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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

vielleicht hast du doch schon bemerkt, daß ich – wie soll ich sagen – – na, also daß ich unserer lieben kleinen Hausgenossin nicht gleichgültig bin. Na, und was soll ich es leugnen, die Sache beruht auf Gegenseitigkeit. Ich bin verliebt in das Mädchen – einfach verliebt! Heute, unterwegs, als wir so an dem murmelnden Bach im Walde vorbeischlenderten, fehlte nicht viel, daß ich ihr meinen Antrag gemacht hätte. Aber da riefst du mich beiseite, um über die Einkehr zu beraten, und nachher, den Rest des Weges, blieb sie mit Bardolf zurück, was ihr vermutlich nicht recht war, aber in solchen Dingen hat er nicht gerade das größte Feingefühl. Nun möchte ich nur wissen, hätte ich da einen dummen Streich gemacht oder einen gescheiten? Die Sache ist ja ganz wie es im Gedicht heißt: Sie hat nichts und du desgleichen – und so weiter. Es würde jedenfalls eine lange Wartezeit geben, und, weißt du, poetisch ist so etwas ja, aber – –“

Während dieses Vortrages betrachtete Doktor Mohr abwechselnd seine Cigarette, seine Stiefelspitzen und seine Fingernägel, und so entging es ihm, wie blaß und erregt sein Zuhörer aussah. Uebrigens blieb dem Doktor Ritter die Antwort erspart, denn bei den letzten Worten Mohrs trat Hans Bardolf in großer Erregtheit herein und rief. „Kinder, ich bitte um euren Glückwunsch! Heute nachmittag habe ich mich mit Emilie verlobt! Es ist noch Geheimnis, aber ich kann nicht schlafen gehen, ohne es euch wenigstens gesagt zu haben. Verliebt hatte ich mich ja beim ersten Blick in sie – und nun weiß ich aus ihrem eigenen süßen Munde, daß es ihr nicht anders ergangen war. Und einmal im Zuge, sprudelte er sogleich auch die zweite Neuigkeit hervor: er werde den Schuldienst aufgeben und die ihm von einem Parteiführer seiner Richtung angebotene Stelle als Redakteur einer liberalen Zeitung in einem ziemlich großen Fabrikorte des Westens annehmen. „Ein Lehrer will ich bleiben, aber ein Lehrer des Volkes, ein Prediger alles Idealen und Hohen! – Und sie wird meine Frau Lehrerin,“ setzte er selig hinzu.

Bei den ersten schicksalsschweren Worten Bardolfs war Mohr aufgefahren, aber da begegnete er einem so ernsten, beschwörenden Blicke Ritters, daß ihm das Wort ordentlich versagte. Unter diesem zwingenden Blicke fand er sogar allmählich so viel Fassung, Bardolf glückwünschend die Hand zu schütteln. Dann zog er sich zurück und überließ Ritter völlig hilflos dem jubelnden Redestrom, der jetzt unaufhaltsam den Lippen des glücklichen Bräutigams entfloß.

Doktor Hans Ritter ließ auch diesen Wasserfall nach wenigen herzlichen Worten schweigend über sich ergehen. Er hatte sich eine Cigarre angezündet und schien fast mehr mit ihr als mit dem Geschicke seines verliebten und verlobten Freundes beschäftigt. Allmählich ging dessen Vortrag aus Dur in Moll über. Vermögen besäßen sie ja freilich beide nicht, und die neue Stellung trage für den Anfang nur wenig mehr ein, als er in einigen Jahren auch als Lehrer zu erwarten habe. Sie würden eben entweder beide warten müssen, bis er und sie sich so viel erspart hätten, um sich einrichten zu können – oder aber wie richtige Zigeuner ins Blaue hinein freien. Und am Ende sei das noch am besten – auch um Emiliens willen; denn sie habe ihm bitter geklagt, wie peinlich und demütigend ihr ihre Stellung unter einer habsüchtigen Prinzipalin und neben deren anmaßender Tochter sei und ehe er das geliebte Mädchen noch jahrelang in solchen Stellungen schmachten lasse …

„Aber das wird ja wohl nicht nötig sein,“ unterbrach ihn Doktor Ritter. „Wozu ist denn die Großmutter da? Ihr wißt am Ende beide nicht, daß sie sich schon längst ein Sümmchen von so dreitausend Mark etwa zurückgelegt hat.“

Doktor Bardolf sah groß auf. „Aber Mensch,“ rief er, „das wäre ja ein unerhörter Glücksfall! Dreitausend Mark – damit könnten wir uns ja ein Paradies einrichten! Woher weißt du das denn?“

„Ja,“ sagte Ritter, während er abgewandten Gesichtes in einer dunklen Ecke nach irgend etwas herumsuchte, „sie hat es eben immer sehr geheim gehalten. Ich glaube, ich bin der Einzige, der es weiß. Und weißt du … am Ende ist es auch wohl am besten, wenn ihr es mir überlaßt, ihr die Sache klar zu machen. Morgen ist Sonntag – da werde ich mit ihr sprechen, wenn sie aus ihrer Frühmesse kommt. Du wirst ja wohl schon einen Weg wissen, deiner … deiner Braut nahe zu legen, daß sie so lange schweigt.“

