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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)


Zum letztenmal reiste Annette von einem Besuch in Hülshoff im Herbst 1846 nach Meersburg. Ihr Zustand wurde bedenklicher. Sie konnte ihr Fürstenhäuschen nicht mehr beziehen und mußte sich im Freiherrnschloß einquartieren. Husten und Brustbeklemmungen wurden häufiger und heftiger. Sie fühlte ihren Zustand nur zu sehr. Davon geben die Worte in dem schon einmal citierten Abschiedsgedicht „Grüße“ Zeugnis:

„Ich möcht’ euch alle an mich schließen,
 Ich fühl’ euch alle um mich her!
Ich möchte mich in euch ergießen,
Gleich diesem Bache in das Meer.

O wüßtet ihr, wie krank gerötet,
wie fieberhaft ein Aether brennt,
wo keine Seele für uns betet,
Und keiner uns’re Toten kennt!“

Der Frühling des Jahres 1848 streute die duftenden Lenzesblumen über Anger und Hag, grün wurde der Rebhügel am Fürstenhäuschen, weiß schimmernd überdeckten sich die Bäume mit den Blüten des Mai, in frisches Grün kleidete sich der Wald hinterm Schloß; drüben an den Gehängen des Säntis sank der Schnee herab vom Grat zur Tiefe … Frühlings Auferstehungsfest!

Die Glocken hallen dumpf vom Turm der Kirche. Ein langer Leichenzug geht den Berg hinan. Droben läutet ein Glöcklein von der Gottesackerkapelle – Annette von Droste-Hülshoff wurde hinausgetragen zum Friedhof. Am 24. Mai 1848, des Mittags, war sie an einem Herzschlag verschieden. Sie hatte ihn ausgekämpft, den guten Kampf des Lebens.

An der östlichen Ecke des Kirchhofes haben sie die Dichterin eingebettet zur ewigen Ruhe. Der einfache Grabstein enthält das Wappen und darunter die Worte: „Anna Elisabeth, Freiin von Droste-Hülshoff. Geb. den 10. Januar 1797, gest. den 24. Mai 1848. Ehre dem Herrn.“

Bald ein halb Jahrhundert ist seitdem hingegangen. Die Verehrer der Dichterin suchen ihr Andenken heute aufzufrischen im Gedächtnis unserer schnelllebenden Zeit. Münster hat der Dichterin ein Denkmal gesetzt; Meersburg will nachfolgen, sobald die nötigen Mittel vorhanden sind. Der Verfasser dieses Aufsatzes in Meersburg ist gern bereit, Beiträge dafür in Empfang zu nehmen.

Der Grabstein Annettens von Droste-Hülshoff
auf dem Gottesacker zu Meersburg.

Man muß es unserer Dichterin lassen: so eigenartig die Schöpfungen ihrer Muse oft auch in ihrer herben Form und mystischen Auffassung sind, wir lesen uns doch bald willig ein! Es ist eine merkwürdig selbständige Kraft der dichterischen Aeußerung, die sich darin kundgiebt; hoher humaner Sinn, tiefe Wärme und Empfindung beseelen ihre Lieder. Und so wird wahr bleiben, was sie selbst von den Kindern ihrer Muse gesagt hat:

„Meine Lieder werden leben,
Wenn ich längst entschwand,
Mancher wird vor ihnen beben,
Der gleich mir empfand.

Ob ein andrer sie gegeben
Oder meine Hand
Sieh, die Lieder durften leben,
Aber ich entschwand.“




Die Hansebrüder.
Roman von Ernst Muellenbach (Ernst Lenbach).
(1. Fortsetzung.)
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
3.

