gesetz! Vielleicht, vielleicht wird ihn der Kaiser begnadigen, wenn Du ein Wort hier in die Tafel schreibst!“ Sie hatte dem Ninus mit zitterndem Griff die Tabellä aus dem Gewandbausch genommen und hielt sie nun flehentlich dem Verwundeten hin. Ninus aber zog die Geliebte zurück. „Nicht jetzt,“ sagte er halblaut. „Hier handelt es sich zunächst um das Wohl des Menenius, nicht um das meine!“

„Es wäre auch fruchtlos,“ stöhnte Menenius. „Kein Cäsar begnadigt, wo ein Sklave die Hand wider den Herrn erhob. Weh’ mir, daß ich so in Verzweiflung dahinfahre . . . und verflucht bin ... sterbend ... ich ... ich ...“

Da erscholl vom Atrium her Waffengerassel. Die Stadtsoldaten!

Afra warf sich mit einem ächzenden Aufschrei in die Arme des Ninus und legte den Kopf schauernd an seine Brust.

„Armes Kind!“ flüsterte Ninus und strich ihr liebevoll über das quellende Blondhaar. „Wie Du erzitterst! Freilich, Du bist noch so jung! Aber was grämst Du Dich? Deine Seele ist rein, Dein Gemüt ohne Makel, Du hast vom Totenrichter nichts zu befürchten. Stirb mutvoll, teure Afra! Daß wir auf Erden Hand in Hand giugen, hat nicht sein sollen. Weine Du nicht! Jenseit des Todes giebt es ein Land der Freiheit, wo wir uns wiedersehen!“

Er küßte sie heiß auf die zuckenden Lippen.

In diesem Augenblick fuhr Lucius Menenius, der Wunde uneingedenk, heftig auf. Erschreckt schob ihm der Leibarzt den Arm unter den Rücken, um ihn sanft wieder zurück zu betten.

„Nein!“ rief Menenius mit einer Stimme, die kräftiger klang als bisher. „Ich rette Euch ... Euch und die andern. Horch ... sie kommen, Euch abzuführen ... Reich’ mir die Hand, Ninus! Afra, bete zu den Unsterblichen, daß sie mir noch so viel Atem gönnen, bis ich gesprochen habe.“

Das Mädchen sank in die Knie. Schluchzend stammelte sie zusammenhangslose Worte, den wirren Ausdruck ihrer unsäglichen Angst.

Gelles Jammergeheul tobte jetzt grauenerregend durch alle Räume des Hauses. Die Sklaven und die Sklavinnen, wo man sie fand, wurden von den Soldaten der Stadtkohorte gefesselt und in der Mitte des Atriums wie eine Tierherde zusammengetrieben.

„Ruft mir den Anführer!“ sagte Menenius. Sein bleiches Gesicht hatte sich machtvoll belebt. Es war wie das letzte Aufflackern eines Holzstoßes, eh’ er in Asche sinkt.

Afra sprang auf. An der Schwelle jedoch prallte sie wider den blutlosen Cajus, der mit verglastem Blicke hereintrat und einer Bildsäule gleich am Fußende des Lagers stehen blieb. Hinter dem Jüngling erschien ein Centurio mit zwei Bewaffneten. Ehrfürchtig kam der Stadtoffizier näher.

„Hochedler Menenius,“ sprach er mit sorglich gedämpfter Stimme und neigte sein Haupt, „ich komme im Namen des Kaisers und des Gesetzes! Bist Du imstande, auf einige Fragen Auskunft zu geben?“

„Ja,“ versetzte Menenius, „und zwar eine Auskunft, die jede Erörterung unnötig macht. Du hast Dich umsonst bemüht, wackerer Centurio! Wer hat Euch hergerufen?“

„Dein Klient Nonus Quintilius.“

„Ich danke ihm für den rühmlichen Eifer, aber der Mann irrt. Ein Verbrechen, wie es Quintilius vermutet, liegt keineswegs vor, sondern ein Unglück, ein Zufall, ein Mißverständnis. Cajus, mein Sohn, tritt heran! Höre mich – und sorge dafür, daß hier kein Unrecht geschieht! Der Irrwahn des Nonus Quintilius würde mein Andenken schmählich entweiht und mir die Ruhe im Grabe geraubt haben! Centurio der Stadtwache! Wie Du siehst, hab’ ich nicht lange mehr bis zu dem Augenblick, der mich von dannen ruft. Um so weniger wirst Du bezweifeln, daß ich die Wahrheit rede. Hör’ und bewahre das Wort eines Sterbenden! Ich schwöre hier bei dem allwissenden Jupiter, dem ich zeitlebens in Treue gedient habe, der Dolchstoß des verblendeten Geticus galt nicht mir, sondern dem Leibarzt!“

Lautlose Stille folgte auf diese Eröffnung. Afra, die Hände gefaltet, regte unmerklich die Lippen. Unter den thränenumflorten Wimpern hervor richtete Ninus einen nur für Menenius erkennbaren Blick unendlicher hingebungsvollster Dankbarkeit auf das Angesicht seines Retters.

„Ja,“ fuhr Lucius Menenius fort und raffte noch einmal die sinkende Kraft zusammen, „wahrlich, so ist’s! Ninus und Afra lieben sich . . . Geticus war tollwütig aus verzehrender Eifersucht ... er wollte dem Ninus ein Leids thun.... Hörst Du, Centurio? Dem Leibarzt Ninus! Das Gesetz also greift hier nicht Platz! Nimm nur den Schuldlosen schleunigst die Fesseln ab! Unter den Leuten des Lucius Menenius findet sich kein Verräter! Cajus, mein Sohn . . . in Deine Obhut befehle ich Deine Mutter und Deine Schwester . . . und all die Genossen des Hauses! Schirme und schütze sie! Euch aber, Dir, Ninus, und Dir, meine Afra schenk’ ich die Freiheit . . . und mein albanisches Landgut. Cajus, Du wirst diesen letzten Willen des sterbenben Vaters . . . ehrlich vollstrecken! Das gelobe mir in die Hand!“

„Ich gelob’ es Dir!“ schluchzte Cajus verzweiflungsvoll.

„Weine nicht, Cajus! Sieh’, wer weiß, wozu das alles Dir gut ist. ... Wenn Dich der vorzeitige Tod Deines Vaters zum Manne schmiedet, dann . . . hat das Wort vielleicht doch einen Sinn . . . das Wort . . . von dem ,Besten‘. . . . Sei ein getreuer Sohn . . . ein milder gerechter Herr gegen die Deinen . . . und ein tüchtiger Staatsbürger . . .“

„Vater, Vater, mein letzter Blutstropfen soll in Zukunft der Pflicht gehören . . .“

Das Antlitz des Jünglings flammte bei allem Schmerz heilig und wie in wundersamer Verklärung auf. Es hatte sich auf dem Grund dieser tief erschütterten Seele eine Wandlung vollzogen für immer; sie war erstarkt in dem männlich festen Entschluß, dem Vorbild nachzueifern, das so herrlich und rein vor ihr her geleuchtet und das jetzt erlöschen sollte für immer.

„Geh’, Centurio, und laß die Gefangenen los!“ flüsterte Lucius Menenius. „Schnell, damit sie noch aufatmen, ehe ich dahinscheide ...“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_739.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)