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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

umbrandete sie der blindwütige Haß. War sie denn wirklich so über Nacht eine andere geworden? Der Umschwung machte sie starr. Selbst die Abschiedsworte des jungen Arztes, die ihr so labend aufs Herz gefallen, übten jetzt keine Wirkung mehr. In dumpfer, lichtloser Verzweiflung schritt sie dahin, den Kopf gesenkt, die Augen glasig und vorquellend, als ging es schon jetzt hinaus nach dem Böhlauer Trieb, wo Balthasar Noß die Scheiterhaufen errichtete im Namen des Landgrafen …

Inzwischen war Doktor Ambrosius ins Haus zurückgetreten, um sich des Schreiners und dessen Töchterchens Elma anzunehmen. Er fand beide regungslos in der Wohnstube. Ruhloff, der Altgeselle, hatte das Kind vorsichtig auf die Polsterbank ausgestreckt. Da war sie zu sich gekommen und saß nun blaß wie ein Leintuch gegen die Wand gelehnt, während ihr Vater wortlos an der gebeizten Holztruhe stand und von den gutgemeinten Trostreden des Altgesellen ebensowenig berührt wurde wie von der mitleiderweckenden Haltlosigkeit Elmas. Auch Doktor Ambrosius merkte sehr bald, daß jedes Wort hier vergeblich sei. Karl Wedekind wußte so gut wie er selbst, was die Festnahme einer Beschuldigten unter der Schreckensherrschaft des Balthasar Noß bedeutete. Er dankte mit rauher, klangloser Stimme – kurz, abgerissen – und hatte dabei nur eine einzige krampfhafte Gebärde, das Spreizen und Wiederzusammenballen der Finger. Elma schwieg wie das Grab. Ihr Blick hatte sich forschend in das Antlitz des Mannes gebohrt, den sie im stillen so heiß verehrte, von dessen wirkender Kraft sie die höchste Vorstellung hatte. Aber die tiefe Trauer und Hilflosigkeit, die sich jetzt in den sonst so freundlichen, selbstbewußten und thatkräftigen Zügen malte, nahm ihr sofort jeden Zweifel. Sie sah es wohl, auch er konnte nicht helfen, trotz seiner zahlreichen Verbindungen, seiner großen Beliebtheit, seiner echt männlichen Tapferkeit. Diese furchtbare Erkenntnis gab ihrer letzten Hoffnung den Todesstoß. Und der Schmerz um die einzig geliebte Mutter, die nun einem so furchtbaren Schicksal entgegenging, lähmte sie vollständig.

Als sich der junge Arzt, den jetzt andre Verpflichtungen wegriefen, aus der Wohnstube entfernt hatte, zugleich mit dem Altgesellen – denn auch der sah nun ein, daß jede Mühe hier vorläufig umsonst sei – da warf sich Karl Wedekind plötzlich vor der Polsterbank, wo seine Elma saß, auf den Boden und stieß ein wildes Geheul aus. Sein verzerrtes Gesicht hob sich noch einmal zu Elma empor und schlug dann hart wie im gierigen Drange der Selbstvernichtung auf die sandüberstreute Diele. So blieb er stumm und ohne Bewegung ausgestreckt. Nur ab und zu ging ein flüchtiges Zucken durch seine breiten Rückenmuskeln.

Und Elma raufte ihr Haar, daß ihr die dunklen Strähnen wild um die Stirne hingen, und grub sich die Fingernägel tief in den Hals, wie eine, die sich erwürgen will. Das helle Blut floß ihr über die Hand. Die Sanftmut, das Erbteil der Mutter, schien untergegangen in der tobenden Kraft, die sie, trotz ihres zarten, schmächtigen Körpers, vom Vater hatte. Sie wagte es nicht, den wortlosen Schmerz des Verzweifelten, der da vor ihr am Boden lag, durch ihren Zuspruch zu stören. Endlich erhob sie sich. Es war schon vollständig Nacht. „Wollt Ihr nicht schlafen gehn, Vater?“

Der Mann richtete sich langsam auf. „Du noch da, Elma? Geh! Du bist ja doch krank! Wie könnt’ ich vergessen …“

Er fand jetzt in der Sorge um sein geliebtes Kind eine Ablenkung von der eignen unermeßlichen Qual.

„Komm, ich bring’ dich hinüber,“ stammelte er. „Du armes, armes, armes Geschöpf!“

Er stand vor ihr. Ein banger Seufzer hüben und drüben. Dann hielten sich Vater und Tochter laut aufschluchzend umfaßt und weinten zum Herzbrechen.

(Fortsetzung folgt.)0


Herzogin Sopie von Alençon.

