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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Da draußen durften sie weder hart auftreten, noch gar schwatzen und lachen, der Herr Magister studierte! Und sie nahmen gern Rücksicht auf den Vater ihrer geliebten Hildegard, auch ohne daß Gertrud Hegreiner den drohenden Finger zu heben brauchte. Während sie froh und frisch auf die Grossachstraße hinauseilten, nahm die Wirtschafterin, immer noch etwas verstimmt, ihren Weg nach der Küche und zankte zu ihrer Erleichterung mit der Dienstmagd Therese.

Inzwischen trat die Fronbäuerin von Lynndorf schon knixend zu Hildegard in die Stube. Die etwa dreißigjährige Frau, die aber aussah wie fünfzigjährig, trug die wenig kleidsame Landestracht, den miederartigen Mutzen und die fünf oder sechs übereinandergeschachtelten Faltenröcke, die kaum bis über das Knie reichten.

„Grüß Gott, und da wär’ ich!“ sagte die Bäuerin. „Nichts für ungut!“

Sie trippelte vor, beugte sich nochmals tief und wollte Hildegards Hand küssen. Das Fräulein aber entzog sie ihr, klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter und sagte wohlwollend: „Stürzt Euch nicht weiter in Unkosten Lieselott! Und setzt Euch derweile! Ich hol’ Euch die Sachen!“

Die Bäuerin stammelte etwas wie „Schönsten Dank“, rückte sich einen der Holzschemel zurecht, ließ sich schwerfällig nieder und stützte das Kinn auf die Hand. Ihre Blicke hatten etwas Unruhiges, Angstvolles. Sie seufzte ein paarmal und griff sich dann nach dem Kopf, dessen spärlicher Haarwuchs in der Mitte des Wirbels fast nach Indianerart zusammengeflochten war. Die Glaustädter Volkssprache nannte dies rundliche Flechtwerk das Nest.

Nach kurzer Frist kam das Fräulein zurück. Sie brachte der Fronbäuerin die sich sofort erhob, ein kleines Paket, das in Leinwand geschlagen und mit hellrotem Bande verschnürt war. Das Antlitz Hildegards strahlte, wie sie der Bäuerin das Versprochene behändigte.

„Hier, Lieselott!“ sprach sie mit herzgewinnender Freundlichkeit. „Nein, bleibt nur ein Weilchen noch rasten! Der Tag ist warm, und Ihr seid wohl ermüdet. Eh’ Ihr dann geht, eßt Ihr noch drunten am Küchentisch ein Süpplein oder ein Stück Lammbraten vom Mittag. Den Pack hier laßt Ihr hübsch zu, bis Ihr daheim seid. Es sind ein paar Jäckchen darin für Euer Jüngstes – selbst genäht, Lieselott – und ein Sonntagswams für den Großen. Dazu säuberlich eingewickelt etliche Weiß-Pfennige!

„Gott verlohn’s Euch vieltausendmal! stammelte Lieselott. Sie kriegte nun wirklich die Hand des Fräuleins zu fassen und preßte sie ungestüm an die Lippen. Dann seufzte sie wieder und blickte zaghaft zu Boden.

„Was fehlt Euch nur?“ frug Hildegard teilnehmend. „Ihr gehabt Euch so merkwürdig, Lieselott!“

„Glaub’s wohl!“ versetzte die Bäuerin. „Ist mir ein schöner Schreck in die Glieder gefahren! Seit mein Jörg selig damals vom Baum fiel und das Genick brach, hat’s mich nicht wieder so angepackt und so weidlich geschüttelt!“

„Ihr macht mir ja ordentlich bange. Was gab’s denn?“

„Ach, mein gütiges Fräulein, das ist grausig zu sagen! Gestern beim Heumachen auf der Gusecker Wiese … ich zittere noch, wenn ich nur daran denke. Wir waren zu dreien – die Hampacher Käth’ und ich und der Kleinweiler. Ihr wißt doch, der Kleinweiler, das ist der Ehewirt meiner Muhme.“

„Ja, ja, Ihr habt mir von ihm erzählt.“

„Gut also! Wir drei schafften dort auf der Gusecker Wiese. Und die Hitze war schwer, und wir hatten uns abgeschanzt von früh morgens um drei und waren schier kreuzlahm. Da mag’s ja wohl sein, daß dem Kleinweiler die Geschichte zu sauer ward, noch dazu es ja Fronarbeit war und nicht für ihn selbst. Aber deswegen brauchte er doch nicht … Freilich, das war ja schon längst … Und nun bei diesem verfänglichen Anlaß ist es herausgekommen! Gott der Barmherzige steh’ uns in Gnaden bei und helfe uns allen zu einem seligen Ende! Amen!“

„Ich verstehe Euch nicht. Was that denn der Kleinweiler?“ Lieselott blickte verstört auf.

