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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

das die Gerichtes an, ob ich ’n Mann hab’ oder nich, und was ’n Beleidigung, mir unverehelicht zu nennen, was ja ein ganz gräsiges Schimpfwort is! Du mein Gott, womit hab’ ich das verdient, daß mir die Gerichtes noch verschimpferen, wo ich noch niemals was gestohlen hab’? Der Brief is nich for mir!“

Es half kein Zureden, Krischane wollte den Brief nicht öffnen, obgleich sich allmählich die ganze Familie um sie versammelte und ihr Ratschläge gab. Erst als unser Vater kam, öffnete er das Schreiben für sie, that einen flüchtigen Blick hinein und sagte dann, sie solle zu ihm auf sein Zimmer kommen. Krischane gehorchte zitternd; als sie nach einer halben Stunde wieder erschien, hatte sie stark geweint, sah aber sonst ganz gefaßt aus.

„Nun, was war denn die ganze Geschichte?“ fragte Herr Nottebohm. Er trank gerade Kaffee im Eßzimmer und sah ungewöhnlich neugierig aus. Krischane setzte sich ihm gegenüber und stemmte beide Arme auf den Tisch.

„Nottebohmen,“ sagte sie strenge, „Sie haben sich um nix, um rein gar nix zu kümmern, denn Sie sind ein slechten Mann, wenn Sie auch jedwede Mittewoche und Sonnabend was aus Schröder sein Toppografie lesen, was ja woll ein gräsig gelehrtes Buch is. Und ich will Sie das auch ganzen gewiß nich verzählen, daß mein Onkel Detlev Piepgras in Krempe, mit Verlaubnis zu sagen, totgeblieben is und ich nu alles krieg’, was er hat. Siebentausend preusche Thalers mit ’n Haus und Garten. Und vermacht hat er mich das natürlicheweise nich, abers weil da kein Testament is und er von den Wagen rabgefallen und ganzen plötzlich verstorben is und weil da kein’ andere Leibeserben sind, so – sie unterbrach sich kurz „Nee, Nottebohmen, man nich so ankucken! Sie wissen woll selbst am besten, was Sie for einen sind.“

Nein, Krischane wollte keinem Menschen von ihrer Erbschaft erzählen, aber nach einer Stunde wußten die Leute im Hirschkrug nicht allein von allem Bescheid, auch Frau Bierkraut, die gerade angefahren kam, erging sich in herzliche Glückwünsche. Es war, glaube ich, das erste Mal, daß Krischane und Mutter Bierkraut sich miteinander unterhielten, ohne sich gegenseitig die liebenswürdigsten Beinamen zu geben. Aber Krischane dachte nicht an Schelte; sie war ganz „verbahst“, wie sie uns den ganzen Abend versicherte, und hörte geduldig zu, als Mutter Bierkraut ihr die verschiedenartigsten Ratschläge gab, um ihr Geld zu verdoppeln, ja zu vervierfachen.

Es war selbstverständlich ein interessanter Tag für uns, und auch am folgenden sprachen wir noch viel über Krischane und ihre Erbschaft. Sogar Herr Nottebohm beteiligte sich an der Unterhaltung und sagte allerlei kluge Dinge über unerwartete Erbschaften und daß er auch einen Onkel gehabt hätte, der plötzlich gestorben sei. Aber er hatte leider acht Kinder und noch dazu kein Vermögen gehabt, so daß sein Tod für die Anverwandten nicht weiter erfreulich gewesen war.

Krischane war in den nun folgenden Tagen recht unausstehlich, was besonders unsere Mutter mit Seufzen bemerkte. Denn erstens kochte sie übernatürlich schlecht und erklärte zu ihrer Entschuldigung, dies käme daher, weil sie die Nacht aus Angst vor Dieben, die in Krempe ihr Eigentum stehlen könnten, nicht schliefe. Dann aber saß sie in allen freien und unfreien Stunden mit Mutter Bierkraut zusammen, die plötzlich einen andern Menschen angezogen hatte und so freundlich war, wie man es kaum für möglich gehalten hätte. Der Fisch- und der andere Kleinhandel der liebenswürdigen Dame schien ihrem Sohn Fite übertragen zu sein, sie selbst gab sich Ferien, saß stundenlang auf unserm Hof vor der Küche, und sie und Krischane flüsterten und berieten wohl stundenlang.

Einige Tage ließ meine Mutter die Haushälterin in Anbetracht des glücklichen Ereignisses gewähren, dann aber meinte sie, es sei wohl richtiger, daß Krischane unsern Dienst verließe und sich zu ihrer Erbschaft nach Krempe begäbe. Ich begegnete ihr gerade, als ihr diese Mitteilung gemacht worden war, und sie nickte mir trotzig zu.

„Ja, Kind, nu muß ich reisen! Und bloß darum, weil ich siebentausend Thalers geerbt hab’ und ein büschen viel an mir denke! Warum kann ich denn nich auch mal an mir denken? Was geht mir das an, wenn ihr mal ein büschen salze Suppe kriegt? Dein’ Mutter kann gern noch ein büschen Geduld mit mich haben, wo ich doch selbste noch nich genau weiß, ob ich’s thu, oder ob ich es nich thu’!

