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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

eigentliche Stammmutter untergeschoben. Eine solche schuldbeladene, außerhalb der Familie stehende Gestalt hat man nun für das Haus Hohenzollern in der Person der Gräfin Agnes von Orlamünde gefunden, die eigentlich die Weiße Frau der Plassenburg war und wie Bertha von Rosenberg erst später nach Berlin verpflanzt wurde.

Diese sagenhafte Frau, die dem 14. Jahrhundert angehört, ist Agnes, eine geborene Herzogin von Meran, die den Grafen Otto von Orlamünde heiratete, dem sie zwei Kinder gebar; das herzogliche Haus Meran ist eigentlich das Haus der Grafen von Andechs, die an der Etsch und am Inn begütert waren, aber auch halb Franken besaßen. Hier gehörte ihnen die Herrschaft Plassenburg mit der Stadt Kulmbach, desgleichen die Markgrafschaft Ansbach und Bayreuth. Auf die Plassenburg zog die verwitwete Gräfin, als sie mit ihren Kindern Orlamünde verließ. Dort soll sie nun in intime Beziehungen zu einem Hohenzollern, dem schönen Albrecht, Burggrafen von Nürnberg, getreten sein. Der Burggraf hatte einmal zu ihr geäußert, aus einer Ehe könnte nichts werden, vier Augen stünden ihrer Verheiratung entgegen. Vier Augen sind zwei Menschen: er meinte damit seine alten Eltern, Friedrich IV. und seine Gemahlin, die ihre Einwilligung nicht gaben. Die Gräfin Agnes aber verstand es von ihren beiden Kindern und räumte sie aus dem Wege. Sie bohrte ihnen eine goldene Nadel in den Hinterkopf. Hierauf von Albrecht verlassen, pilgerte sie nach Rom, that Buße und stiftete das Kloster Himmelskron unweit Berneck; in der Klosterkirche, wo man ihren Leichenstein zeigt, wurde sie um das Jahr 1361 beigesetzt, der Burggraf Albrecht an ihrer Seite. So lautet die freilich vielfach unhistorische Tradition.

Die Feste Plassenburg war der Mittelpunkt der fränkischen Besitzungen des Hauses Meran gewesen; hier erschien also die Gräfin Agnes zunächst, wie Bertha von Rosenberg zunächst in Neuhaus erschienen war, weiter dann auch in den Schlössern zu Ansbach und Bayreuth. Daselbst hingen auch Porträts von ihr, die leider verbrannt sind; einen Holzschnitt vom Ende des vorigen Jahrhunderts, die Weiße Frau darstellend, die einen Lilienstengel trägt, findet man in dem „Buch der Hohenzollern“ von Max Ring. In Bayreuth hat sie der Markgraf Erdmann Philipp, bevor er 1678 im Schloßhofe vom Pferde stürzte, in einer Mainacht des Jahres 1812 Napoleon, schon vor ihm der General d’Espagne „gesehen“. Demnächst und gleichsam aus alter Liebe zeigte sie sich auch in den übrigen Schlössern der Hohenzollern, sowie solchen, deren Herren den Hohenzollern verwandt sind: in der Schwanenburg zu Kleve, in Sagan, im Schlosse zu Darmstadt und in Altenburg.

Es sei noch ferner erwähnt, daß es auch Schlösser giebt, in welchen die Ahnfrauen nicht in weißer, sondern in tiefschwarzer Tracht sich den Menschen zeigen. In München soll so eine Schwarze Frau vor dem Tode jedes Wittelsbachers erscheinen: die Kurfürstin Marianne, die Gemahlin Maximilians III. Josephs, eine sächsische Prinzessin, die gegen Ende des vorigen Jahrhunderts lebte. Man erinnert sich in München noch sehr gut, daß im Winter 1863 unter der Regierung des Königs Max ein Hofball in dem von Max III. und Marianne erbauten Residenztheater stattfand, bei dem alle Tänzer im Kostüme jener Zeit und die Mitglieder der alten Familien in den von ihren Ahnen bekleideten Hofchargen erscheinen mußten. Königin Marie stellte Marianne vor und trug ihre Juwelen, Prinz Luitpold gab den Kurfürsten. Man sah’s im abergläubischen Volk nicht gern, und als im selben Winter Prinzeß Luitpold und bald darauf auch König Max plötzlich starb, meinte man, es sei ein Frevel gewesen, die Schwarze Frau absichtlich zu beschwören, und die Strafe nicht ausgeblieben. Warum die Kurfürstin Marianne umgeht, darüber läßt sich Bestimmteres nicht ermitteln.

