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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

machen, scheute er doch nicht den Umweg über den Markt, um den beiden zu melden, daß vorläufig der Verhafteten nichts Uebles geschehen werde.

Er trat in den Hausflur und klopfte dreimal wider die Thür der Wohnstube. Da kam die Tochter des Zunftobermeisters von der Küche her auf ihn zu. Sie war jetzt eben mit Aufwaschen fertig geworden und band sich ein kurzes, rotlinnenes Hausschürzchen vor.

„Elma,“ sagte der junge Arzt, „ich möchte dir und dem Vater etwas berichten, was euch wohl freuen wird.“

„Freuen?“ wiederholte sie wehmütig. „Was könnte das sein?“

„Nicht viel, aber doch mehr als zu hoffen stand. Ihr werdet ja hören. Geh’ in die Werkstatt und ruf’ mir den Hausherrn!“

„Der Vater ist ausgegangen. Der liefert jetzt alles persönlich ab, weil er die Kunden warm halten will.“

„Wieso?“

„Nun, die springen ja leider Gottes schon da und dort ab, wegen des Unglücks, das uns betroffen hat. Und wenn der Vater nicht unausgesetzt schafft von morgens bis abends, dann packt’s ihn wie heller Wahnsinn. Aber Ihr könnt mir’s allein sagen. Ich will’s ihm schon ausrichten. Kommt hier ins Gärtchen! Da ist’s schattig und kühl – Und jetzt blühn auch die Moosrosen, die Ihr so gern habt!

Sie machte die schmale Flurtür auf und ging langsam voran. Es lag ein beklemmender Hauch von Trübseligkeit und Schlaffheit über der einst so lebhaften und beweglichen Fünfzehnjährigen. Die Augen blickten halb müde, halb angstvoll. Die Stimme klang eigentümlich gedämpft. Und doch hatte sich in ihr bei den Worten des Arztes etwas wie Hoffnung geregt. Ihr Herz sträubte sich nur, diese Anwandlung aufkommen zu lassen, da ihr vor der Wahrscheinlichkeit der Enttäuschung grauste.

Sie setzten sich in die rankenumwucherte Geißblattlaube. „Doktor Ambrosius!“ schluchzte sie leise. Dann, zu ihm aufschauend. „O, ich verstehe Euch wohl! Euch allein ist dieser Aufschub zu danken. Ihr vermögt, was Ihr wollt. Ihr lenkt Gesunde wie Kranke mit einem einzigen Blick!“

„Aber ich sage dir …“

Elma Wedekind ließ sich nicht irre machen.

„Ich danke Euch,“ sagte sie inbrünstig, „daß Ihr Euch meiner geliebten Mutter so gutherzig annehmt. Streitet’s nicht ab! Und fürchtet nicht, daß Ihr etwa durch mich ins Gerede kommt! Ich spreche kein Wort. Nicht einmal zu dem Vater. Dem sag’ ich nur, daß die Mutter einstweilen verschont bleibt. O, man wird vorsichtig, wenn man zu leiden hat! Und Ihr glaubt, daß mit der Vertagung etwas gewonnen ist?

„Unzweifelhaft. Wir haben ja Zeit, über die Mittel und Wege nachzudenken … Beweismittel zu schaffen … Verbindungen anzuknüpfen … Was kann sich nicht alles in fünf, sechs Wochen ereignen! Der Aufenthalt in den Kerkern des Stockhauses ist freilich an sich schon furchtbar … Aber vielleicht …“

Er unterbrach sich und fügte bewegt hinzu:

„Deine Mutter ist ja ein starkes Gemüt und voll ernsthaften Gottvertrauens. Ein frommgläubiger Christ überwindet alles.“

Dann, als wollte er ihre Gedanken von dieser Trübsal weglenken, rühmte er ihre Blumen, den buschigen Flieder, der noch nicht völlig abgeblüht war, die schönen Levkojen und vor allem die herrlichen Rosen, die auf den beiden Rabatten des Mittelwegs hier und da schon die prächtigsten Farben zeigten.

„Das alles ist mir jetzt öde geworden und gleichgültig,“ murmelte Elma. „Kaum, daß ich sie noch begieße – aus alter Gewohnheit. Am besten wär’s, die stünden auf meinem Grab.“

„Du armes Ding!“ sagte Ambrosius erschüttert. Er strich ihr freundlich über das dunkle Haar. „Du bist selbst so ein junges, knospendes Röslein und sprichst hier vom Sterben! Ja, es begreift sich! Wem’s in der Seele so weh ist … Aber der Mensch soll dem Geschick Trotz bieten. Kopf hoch, kleine Elma! Noch ist nicht alles verloren! Und was auch geschehen mag, vergiß nicht, daß du in mir einen Freund hast, auf den du vertrauen kannst!“

„Wirklich?“ fragte sie zögernd. „Manchmal glaub’ ich’s, manchmal auch nicht … Das heißt … Ach, vergebt! Ich rede da Thorheit! Hört nicht darauf! Ich weiß ja, Ihr meint es von Herzen gut … Das habt Ihr auch jetzt wieder gezeigt.“

Doktor Ambrosius war aufgestanden. Die letzten Worte hatte er kaum gehört. „Leb’ wohl, Kind!“ sagte er freundlich… „Ich muß jetzt fort.“

„Habt Ihr so große Eile?“

„Die allergrößte. Eigentlich war ich schon auf dem Wege zu guten Freunden, die mich seit drei Uhr erwarten. Aber ich wollte doch nicht verabsäumen, dir vorher noch die Nachricht zu bringen.