„Was willst du vielleicht thun?“ fragte ich neugierig, während sie langsam neben mir herging. Wir hatten uns im Garten getroffen, wo ich den Auftrag hatte, Blumen zu pflücken.

„Darüber sprech’ich nich!“ sagte sie würdevoll. „Bierkrautsch sagt auch, snacken schadet bloß, so lang noch nich alles in Ordnung is. Fite will ja nich. Er sagt, er kriegt so furchtbar das Gräsen, wenn er an Heiraten denkt, und ich muß mich das auch noch sehr überlegen. Den Bierkrautsch is recht ausverschämt, wo sie nich allein ein neues Pferd, sondern auch noch ’n Wagen haben will und von ’n Sofa in ihr’ beste Stube und ein’ neue Federdecke für ihr Bett hat sie auch noch gesnackt. So was kost’ doch bannig Geld und ich weiß gar nich, ob mich die Geschichte das wert is. Er is ja ein ganzen smucken Jungen, abersten –“

„Was meinst du eigentlich?“ fragte ich mit weit aufgerissenen Augen.

Krischane, die halb in Gedanken die Worte vor sich hingemurmelt hatte, fuhr etwas zusammen.

„Pflück’ du dein’ Blumen und laß das Fragen!“ bemerkte sie. „Ich kann snacken, was ich will, und wenn dein Mutter mich aus ’n Haus smeißt, denn muß ich mir ja beeilen. Wo ich sonsten die Sache mich noch überlegt hätte und gelegentlich auch mit Nottebohmen ein Wort snacken thät. Er is ja ein slechten Mensch, kein ein weiß das so genau wie ich, aberstens ein Studierten is er auch und könnt’ mich ja doch ein’ Rat geben. Denn teuer is es und was ich for mein Geld krieg’, kann ich noch so ganzen genau nich sagen, wenn er auch ein netten Jung’ is. Aberstens ein Pferd und ’n Wagen und denn noch ein Sofa –

Sie stockte plötzlich und sah nach dem Gartenthor hin, durch das gerade Herr Nottebohm ging. Es war nämlich am späten Nachmittage, und der Kandidat schien seinen abendlichen Spaziergang zu machen, der manchmal mit einem Besuche im Hirschkrug endete.

„Er hat ein Loch auf ’n Ellenbogen und kein ein stoppt ihn das!“ bemerkte Krischane. „Und dorbei is sein Vater Sneider gewesen, was doch ein Geschäft is, wo man nähen bei lernt. Aber so is das mit die Gelehrsamkeit.

„Jürgen sagt, Herr Nottebohm wäre gar nicht so gelehrt!“ sagte ich. „Im Lateinischen und im Griechischen weiß er gar nicht viel und wenn Papa nicht wäre –.“

„I, so kuck’ mich mal den Grünsnabel an!“ schalt Krischane. „Was weiß so ’n Kiekindiewelt vons Lateinische und vons Griechische! Nottebohmen weiß genug for so’n Kinners, als Ihr seid! Wenn er nich so ’n slechten Mann wär’ und meinen Brief gelesen hätt’ – damalen, als er soviel Briefens kriegte und kein ein ihn doch paßte, denn – – Kind, kuck’ mir nich so an und pflück’ dein Blumens! Ich sprech’ gar nich mit dich – ich snack ein büschen mit mich ganzen allein, was auch ’n Erholung is, wenn man von sein Stelle gekündigt is, wo man noch gar nich abgehen wollte. Zu November wollte ich ja natürlicheweise fort, wo ich doch nach mein Haus sehen muß und nach mein Vermögen und auch nich mehr nötig hab’ zu dienen abers nu in August paßt mich das ganzen und gar nich. Denn ich hab’ mir noch nich über alles besonnen!

Herr Nottebohm war schon lange verschwunden, Krischane aber stand noch immer und sah die Gartenthür an, aus der er gegangen war. Sie seufzte dabei, sagte, er wäre ein schlechter Mann, und fuhr Trina, unser neues Hausmädchen, sehr unfreundlich an, als diese erschien, um ihr zu melden, daß Frau Bierkraut sie sprechen wolle. Aber dann ging sie doch zu ihr, und als ich später über den Hof ging, saßen Krischane und ihre Freundin eng aneinander gedrückt auf der Steinbank an der Küchenseite und flüsterten eifrig zusammen.

Einige Tage waren vergangen, da kam Milo zu uns ins Zimmer gestürzt, wo wir alle auf Krischane und den Nachmittagskaffee warteten. Herr Nottebohm war auch schon lange da und hatte halb in Gedanken bereits einen ganzen Teller mit Butterbrot aufgegessen.

„Kaffee kriegt ihr heute alle nicht!“ schrie Milo triumphierend. „Krischane hat es selbst gesagt. Sie kehrte sich den Deubel an unsern Kaffee, sagte sie, als ich sie fragte, weshalb sie immer draußen auf der Bank vor der Küche sitzen wollte!

„Weshalb sitzt sie denn da?“ fragte Herr Nottebohm.

„Ja, das weiß ich nicht. Fite Bierkraut sitzt neben ihr und sie hat ihn an der Hand gefaßt. Er weinte gerade furchtbar, als ich vorüberging, und Krischane sagte zu ihm, wenn er nicht gleich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_424.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)