Aus den tragischen Figuren, die wie die Gräfin von Orlamünde mit einer Schuld auf dem Gewissen aus dem Leben gegangen sind, rekrutieren sich noch andere Schloßgespenster: Geister, die, ohne Todesboten zu sein, nur überhaupt spuken, in der Stille der Mitternacht entsetzlich rumoren und poltern, weshalb sie auch geradezu Poltergeister heißen. Sie fehlen fast in keinem alten verfallenen Schlosse. Wer hätte denn noch niemals von einer „Rummelsburg“ gehört, in der es irregeht und nach der Versicherung der ganzen Nachbarschaft nicht recht geheuer ist? – Bald ist es ein Gefangener, der mit seinen Ketten rasselt, bald ein langer hagerer Mann in einem langen Talar von weißem geblümten Atlas, der alle Thüren und alle Kasten aufschließt, bald ein ehrwürdiger Greis, der dem Angstschweiß schwitzenden Fremdling die Bettdecke wegzieht, den Bart abnimmt und eine Glatze schert. Die Deutung dieser Poltergeister ist zunächst nicht schwierig. Das Poltern läßt sich bald auf den Wind, der durch die Luken pfeift, zurückführen, bald auf Katzen und Marder, die sich beißen! Oder es ist eine Maus, die über die Tasten huscht! Wirklich ist so ein Fall, daß eine Maus unter dem Deckel eines alten abgesetzten, seit Jahren nicht geöffneten Klaviers ihre Wohnung aufgeschlagen hatte und männiglich erschreckte, weil ab und zu bald eine Saite, bald die ganze Klaviatur angeschlagen wurde, erst vor ein paar Jahren in Tilsit vorgekommen, und ebenso gab unlängst ein Elsässer die Anekdote zum besten, wie sich in einem alten Schlettstädter Stiftshause die Sage von einem geisterhaften Archivar gebildet hatte, der die Nacht hindurch in einem Eckzimmer unermüdlich schreibe und kritzele. Das Rätsel löste sich, indem später in einem abgetragenen Kamine unzählige Skelette von Dohlen und Eulen gefunden wurden, die sich hier zu Tode geflattert hatten, weil sie sich in dem Schornsteine wie in einer Falle gefangen hatten. Und diese armen Gefangenen bringen uns zu guter Letzt noch eine Gattung von Schloßgespenstern in Erinnerung: die Frauen und die Kinder, die absichtlich in Schlössern eingemauert worden sind, die unglücklichen Wesen, die nach dem Sinne einer grausamen Vorzeit zu Hausgeistern werden sollten und das finstere Haus so grauenvoll belebten wie hier die elendiglich hereingefallenen Vögel.

Es giebt noch ein drittes Fürstenhaus, das wie die Familien Andechs und Rosenberg einerseits Beziehungen zu den Hohenzollern, anderseits eine Weiße Frau hat. Das ist das alte in Oesterreich begüterte Geschlecht Collalto, das in der Trevisanischen Mark bereits im 10. Jahrhundert auftaucht. Sein Ahnherr ist der Ueberlieferung nach ein Hohenzoller. Als Graf Reimbalt XIII. am 8. April 1630 sein Testament aufsetzte und die Güter in Mähren zu einem Fideikommiß vereinigte, traf er auch Bestimmungen für den gänzlichen Abgang der Familie Collalto. Dann sollten seine Güter an die ihm anverwandte fürstlich Hohenzollernsche Familie fallen. Aber die Weiße Frau des Stammschlosses, das an der Grenze der Mark Treviso und der Gemeinde Ceneda steht, ist keine Ahnfrau, sondern ein Kammerfräulein, das einst hier eingemauert und lebendig in die meterdicken Mauern des Hauses eingeschlossen wurde, und das kam so:

Die Gräfin Juliana läßt sich von ihrer Zofe das Haar machen. Sie sitzt vor dem Spiegel und bemerkt, wie das hübsche Mädchen hinter ihrem Rücken mit dem Grafen liebäugelt. Wütend verurteilt die Gräfin das unglückliche Geschöpf zur Einmauerung, einer Strafe, die im alten Rom eidbrüchige Vestalinnen, im Mittelalter so viele gefallene Nonnen, z. B. Konstanze von Beverley in St. Cuthbert auf Holy-Island, traf. Vade in pace! (Geh’ in Frieden!) Mit diesem Gruße und mit ein wenig Brot und Wasser verließ man die lebendig Begrabene. Es klang wie Hohn. Das Opfer fand keinen Frieden. Es ward ein Schloßgespenst.

Das war in anderen Fällen die beabsichtigte Folge. Die Einmauerung ist nicht bloß eine Strafe gewesen wie das Pfählen, sondern eine Sitte, eine Methode, Hausgeister und Kobolde künstlich zu schaffen und zu züchten, wo noch keine da waren. Bei Neubauten unter den Grundmauern Menschen, zumal unschuldige Kinder, lebendig einzuschließen, um damit einen Schutzgeist für das Gebäude zu gewinnen, war einst auch unter den Völkern Europas ein vielverbreiteter Brauch. In Afrika und Hinterindien kann man es heute noch erleben, daß ein Mensch festlich bewirtet, auf seine künftigen Pflichten hingewiesen und dann umgebracht wird, um sein Blut unter den Mörtel zu mischen und für ein neues Thor einen unsichtbaren Wächter zu bestellen. In Europa vergrub man den Menschen lebendig unter dem Baugrunde oder mauerte ihn ein. Es waren gewöhnlich Burgen und Festungen, auch Klöster, denen man auf diese Weise einen Warner, einen treuen Eckart sichern wollte; aber auch Brücken, Dämme und andere Bauanlagen, die nicht recht feststanden und bei denen es darauf ankam, daß jemand aufpaßte. Der Brauch ist nicht bloß durch zahllose Sagen und Lieder, sondern auch durch die Gerippe, die man beim Abbruch alter Häuser im Fundamente findet, thatsächlich bezeugt. Es ist klar, daß Erinnerungen an das traurige Schicksal der Eingemauerten und die grauenhaften Funde von Gerippen die Phantasie des Volkes tief erregten und zum Fortleben des Glaubens an Hauskobolde und – Schloßgespenster nicht wenig beitrugen.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0491.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)