„Wo geht Ihr hin?“ fuhr Elma heraus. „Nach der Grossachstraße?“

„Wie kommst du darauf?“

„Nun, ich meinte nur …“

„Ja, nach der Grossachstraße. Du scheinst ja recht bewandert in meinen gesellschaftlichen Beziehungen.“

Elma errötete. „Wenn man so herzlich Anteil nimmt …“, stotterte sie und blickte zu Boden. „Der Gärtner, der mir den Brief gab, sagte doch auch, er käme von der Wirtschafterin des Magisters Leuthold …“

„So ist’s. Der Mann hat heute Geburtstag. Und was ich noch sagen wollte, vergiß nicht, was du versprochen hast! Sei in Worten und Werken scheu gegen jedermann! Du wirst jetzt beobachtet.“

„Unbesorgt! Ich will schon auf meiner Hut sein. Noch was: ich dank’ Euch von Herzen! Und seid recht froh und vergnügt heute! Es ist gerade genug, wenn mein Vater und ich uns abhärmen. Euch darf das nicht weiter die Laune stören. Die schöne Tochter des Herrn Magisters würde ja wohl auch wenig erbaut sein, wenn Ihr etwas von unsrer Qual mit in ihr sonniges Heim brächtet.

Doktor Ambrosius drückte ihr seufzend die Hand. „Ich will’s versuchen, das Schwere und Traurige für ein paar Stunden hintan zu halten! Das Leben ist hart, man muß mit den Augenblicken der Lust geizen. Zumal wir Aerzte, die wir tagtäglich, auch ohne besondre Ereignisse, Jammer und Not sehen.“

Elma nickte. Schweigend gab sie ihm das Geleit bis zum Ausgang. Als die Thür hinter dem rasch Enteilenden sich geschlossen hatte, blieb sie ein Weilchen stehen und musterte traumverloren den kleinen Pfirsichbaum, der dicht neben der Schwelle aus einem halbrunden, steinumfriedigten Beet emporwuchs und mit Eisendraht und Nägeln an der Hausmauer befestigt war. Das Bäumchen war ihr besonderer Schützling. Es hatte zum Lohn für die eifrige Pflege, die sie ihm widmete, ganz wunderherrlich geblüht und zahlreiche Früchte angesetzt. Nun war ihr der Liebling von einst so gleichgültig geworden. Sie hatte ihn gestern nicht einmal, wie sonst, mit Brunnenwasser getränkt. Die Erde da hinter den spitzen Randsteinen war staubgrau und wollen. Elma staunte nicht sehr. Heut’ gegen Abend wollte sie’s nachholen – wenn sie’s im Bann ihres Kummers nicht auch heute vergaß.

Schwer atmend machte sie kehrt, schlich ein paarmal den Mittelweg auf und ab, schob gedankenlos hier und da einen Rosenschößling zurecht und setzte sich wieder auf die jetzt eben verlassene Bank in der Geißblattlaube.

Es war ihr todtraurig ums Herz, trotz der verheißenden Botschaft des Doktor Ambrosius. Daß er, schon auf dem Weg nach der Grossachstraße, hier noch einmal bei ihr vorsprach, um einen Tropfen Balsam in ihre brennenden Wunden zu träufeln, rührte sie tief. Seit er jedoch von ihr Abschied genommen, sank ihr völlig der Mut. Es war, als sei ihre kaum erwachte Hoffnung mit ihm davongewichen. Was half es auch, wenn ihre Mutter jetzt einige Wochen im Kerker schmachtete, ohne verhört zu werden? Sobald Doktor Xylander von seinem Aufenthalte in Lynndorf oder in Königslautern zurückkehrte, mußte die Sache ja doch mit verdreifachter Schnelligkeit ihren Lauf nehmen! Und was auf Gottes weiter Welt sollte sich wohl inzwischen ereignen? Ja, wenn der Himmel einstürzte und die Erde begrub, dann war alles zu Ende! Oder wenn Gott der Allmächtige ihre Mutter hinaufberief in sein ewiges Paradies, eh’ noch ein Folterknecht sie berühren konnte!

Elma stützte das Kinn mit der Handfläche und starrte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_410.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)