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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

zum Himmel emporhob, da sah ich auf der dunklen Wolkenwand im Westen klar und deutlich einen Mondregenbogen schweben. Diese wundersame Erscheinung schien das Bild in eine ganz andere Welt zu versetzen! In der Ferne sah man einige gelbrote qualmende Lichter auf den Wellen tanzen und – plötzlich! ein lautes Schreien und Singen! Um die Ecke schießt ein Kahn, gefüllt mit jungen Leuten. Vorn an der Spitze steht eine qualmende Feuerpfanne, die denselben Lichtschein auswirft wie die tanzenden Lichter draußen im Hafen. Hinter der Pfanne steht ein junger Mann mit einer langen Harpune in der Hand. Jetzt beugt er sich vor, ein Ruck! – und nun hebt er einen zappelnden Fisch aus den Fluten. Durch den Feuerschein angelockt, war ein großer prächtiger Branzin aus der Tiefe heraufgekommen und jetzt lag er auf dem Boden des Nachens und morgen – ja, morgen beim pranzo, da wird er wohl dem „Tedesco“ vorgesetzt werden und die „dottori dell’ aquario“ werden sich freuen, daß es einmal was anderes giebt als „agnello fritto“ (Lammbraten) mit Polenta! Und wie ich so mit meinen Gedanken wieder bei der plattesten Prosa angelangt bin, da ist der Nachen im Dunkel der Nacht verschwunden, der Mond hat sich verborgen und der Regenbogen ist erloschen. Meer und Wind fangen an, hohl zu brausen, die Oberfläche des Wassers leuchtet aber wie gleißendes Silber; und in der Ferne verklingen die Lieder der Fischer. –

Aus meiner Darstellung wird man wohl ersehen, daß der Aufenthalt auf der Station in Rovigno nach allen möglichen Richtungen anregend und gewinnbringend ist. Seit der Einrichtung der Arbeitsplätze hat denn auch alljährlich eine größere Anzahl Gelehrter während der Frühlings- und Herbstmonate dort geweilt, und manche interessante Publikation der letzten Jahre verdankt ihre Entstehung einem Rovigneser Aufenthalt. Jedenfalls darf man die Forscher zu dieser reizvollen Schöpfung deutschen Unternehmungsgeistes beglückwünschen. Franz Ith.     


Nachdruck verboten. 
Alle Rechte vorbehalten.     

Einmal zur rechten Zeit.

Erzählung von Luise Westkirch.

     (Schluß.)

Atemlos langte Svensen unter den drei Buchen am Schleusenkrug an. Sein Herz klopfte wie ein Hammer; ihm war ganz wunderlich zu Mute.

Doris kam, schlug mit der Schürze die Blätter und den Staub der Landstraße vom Tisch und erkundigte sich:

„Was soll’s heut’ sein, Herr Svensen?“

Er sah sie an, ein feuchter Schimmer trat in das tiefe Blau seiner Augen, das Herz wurde ihm unheimlich groß in der Brust.

„Doris –“

„Was denn, Herr Svensen?“

„Doris –!“ Er bracht’s nicht über die Lippen. „Ein Glas Bier tränk’ ich woll.“

„Jawoll, Herr Svensen. Ein gansen frischen Faß hat mein Kaptän angestochen.“

Svensen trank. Vielleicht saß der Mut im Glas, in dem braunen Saft, der solch übermütigen Schaum entwickelte.

„Doris –!“

„Was ’s gefällig, Herr Svensen?“

„Geh nich weg. Wenn mich das smecken soll, denn muß ich dein Gesicht sehen.“

„Abers, Herr Svensen –“

„Ich möcht’ dir nämlich was fragen.“

„Es is man, ich hab’ kein’ Zeit; ich soll nach Friedrichsort.“

„So – so – das is abers schade. Ja, das is schade.“

„Was wollten Sie denn fragen, Herr Svensen?“

„Ich – bring’ mir noch ’n Glas Bier!“

Als Doris das zweite Glas Bier vor Svensen hingestellt hatte, faßte er sich endlich ein Herz und fragte leise: „Was denkst du von mich, Doris?“

„Von Sie, Herr Svensen?“ gab sie zurück.