„Natürlich,“ rief Doktor Bardolf. „Es ist merkwürdig, welches Glück du immer bei alten Damen hast! Weißt du noch – schon in unseren Fuchssemestern, da schickten wir dich immer voraus, wenn es galt, unsere Wirtin anzupumpen! Aber daß du das für mich und Emilie thun willst – Mensch, Bruder, das werde ich dir nie vergessen!“ Er stürzte auf den Freund los, und Doktor Ritter mußte es sich nun doch gefallen lassen, daß ihn der andere mit seinen Heldenfäusten zärtlich herumdrehte und ihm ins Gesicht starrte. „Aber, mein Gott, wie siehst du aus?“ fragte Bardolf.

„Ich habe Kopfschmerzen,“ sagte Ritter. „Vielleicht etwas erkältet.“

„Ja,“ meinte Bardolf, „du sprichst auch so heiser! Nimm dich nur in acht! Du kannst auch so wenig Strapazen vertragen. Na, sei nur zufrieden, jetzt wird es bald um so stiller hier im Hause! Nun geh aber zu Bett, und nochmals – tausend, tausend Dank! Ach, werde ich heute nacht süß träumen!“

„Möchte es in Erfüllung gehen,“ erwiderte Ritter und geleitete ihn freundlich zur Thür. Dann saß er noch lange vor seinem Schreibtisch und starrte auf die weißen, mit Versen beschriebenen Blätter. Ein paarmal faßte er sie an, als wollte er sie zerreißen. Zuletzt legte er sie sorgfältig in einen Umschlag, den er im hintersten Gefach des Tisches verbarg.

Am folgenden Morgen hatte er dann ein heimliches Gespräch mit Frau Klämmerlein, aus welchem seine Beredsamkeit nach langem Kampfe als Siegerin hervorging und abends wurde die Verlobung gefeiert. Es war eine stille Feier, die Greisin und Doktor Ritter waren ziemlich schweigsam. Sie schienen es kaum zu bemerken, daß das Brautpaar mehrmals in den dunklen Garten hinaustrat, um den prachtvollen Sternenhimmel zu betrachten, bis es sich endlich von seinem letzten astronomischen Ausgang erst wieder zu ihnen zurückfand, als es für Emilie die höchste Zeit war, zum Bahnhof zu fahren.

Hans Mohr war bei diesem stillen Familienfeste nicht zugegen. Ueber Nacht war ihm plötzlich eingefallen, daß er einem unlängst in die Provinz versetzten Verwandten vom höheren Steuerfach versprochen habe, ihn gegen Schluß der Ferien auf einige Tage zu besuchen. Nach seiner Rückkunft verkehrte er mit Bardolf äußerlich so freundschaftlich wie zuvor. Aber das alte Verhältnis zwischen den drei Hansebrüdern fand sich nicht wieder und es hätte sich wohl auch dann nicht wiedergefunden, wenn Bardolfs Braut den beiden anderen ganz unbekannt und gleichgültig gewesen wäre. Denn ein richtiger Verlobter ist für seine im Junggesellentum verharrenden Freunde immer ein ungeselliges Wesen. Wenn er schweigt, so scheint ihn eine gewisse geheimnisvolle Weihe zu umwittern, welche die anderen zu einer steten unbequemen Vorsicht in der Wahl ihrer Gesprächsstoffe, Scherze und Worte veranlaßt, und wenn er spricht, so ist es zumeist von etwas, das im eigentlichsten Sinne des Wortes nur für den Liebhaber Wert habe, nämlich von seiner Liebsten.

Doktor Hans Bardolf machte keine Ausnahme von dieser Regel. Immerhin trug er sein Glück mit wirklichem Herzenstakt, und es schien, als ob er ganz ernstlich und pflichtbewußt darauf bedacht sei, sich aus der bisherigen burschikosen Gemütlichkeit zu einem würdigen Mitgliede des vornehmsten, meistbietenden und meistfordernden aller Stände, des Ehestandes, heraus zu arbeiten. Durch besondere Fürsprache war es ihm gelungen, sich bereits zum Anfang des Winters einen ehrenvollen Abschied aus dem Staatsdienste zu verschaffen; eifrig bereitete er sich inzwischen auf seinen neuen Beruf vor, in dem er von Neujahr an; die ersten paar Wochen unter Anleitung seines Vorgängers, wirken sollte und den er sich in leuchtenden Farben, mit wahrhaft idealen Versprechungen an die Mitwelt und Anforderungen an sich selbst ausmalte.

Als der erste Schnee fiel, reiste Frau Klämmerlein nach dem künftigen Wohnorte des jungen Paares, um Emilie in der Ausstattung der Wohnung zu unterstützen und eine Woche vor Weihnachten fand die Hochzeit statt, ohne andere Gäste als die beiden Freunde des Bräutigams und eine ältere Kollegin der Braut, ein stilles, verblühtes Jüngferchen in mausgrauer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_032.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2017)