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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

hervorquellende Thränen, dabei schüttelte sie energisch den Kopf, als wollte sie sagen: „Sie irren sich, ganz gewiß, Sie irren sich!“

„Dös ist’s net? I hab’ beinah’ g’laubt, so sei’s. Aber dös is ja a net mögli, und wann’s a so wär’, hätten S wohl längst a End’ g’schaff’n, man zieht an braven Mann doch net an der Nas’n ’rum? Feig sans doch a net, Fräul’n Aennerl, und an Irrtum eing’steh’n, is am End’ a ka Schand’ – ja, ja, i seh’ ’s, i irr’ mi, ’s is an andrer Kummer, bin aber die Letzt’, die dran rührt. – Kommen S’, wir woll’n sing’n, ’m Kerkow sein’ Hochzeitskantate!“

„Ich kann nicht!“ stieß das junge Mädchen hervor.

Die Sängerin, die schon am Klavier saß, wandte sich jäh, einen Ausdruck von Ueberraschung im Gesicht. „Gerad’ den Psalm net? Oder überhaupt net?“ fragte sie, das blasse Gesicht der sonst so lernbegierige Schülerin betrachtend.

Aenne raffte sich zusammen. „Heut’ überhaupt nicht,“ sagte sie, „ich habe Kopfweh.“

„Na, da plausch’n wir halt a bisserl,“ tröstete Fräulein Hochleitner. „Was kann ma denn thun, um Sie auf andre Gedanken zu bring’n? Soll i Ihn’n a Lied sing’n, oder soll i Ihn’n a bisserl erzähl’n, davon, daß alle Leit’ hier verruckt san über d’ Hochzeit drob’n, und daß dem Kerkow sein Schwesterl ankommen is, so a arm’s bleichsüchtig’s Ding im schwarzen Krepp, das ausschaut, als hab’s ka Hoffnung mehr auf Erden? I muß sag’n, an der Ribbeneck ihrer Stell’ hätt’ i net auf so a prächtige Hochzeit b’stand’n, aber sie kann sich net helf’n, sie muß aller Welt zeig’n, daß sie jetzt doch an Mann erwischt hat, nach so viel vergeblichen Versuchen, und der arme Jung’, der muß für ein paar Tag’ das Kreppbändel vom Arm und in die Tasch’n thun. – Ja, wie die z’ samm’ komm’n, dös kännt a’m a Rätsel sein, wann ma net wüßt, daß – –“

Sie verstummte und goß Aenne eine zweite Tasse ein. „So, Fräul’n May, da ist der Zucker, bedienen S’ Ihn’n!“

Aenne kam mechanisch der Aufforderung nach und starrte dann irgend ein Bild an. Die Dämmerung war herabgesunken, undeutlich verschwammen alle Gegenstände. Die Sängerin hatte ihren Spitz auf den Schoß genommen, streichelte, wie in Gedanken verloren, das weiße Fellchen ihres Lieblings und dachte an irgend etwas, das sie der Gegenwart entrückte. Sie hörten beide nicht, wie ein fester Schritt die Treppe empor und über den Flur kam. Der Azorl fuhr erst auf, als ein kräftiges Klopfen an der Stubenthür erscholl, nun sprang er wie ein Gummiball zur Erde und bellte aus Leibeskräften. Fräulein Hochleitner eilte zur Thür und fragte ins Dunkle hinaus. „Wer ist da?“

„Verzeihen Sie, mein Fräulein – Günther, Oberförster Günther. Ich wollte meine Braut abholen, sie ist doch noch hier?“

„Ah! Schaun’s, wie galant! Herr Oberförster, bitt’, kommen’S nur einer. – Fräul’n May, da ist er, der Herr Bräutigam!“ rief sie Aenne zu, die ganz erstaunt in ihrem Sessel verblieben war, aber trotz der tiefen Dämmerung deutlich die hohe breite Gestalt ihres Verlobten erkannte.

„Guten Abend, Aenne,“ klang seine Stimme, „ich traf eben Tante Emilie auf der Straße, sie wollte hierher, um dich abzuholen, und ich bat, mir dies zu überlassen – es ist dir hoffentlich recht?“

Sie erhob sich langsam. „Ja!“ antwortete sie halb erstickt. In diesem Augenblick glühte die Flamme der Lampe unter der Hand der Sängerin auf, die Blicke des Brautpaares begegneten einander. „Wie blaß sie aussieht,“ dachte er, „es ist ihr unlieb, daß ich hinter ihr kleines Geheimnis gekommen bin.“

Sie dachte nichts, fühlte nichts als die ungeheure Schuld, die sie ihm gegenüber trug.