„Ja, ja.“

„Nu, hier sagen sie alle, daß Sie ein rechtschaffenen Menschen sind.“

„Das bün ich, Doris! Das bün ich wirklich! – Süh, es is mich ja nich an mein Wieg’ gesungen, daß ich noch ’mal bei’n Kanal schuften sollt’! Nee! – Ich bin ein Fischerssohn aus Kappeln. Mein Vater hat ein Ewer gehabt un ein seine Jacht, da is er mit nach Fischens gesegelt. Einmal is er nich wiedergekommen un sein Schiff auch nich. Un da bin ich geboren. Abers meiner Mutter saß das im Gemüt un sie mocht mir nich. Das is slimm, Doris, wenn ein kein Mutter hat, die ihm leiden mag un gut zu ihm is. Sie sagen, ich bin ein kleinen, stillen, traurigen Jung’ gewesen. Das is so. So was hängt nach. Vater sein Bruder nahm mich nachmals hin un ich mußt’ Schmied lernen. Ich kann das auch gans gut. Ich hätt’ Schmied auf ein adliges Gut werden sollen. Da hätt’ ich gewiß nix auszustehn gehabt. Abers – denn konnt’ ich das doch nich.“

„Sie konnten nich, Herr Svensen?“

„Das is swer zu sagen. Süh, Doris, dort in Sonnschein blüht allens, Blumen un Kraut, nich wohr? – Un denn da dicht bei an, wo der Schatten von das Haus hinfällt, sühst, da blüht gor nix. Die Menschens brauchen auch Sonnenschein. Ich hatt’ kein Vertrauen. Un wo hätt’ ich dem auch her haben sollen? Un wer kein Vertrauen hat, der greift nich fix zu, un wenn ein nich fix zugreift, denn kommt da nix nach, ja –“

Er hatte den Kopf auf den Ellbogen gestützt, in schwermütige Gedanken verloren. Doris wandte sich zum Gehen. Da hielt er sie durch eine Bewegung zurück.

„Doris, weißt noch, wie ich dir zuerst getroffen hab’?“

„Ja, Herr Svensen, Sie kamen aus das Schiff un wollten nach’n Ingenieur Morungen, abers so’n dämeligen Jung’ gab Sie verkehrten Bescheid.“

„Ich stieg aus das Schiff mit zwei swere Koffers, ja. Abers dämlig war der Jung’ nich ’n büschen. Er wollt’ mir man bloß foppen wie alle Menschens. Da kamst du un wehrtest ihn das un nahmst mich die Kistens ab un brachtst ’n Stuhl un sahst mich ehrlich un freundlich an. Un da – sühst! Da hatt’ ich mein Sonnschein.“

„Herr Svensen, das war doch so wenig –“

„Nee, nee, wenig nich! Du hast nie über mir gelacht. Du weißt nich, was das is für ein Menschen, über den alle lachen, alle! Alle immerlos! – Doris“ – er faßte ihre Hand – „ich hab’ nich Vater, nich Mutter, kein Geswisters, kein Haus. Abers wenn ich dich anseh’, denn is mich zu Mut, als hätt’ ich all das wieder. Un wenn du mir heiraten wolltst, denn kriegt’ ich’s wirklich mit ein Slag zurück. Denn könnt’ ich mir auch ’n Smiede suchen. – Wahrhaftig! Hungern solltest nich bei mir. Nur das Vertrauen hat gefehlt. Süh, Doris, ich – – Un wenn du nu – denn so hätt’ ich Vertrauen –“

„Lieber Herr Svensen –“

Er fuhr fort, er war im Zuge. „Es hat mich viel Müh’ gekostet, dich das zu sagen – ja.“ Er trocknete sich die Stirn. „Aber es ließ mich kein Ruh’, nich bei Tag un nich nachts. Es mußt’ ’raus. So lieb wie dich hab’ ich noch nix auf der Welt gehabt! Lach’ nich! Lach’ nich über mich!“ –

Er klammerte sich an sie wie ein Ertrinkender. „Lach’ bloß nich!“

„Wie könnt’ ich denn lachen? – Es is doch sehr ehrenvoll, was Sie mir bieten –“

„Abers – du willst nich?“ – Seine Augen starrten mit Todesangst auf in ihr rosiges Schelmengesicht.

„Ich würd’ stolz sein, Ihre Frau zu werden, Herr Svensen, wirklich wahr! un jedes Mädchen würd’ das, jedes, Herr Svensen!“ –

„Abers du willst nich?“ wiederholte er, rot im Gesicht vor Beschämung und Schmerz.

„Es is man bloß – Sie kommen zu spät, Herr Svensen.“

„Zu spät?!“

Wie vor einem Gespenst fuhr er zurück vor diesem Wort.

„Ich hatt’ mein Herz all lang weggeschenkt, ehe ich Ihnen zu sehen kriegt’, Herr Svensen –“

„Zu spät –!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1897, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_288.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)