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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)


Neigung erraten haben müßte, und sie hielt es für dringend notwendig, ihn in diesem Glauben wankend zu machen ihm einen schlagenden Beweis zu liefern, daß sie nichts weiter zu ihm gezogen habe als die harmloseste Jugendfreundschaft, und darum – –

Sie wußte, durch welches Mittel sie ihm beweisen könnte, daß sie ihn niemals geliebt habe, aber das war nicht leicht, und dennoch das einzige für diesen Fall – genau so brutal wie der Tüncherpinsel, der im Pavillon ihr Bild auslöschte! Wunderbar eigentlich, daß es geschah! Vielleicht hatte Toni Ribbeneck sich erkannt und geschmollt über ihre Nebenrolle. Nun, ihr Wunsch war ihm jetzt Befehl, je eher, je besser – weg damit! Aenne wollte es auch so machen, sie wollte das Bild in ihrem Herzen übermalen lassen, nicht mit einer glatten weißen Fläche wie droben, nein, mit dem Bilde eines andern!

Sie verfolgte in tiefen Gedanken einen schmalen Waldpfad, der neben der Chaussee durch dickes Buchen- und Haselgestrüpp hinlief, es war schon leichte Dämmerung, die Sonne ging heute nicht strahlend unter, sie hatte sich hinter eine finstere Wolkenwand verborgen und schien gewillt, die Erde früher als sonst im Dunkeln zu lassen. Aus der Ferne hallte ein Schuß durch den Wald, dann ein Schrei hoch in der Luft und der dumpfe Laut eines fallenden Körpers.

Aenne blieb stehen und schaute vorwärts, jemand kam ihr entgegen. Da war er, an den sie eben gedacht.

„Guten Abend, Herr Oberförster!“ erwiderte sie ein paar Sekunden später auf den Gruß eines großen breitschultrigen Mannes, der in graugrüner Joppe, die Büchse über der Schulter, vor ihr stehen geblieben war, an seinem Büchsensack hing ein erlegter großer Raubvogel, ein Bussard. Der Weidmann hatte ein ernstes, durch Wind und Wetter gebräuntes Gesicht, von dichtem Vollbart umrahmt, in welchem schon hier und da weiße Fäden schimmerten, eine gerade Nase und hellblaue Augen, die sichtlich erfreut Aenne betrachteten. Vornehm sah er gewiß nicht aus, aber recht stattlich und frisch, er verleugnete den Sohn des Holzhauers Günther durchaus nicht in seiner Erscheinung, aber er war ein einfacher zutraulicher Charakter wie alle solche. die mit und in der Natur gelebt haben und noch leben, und in seinem Berufe war er entschieden unschätzbar, wie der Umstand bezeugte, daß der Herzog ihn aus eigener Entschließung vom einfachen Förster in die Oberförsterstelle einrücken ließ, zum Aerger der jungen Herren, die auf der Akademie gebildet waren.

„Das ist ja eine unverhoffte Freude, Fräulein Aenne!“ begann er, „wollen Sie heim? Dann können wir zusammen gehen – das heißt,“ setzte er zögernd hinzu, „wenn’s Ihnen recht ist!“

Sie nickte und ging nun ziemlich dicht neben ihm, denn der Pfad war schmal und er hielt die Buchenzweige zurück, daß sie ihr nicht in das blasse Gesichtchen schlugen. Aenne wußte, wie dieser Mann seit langer Zeit an sie dachte mit treuesten und redlichsten Absichten, aber sie war ihm stets ausgewichen, sie hatte sich das Glück anders erträumt als an seiner Seite, als die Stiefmutter seiner Kinder – sie wollte ein ganzes, volles Glück.

Heute fragte sie plötzlich nach seinen Kindern. Ihre Stimme zitterte zwar ein wenig und sie sah zur Seite, aber wenn sie auch nicht den freudigen Schrecken gewahrte, der über des Mannes Züge glitt, an der bebenden weichen Stimme, mit der er antwortete, mußte sie erkennen, wie tief ihn diese Frage bewegte. Ein Diplomat war er nicht, er brachte nichts weiter heraus als. „O, ich danke Ihnen herzlich, Fräulein Aenne, es geht ihnen gut, so gut es Kindern gehen kann, die die Mutter entbehren.“

Das war sein altes Lied, aber es machte das Mädchen jetzt nicht erbeben, es war ihr auch nicht peinlich wie sonst – sie ging direkt auf ein bestimmtes Ziel los. Wie schwer ihr das werden müsse, was hinter diesem Ziele lag, daran wollte sie jetzt nicht denken.

„Ich habe sie lange nicht gesehen, die Kleinen,“ bemerkte sie, „sonst kamen sie mitunter herüber zu uns, aber –“

„O, Fräulein Aenne, ich dachte, es wäre Ihnen unangenehm,“ stotterte er, verwirrt von ihrem ganz veränderten Wesen.