Es wurden während der nächsten vier Wochen noch mehrere Bowlen in Frau Klämmerleins Wohnstube getrunken, und die Stube selbst nahm ein ganz anderes Aussehen an. Der Ausstattung nach glich sie ja noch immer dem Museumszimmer im Geburtshause irgend eines berühmten Künstlers oder Dichters von bescheiden bürgerlicher Herkunft, aber sie schien jetzt wirklich bewohnt. Zwei kleine geschickte Hände walteten in ihr, die jede allzu symmetrische Anordnung von Frau Margarete Klämmerlein durch irgend einen unmerklichen Kunstgriff in ein Bild der Behaglichkeit umwandelten. Und ungefähr denselben Erfolg hatte Fräulein Emilie Flügge nach wenig Tagen auch in den eigensinnigen Köpfen ihrer vier Hausgenossen erzielt.

Sie war keine große Schönheit und auch kein großes Kirchenlicht, aber nett und frisch an Leib und Seele. Natürlich stand sie an Gelehrtheit weit hinter ihren drei Verehrern. Wenn aber das Wissen danach zu bemessen wäre, wie es einer zu handhaben weiß, so übertraf sie die Herren noch um ein Bedeutendes. Sie wußte nichts von der Syntax in den Werken Alfreds des Großen, über welche Doktor Hans Mohr eine so rühmlich bemerkte Staatsarbeit geliefert hatte, aber vor ihrer Fertigkeit, modernes Englisch und Französisch zu sprechen und auszusprechen mußte er beschämt die Segel streichen, obzwar er von dieser Kunst ungefähr so viel verstand wie seine gelehrten Professoren. Philosophie hatte sie niemals studiert, und dennoch wußte der Philosoph Hans Ritter ihren allgemeinen Bemerkungen selten etwas Triftiges entgegenzusetzen. Vollends in der schwierigsten aller Künste, sich mit Kleinem herzlich zu freuen, stand sie über den drei Herren, die doch schon durch ihr Amtseinkommen darauf angewiesen waren, diese Fähigkeit in ganz anderem Maße auszubilden, als ein Kommerzienrat oder Majoratsherr.

Im Laufe der Zeit that die junge Lehrerin auch manchen Einblick in das wunderliche Leben und Treiben der Hansebrüder, sie fand sich mit gutem Humor darin zurecht und lernte sogar einiges von den Trinkformeln und Ausdrücken des akademischen „Comments“ anzuwenden, ohne ihrer weiblichen Würde etwas zu vergeben. Sie verstand sich ganz wohl mit allen drei Herren, am wenigsten geistige Berührung schien sie aber mit Doktor Bardolf zu finden, trotz der gemeinsamen Liebe zur Sangeskunst, die sie in Einzelvorträgen und auch manchmal im gefühlvollen Vortrag von Duetten bethätigten. Allmählich zeigte sich dies auch in ihrem Verhalten. Den Galanterien Doktor Mohrs begegnete sie nach wie vor mit einer gewissen heiteren Ironie, dem zurückhaltenden Ernste Doktor Ritters entsprach ihrerseits eine stille Freundlichkeit, in der sehr viel Achtung mitzuklingen schien; die treuherzigen Huldigungen des blonden Recken jedoch vermied sie immer sorgfältiger, und Doktor Ritter bemerkte, daß sie auf gemeinsamen Ausflügen der fünf Hausgenossen vor der bloßen Aussicht, einen Augenblick allein neben Bardolf zu gehen, befangen errötete.

Emiliens Ferien gingen eine Woche früher zu Ende als die der beiden Lehrer. Am vorletzten Abend vor ihrer Abreise hatten sich die Frauen, ermüdet von einem langen Spaziergange, frühzeitig zurückgezogen. Doktor Hans Ritter saß allein auf seinem Zimmer, sinnend und – dichtend; die letztere brotlose Beschäftigung trieb er seit einiger Zeit sehr eifrig, ohne übrigens anderen mit ihren Erzeugnissen lästig zu fallen. Da trat Doktor Hans Mohr zu ihm ein, er rauchte eine Cigarette und sah sehr wichtig drein. Nach einigen unwesentlichen Worten setzte er sich rittlings auf die Seitenlehne des Sofas und sagte:

„Hör’ ’mal, Ritter – du könntest mir da einen Rat geben. Du bist ja in diesen Dingen gerade kein Fachmann – aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_031.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)