„Aber da setzen S’ Ihn’n do no a bisserl,“ bat Fräulein Jeannette, „hat’s denn gar so große Eil’, Herr von Günther? Kann i Ihn’n an Liqueur anbiet’n – gelt, ja? Setze S’ Ihn’n doch!“ Sie kam schon mit einem eleganten Liqueurkästchen an, das sie öffnete, und wies auf die Flasche, „Benediktiner? Chartreuse? Creme de Cacao? oder Anisette? Was möcht’n S’?“ rief sie fröhlich. „Aennerl, wollen S’ net a –?“

Der Oberförster wandte langsam seinen Blick von dem schönen Mädchen im roten Plüschhauskleid, mit dessen langer Schleppe Azorl spielte, zu Aenne hinüber. Sie hatte nicht wieder Platz genommen und stand hinter ihrem Stuhl in ihrem schwarzen Wollkleid, das nur durch einen einfachen weißen Leinwandkragen geschmückt war, einen peinlichen Zug um den Mund; die Röte kam und ging auf ihrem Gesicht. Er trank das Gläschen aus, das ihm gereicht worden. „Auf Ihr Wohl, Fräulein! Aber nehmen Sie es nicht übel, wenn wir aufbrechen, ich habe noch Wichtiges mit meiner Braut zu besprechen – wegen der Hochzeit, wissen Sie; der Herzog reist am dreißigsten Dezember heim, eben erfuhr ich’s auf der Jagd von ihm selbst.“

„Also endli a Aussicht, daß man wieder ins Städterl kummt!“ rief die Sängerin und schlug jubelnd die Hände zusammen. „Gott sei Dank, daß wir aus dem Räubernest erlöst wer’n! Wie wird sich’s Mutterl freu’n! Mir is nur um ans lad, um die da“ – sie wies auf Aenne, die mit großen angstvollen Augen auf den Oberförster starrte – „von der trenn’i mi schwer, Herr Oberförster, sie is a Gold, a reins Gold und ’a Stimm’ hat’s – – i hab’ schon immer dacht, der Herr Oberförster, der versteht’s, er schießt net allein die Hirscherln, er fangt a sogar die Nachtigall’n!“

Aenne wandte sich hastig um und legte ihre Sachen an. Als sie der Hochleitner die Hand reichte, sah sie aus wie eine, die entschlossen ist zu irgend etwas Verzweifeltem. „Gute Nacht!“ sagte sie heiser und ging nach der Thür, an Günther vorüber, diesen noch ein paar Minuten unter dem Wortschwall der Sängerin lassend. An der Pforte des Vorgärtchens wartete sie auf ihn.

Es war jetzt völlig Abend geworden, aber der Schnee verbreitete eine bläuliche Helle auf der Straße, in welche die erleuchteten Fenster der Wohnungen rötlichgelb hineinflammten. Eine große Ruhe lag über der verschneiten Welt.

Jetzt trat er aus der Thür und kam die Stufen hinunter, sie erkannte, daß er noch den Jagdanzug trug, die hohen Stulpenstiefeln und die Joppe. Er mochte auf die Nachricht von der bevorstehenden Abreise des Herzogs hin nur die Büchse ins Haus gestellt haben, um ihr die Kunde zu bringen, da hatte er Tante Emilie getroffen. Aber, wie um alles in der Welt, wußte die von ihrem Besuch bei der Hochleitner? –

„Komm, Aenne, wir nehmen den Umweg an der Waldstraße entlang,“ bat er.

Sie fügte sich, stumm gingen sie nebeneinander, er auf der Fahrstraße, sie auf dem schmalen Trottoir. Als die letzten Häuser hinter ihnen lagen und der Waldpfad begann, der auf dieser Seite längs des Städtchens bis zum Schloß hinauflief, machte er eine unbeholfene Bewegung, als wollte er ihren Arm in den seinen ziehen, aber sie wich mit gesenkten Augen zur Seite.

„Aenne“, sagte er endlich, und trotz der großen Stille, die sie umgab, klang es undeutlich, wie von tiefer Erregung gedämpft, „Aenne, freust du dich nicht auch ein wenig? – – Hast noch immer Angst vor mir? Bin ich dir noch immer so fremd? – Ja sieh, unser Brautstand, der – der war nicht, wie er sein sollte; ich hatt’ so wenig Zeit und hab’ auch immer gedacht, ich wollt’ dich nicht quälen, nicht erschrecken oder – hab’ ich’s gethan, Aenne?“

„Nein!“ murmelte sie, „aber – –“

„Aber?“ Es klang wie ein Schrecken aus dieser Wiederholung der Frage.

„Ich hab’ dir etwas zu sagen“ – stieß sie hervor und blieb stehen. Es war just unter einer riesigen Eiche, die ihre knorrigen beschneiten Aeste in die Luft streckte wie drohend erhobene Hände, wie verzweifelte Menschenarme.

„Noch etwas zu sagen? Jetzt noch?“ fragte er langsam.

Durch ihre junge schlanke Gestalt ging ein Wanken. Er streckte den Arm aus und zog sie an sich, daß sie fest an seiner Brust lehnte. „Nun sprich,“ sagte er.

„Nicht so! Nicht so!“ stammelte sie und ein heftiges Schluchzen machte die Worte fast unverständlich. – „Lasse mich,lass’ mich! Ich kann nicht mehr lügen, ich kann nicht!“ „Lügen – du – Aenne?“

Sie hatte sich frei gemacht und stand vor ihm, das Haupt gesenkt, die Hände fest ineinander gefaltet. „Verzeih’ mir,“ sagte sie hart, „ich dachte, es würde gehen, aber es geht nicht, ich fühle es, ich fühlte es schon lange, aber – ich – –“

„Was geht nicht? Daß du mich heiratest, daß du –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_106.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)