„Gotteslästerliche und sündhafte Reden hat er geführt und schandbar geflucht und wütend hinausgeschrieen: ‚Der Teufel hole das Heu!‘ Und wie das nun kaum über die Lippen war, da erhob sich ein Windstoß und führte das Heu weit hinweg in den Gusecker Bach, so daß die Hampacher Käth’ und ich dastanden wie vom Donner gerührt. Und war doch kein Wölkchen am Himmel zu sehen, und kein Sturm, weder vorher noch nachher. Da ward uns denn offenbar, daß der Kleinweiler, wie’s schon lang’ im Gerede ist, einen Pakt mit dem Bösen hat. Und diesmal hat ihn der Böse unklug verraten! Das meinte denn auch der Flurhüter, der just des Weges daher kam. Es war wie auf Kommando, der üble Wunsch – und augenblicklich das Heu fort! Der Kleinweiler selbst machte ein stierdummes Gesicht und glotzte uns an wie das leibhaftige böse Gewissen. Und der Flurhüter hat ihn denn richtig beim Glaustädter Malefikantengericht angezeigt. Heute bei grauendem Tag ist der Kleinweiler abgeholt und ins Stockhaus gebracht worden. Ach, mein gütiges Fräulein, ich sag’ Euch, die ganze Nacht über hab’ ich kein Auge zugethan! Wir sind doch mit ihm verschwägert, wenn auch nur weitläufig. So was fällt ja leider Gottes auf alle zurück, die zur Sippschaft gehören. Aber ich hab’ ihm nie recht getraut, dem Kleinweiler! Er war ja fleißig und manches gedieh ihm besser als allen Nachbarn. Jetzt weiß man’s, wem er sein Glück verdankt hat. Gott der Herr bewahre uns vor allen höllischen Anfechtungen.“

Lieselott mußte sich setzen. Die Kniee wankten ihr vor Erregung. Das Antlitz senkend, legte sie ihre bräunlichen Hände fest ineinander und murmelte ein kurzes Gebet.

Hildegard Leuthold war außerordentlich ernst geworden. Im regen Verkehr mit ihrem wackeren, verstandesscharfen und überall klarblickenden Vater hatte sie frühzeitig gelernt, den unseligen Zauberer- und Hexenwahn, der noch immer die Mehrheit der Zeitgenossen beherrschte, für das zu halten, was er in Wirklichkeit war – für ein trauriges Hirngespinst, das mit seinen uralt heidnischen Vorstellungen ebensosehr der gesunden Vernunft widersprach wie den Lehren und Anschauungen eines geläuterten Christentums. Gleichzeitig aber war sie auch zu der Erkenntnis gelangt, daß es bei der gegenwärtigen Lage der Dinge äußerst gefährlich und überdies nutzlos sei, diese Meinung in Worte zu kleiden zumal hier, unter dem Scepter des Landgrafen Otto von Glaustädt-Lich, der sich vollständig im Bann dieser verderblichen Zeitkrankheit befand und, von dem Hofmarschall Benno von Treysa und dem Geheimsekretär Schenck von der Wehlen beeinflußt, das Gelübde gethan hatte, das Hexen- und Zauberwesen in seinem Lande um jeden Preis mit Stumpf und Stiel auszurotten. Dies Bestreben des ehrlichen, aber beschränkten Fürsten war seit etwa sechs Monaten für Glaustädt – das größte Gemeinwesen der Landgrafschaft, das die landgräfliche Residenz Lich an Ausdehnung weit übertraf – ganz besonders lebhaft zu Tage getreten. Während bis dahin die einschlägigen Fälle vor dem gewöhnlichen Tribunal, dem Glaustädter Stadtgericht, zur Verhandlung gekommen waren, hatte der Landgraf seit vorigem Spätherbst einen bereits in anderen Staaten vielfach erprobten Hexenverfolger, den weit und breit gefürchteten Balthasar Noß, beauftragt, in Glaustädt einen besonderen Malefikantengerichtshof ins Dasein zu rufen. Dieser Gerichtshof, mit allen erdenklichen Machtvollkommenheiten und Privilegien ausgerüstet, arbeitete so streng und so grausam, daß man nachgerade von einer Art Schreckensherrschaft des Balthasar Noß reden konnte. Jedenfalls war es nicht ratsam, die Maßnahmen und Urteile des Blutgerichtes irgendwie zu bemängeln oder auch nur im allgemeinen die leisesten Zweifel an der Berechtigung des Hexenprozesses zu äußern. Beides hätte unfehlbar die peinlichsten Folgen nach sich gezogen. Man entsetzte sich nur im engsten Kreise, tadelte, wo man der Gleichgesinntheit und der strengsten Verschwiegenheit unbedingt sicher war, und hielt im übrigen an dem Grundsatz fest, im Zwiegespräch mit Fremden und Fernerstehenden die hier einschlägigen Fragen niemals zu streifen.

So unmittelbar wie jetzt war der Irrwahn des Zauber- und Hexenwesens niemals an Hildegard Leuthold herangetreten. Eine Sekunde lang kämpfte sie. Schon lag ihr ein Wort auf der Zunge, das die thörichte Fronbäuerin wahrscheinlich mit zagendem Grausen erfüllt haben würde. Aber zur rechten Zeit noch besann sie sich. Aendern konnte sie an dem Verhängnis, das den Kleinweiler so jählings ereilt hatte, doch nichts. Es wäre sonach der barste Wahnwitz gewesen, diesem abergläubischen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_327.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2022)