„Aber warum denn, Herr Oberförster? Wirklich, ich habe Kinder gern, und die Ihrigen – ich habe mich doch schon mit ihnen geschleppt, als ich noch ein Backfisch war und damals, als wir in unserem Hause Christinchen verpflegten, damals, als – –“

„Als meine Frau starb,“ vollendete er. „Ja, ja, Fräulein Aenne, und sehen Sie, das kann ich Ihnen und Ihrer Mutter nie vergessen, solche Gutthat an einem Halbverzweifelten – das kettet mit starken Banden der Dankbarkeit an die, die sie uns erwiesen. Da, am Totenbette meiner Auguste, da hab’ ich’s erfahren, was es bedeutet – gute Freunde und getreue Nachbarn! Wie Ihre liebe Mutter da so still und selbstverständlich zu mir kam und sagte: ‚Die Kinder nehm ich mit, Günther‘ – und Sie, Aenne, Sie hatten so ein blasses Gesicht und so große Augen, der Tod war Ihnen so unfaßlich, so grauenhaft, Sie waren ja noch so jung, aber Sie nahmen doch die Aelteste, die auch kaum laufen konnte, auf den Arm – und – ja, Aenne – und – –“

Er blieb stehen, in seinem Gesicht zuckte es wie von großer innerer Bewegung. „Sehen Sie, Aenne – wenn Sie mir nur erlauben wollten, weiter zu reden,“ bat er, „aber ich habe Angst, es geht wie neulich, als ich – und Sie laufen fort – – Herrgott, ja, ich will schweigen, Aenne, ’s ist ja solche schreckliche Unbescheidenheit von mir, und – ich hab’s ja auch gemerkt, daß ein anderer da ist, den Sie – –“

Sie hatte wirklich einen Augenblick einen hastigen Schritt nach vorwärts gethan, so, als wollte sie sich, wie ein Reh vor dem Jäger, in den Wald flüchten. Aber als er von einem andern sprach, wandte sie sich jäh um. „Nein!“ stieß sie hervor, „ich – ich höre ja – –“

Es war jetzt fast dunkel auf dem schmalen Wege, kaum noch zu unterscheiden die Konturen der Gestalten, und so still, so furchtbar einsam! Der große Mann war stehen geblieben, sie vor ihm mit gesenktem Kopf, als erwartete sie den Todesstreich. Sie hörte eine Zeit lang nur sein rasches tiefes Atmen.

„Aenne“, stieß er endlich hervor, wie einen mühsam unterdrückten Schrei, „Aenne, ich dürfte? Sie wollten mich hören? Ich könnt’ Ihnen erzählen von der Hoffnung, die sich ganz unmerklich an Ihre Barmherzigkeit damals knüpfte? erzählen wie sie im Laufe der Zeit stärker und stärker wuchs, wie mein ganzes Leben bloß noch der einzige Wunsch ist, daß Sie, Aenne, daß Sie mir und meinen Kindern die Verlorene ersetzen möchten?“

Seine Sprache, anfangs hastig, war wie erstickt von emporquellenden Thränen. „Aenne,“ fragte er nochmals und faßte ihre Hände, „Aenne, sagen Sie doch nur – es ist ja gar nicht möglich – ich bin ein ungebildeter Mensch – – erst gestern abend, als Sie droben im Schloß am Flügel standen und so schön gesungen haben da sagte ich mir. ‚Nein, nein, das ist ja Thorheit, die ist viel zu schön, viel zu gut für dich alten plumpen Kerl!‘ Aenne, ich nehm’s nicht übel, aber sprechen Sie doch ein einziges Wort – könnten Sie denn – wäre es möglich?“

„Ja!“ klang es zu ihm herüber. Aber als er sie ungestüm an sich reißen wollte, schrie sie leicht auf und wich so entsetzt zurück, daß er ihre Hand frei ließ.

„Ja?“ wiederholte er, „aber – weshalb dann –?“ Und seine Rechte strich über die Stirne, von der er den Hut nahm.

Sie hatte sich gefaßt. „Ja!“ sagte sie noch einmal, „aber ich bitte Sie – ich bin so – – ach seien Sie nicht böse, lassen Sie uns ruhig nach Hause gehen, ich werde nachher mit Vater reden, und morgen –“

„Bis morgen?“ wiederholte er staunend, ungewiß.

„Morgen!“ sagte sie mit einer Stimme, die trostlos klang. „Jetzt nicht – man wird mich suchen, meine Tante wartet auch noch bei Fräulein Stübken in Ihrem Hause.“

Nun schritten sie hintereinander. Der Weg senkte sich jetzt steil hinab und der Oberförster öffnete vorangehend das Gatter, das den Wildpark vom Lustgarten scheidet. Sie blieb wartend stehen; als sie hindurch geschlüpft war, reichte sie ihm die Hand. „Morgen,“ sagte sie noch einmal.

Aber nun kam es über ihn wie ein Sturm, er hielt sie plötzlich in den Armen und küßte sie heiß und leidenschaftlich, und sie litt es wie betäubt ein paar Augenblicke, dann stieß sie ihn zurück, einen empörten Ausruf auf den Lippen. Und als er fragte, halb lachend und halb ernsthaft:

„Glaubst du denn, ich hätte dir ‚Gutenacht!‘ sagen können wie jeden andern Tag? Mädel, hast du denn keine Ahnung, wie einem zu Mute ist, der dich liebt, und den du so lange hast schmachten und zappeln lassen?“

Da brach sie in Thränen aus und lief wie gejagt durch die dunkle Allee, und hinter ihr scholl ein tiefes, glückliches Lachen.

„Morgen!“ rief er, „morgen!“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_040.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)