Die furchtbare Brandkatastrophe in Paris am 4. Mai, wo sich binnen kurzen dreizehn Minuten ein in höchster Eleganz strahlender, reich dekorierter Wohlthätigkeitsbazar, der Sammelpunkt der ersten Gesellschaft, in eine grausige Flammenhölle voll Verzweiflungsgeschrei und Sterberöcheln verwandelte, dieses beispiellose Unglück hat nicht nur den französischen Adel, sondern auch zwei deutsche Fürstenhäuser in tiefe Trauer versenkt. Denn unter den Opfern, die schwarzverkohlt, bis zur Unkenntlichkeit entstellt, in schauerlichen Reihen gelagert, der Erkennung durch die Angehörigen harrten, befand sich auch die Herzogin Sophie von Alençon, eine bayerische Prinzessin und Schwester der Kaiserin von Oesterreich, die „Königsbraut“, wie sie noch heute in Bayern genannt wird, von der nun 30 Jahre zurückliegenden Zeit ihres Verlöbnisses mit König Ludwig II. her.

Prinzessin Sophie Charlotte Auguste, geb. den 22. Februar 1847, war das jüngste Kind des Herzogspaares Max und Ludovika in Bayern und wuchs gleich ihren älteren Schwestern in größerer Einfachheit und Freiheit auf als andere junge Prinzessinnen. Wohl war die Mutter, eine Schwester König Ludwigs I., eine stolze und formenstrenge Dame; der Vater aber, ein ungewöhnlich lebenslustiger, reich begabter und geselliger Fürst, verkehrte gern und viel mit Künstlern und Litteraten. Er versammelte wöchentlich um sich eine aus 14 Rittern bestehende „Tafelrunde“, welcher er als König Artus präsidierte, wobei es heiter genug zuging. Franz v. Kobell und der ausgezeichnete Humorist Graf v. Pocci fungierten als „Meistersänger“ und „Kanzler“, die anderen Würden waren an einen heiteren Freundeskreis von Kavalieren und Künstlern verteilt, die sich und den hohen Gastgeber völlig zwanglos in Prosa und Gelegenheitsversen ironisch zausten. Von ihm also hatten die Kinder das frische Lebensblut sowie die Neigung zu Kunst, Musik und Sport aller Art, dem sie in dem herrlich gelegenen Schloß und Park Possenhofen am Starnberger See nach Herzenslust nachgehen durften. Herzog Max, dessen Palais in München jahrzehntelang der Sammelplatz einer lebenslustigen, aus Adel, Beamten und Künstlern gemischten Gesellschaft war, glänzte besonders als berühmter Reiter. In seinem Palasthof stand ein eigener Cirkus, in dem er vor geladenem Publikum schöne Aufführungen der höheren Reitkunst veranstaltete und nicht verschmähte, gelegentlich zwischen den Produktionen der andern selbst auf einem seiner Prachtpferde Hohe Schule zu reiten. So saßen denn seine Töchter ebenfalls früh und fest im Sattel, sie ruderten und schwammen im Starnberger See und hatten bei dem fortwährenden Verkehr mit dem Landvolk den natürlichen Umgangston, der die Herzen sicherer gewinnt als vornehm herablassende Leutseligkeit. Auch ihr Bruder, der ausgezeichnete, von allen Kollegen hochgeschätzte Augenarzt Herzog Karl Theodor, verdankt seine große Popularität diesem vom Vater auf seine Kinder vererbten schlicht menschlichen Zuge. Von der Mutter freilich hatten sie die aristokratische Außenseite: schönere und stolzere Prinzessingestalten mit reicheren Haarkronen wird man selten sehen als die damals im Possenhofener Park wandelnden Schwestern: Elisabeth, die schönste von allen, die nachmalige Kaiserin von Oesterreich, dann die Königin von Neapel, die Gräfin Trani und die Herzogin von Alençon.

Die Gedanken aller Bayern wenden sich jetzt nach dem furchtbaren Ende der Letzteren wieder der Zeit zu, wo sie als Braut Ludwigs II. auf dem Gipfel des irdischen Glückes zu stehen schien. Gemeinsame Schwärmerei für Richard Wagner, den von der übrigen königlichen Familie bitter Gehaßten, soll das erste Band zwischen den beiden jungen Verwandten gewesen sein. Prinzessin Sophie war sehr musikalisch, sie sang die schwärmerischen Weisen Elsas und Sentas und fand bald einen begeisterten Zuhörer, an dem königlichen Vetter, dessen Leidenschaft für Schillersche Dramen sie ebenfalls teilte. So reifte diesem schnell aus der Bewunderung der Entschluß zur Werbung, welche seine Mutter, Königin Marie, in der ersten Morgenfrühe des 29. Januar 1867 ins herzogliche Palais brachte, und die feierliche Verlobung fand statt.

Wer damals das hohe, in Jugend und Schönheit strahlende Brautpaar betrachtete, wenn es sich öffentlich zeigte: den idealen König mit dem schwärmerischen Blick, die liebreizende Prinzessin an seinem Arme, der mußte sie für zwei märchenhaft Glückliche, hoch über den irdischen Unzulänglichkeiten Stehende halten. Aber die Gelegenheiten, sie so zu sehen, wurden immer seltener, und dreiviertel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_362.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)