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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

befragen. Besonders das Tierkreisorakel erfreute sich lebhafter Inanspruchnahme. In einem Blechkasten mit Wasser standen zwölf Blechbehälter aufrecht, welche die Namen der betreffenden Sternbilder trugen. Inmitten des Bassins war eine Vorrichtung, durch die man mittels Druckes auf eine Schweinsblase im Wasser eine Nixe von Glas erscheinen lassen konnte. Auf welchen der Blechbehälter das Nixlein zuschwamm, dem wurde die gedruckte Weissagung entnommen und den Fragestellerinnen – denn solche waren es zumeist – ausgehändigt. (Vgl. die Abbildung S. 437.)

Daß anjetzo allhier ankommen ist ein lebendiger RHINOCEROS, der nach vieler Gedancken der Behemoth seyn solle, nach der Beschreibung Hiobs, Cap. 40. V. 10. Es ist Verwunderns würdig vor einem Jedweden, der dasselbe kommt zu sehen: und ist das erste Thier von dieser Sorte, welches hier ist gewesen; ist ohngefehr 8. Jahr alt, etc. etc.
Meßzettel: Ankündigung des ersten Rhinoceros im Jahre 1746.

Neben der inneren Stadt wurde der Platz vor dem Grimmaischen Thore, der jetzige Augustusplatz, vom Meßverkehr schon in frühester Zeit stark in Anspruch genommen. Unser Bild (S. 440.), welches ebenso wie das untenstehende der Wagenburg auf dem Fleischerplatze einem im Besitze des Museums des Vereins für die Geschichte Leipzigs befindlichen Bildertableau entnommen ist, stammt aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Schon ist der Meßhandel, wie wir an den belebten Verkaufsständen sehen, in vollem Gange, aber noch immer wird der Meßstadt durch das Grimmaische Thor in langen Wagenreihen neue Ware zugeführt. Seitdem hat dieser Platz freilich ein anderes Gesicht bekommen. Das Grimmaische Thor ist längst gefallen und der Augustusplatz mit seinen 39 400 Geviertmetern Flächenraum, seinem weiten Kranze stattlicher Monumentalbauten gilt nicht nur als einer der größten, sondern auch schönsten Plätze Europas. Das Meßgetriebe auf ihm ist noch stärker geworden, nachdem man die Verkäufer mit ihren Buden von den Straßen der inneren Stadt hierher verwiesen hat. Früher schon hatte man – um Raum für all die Buden und Stände zu schaffen – die großen Rasenbeete von einst entfernt und nur ein kleinerer Teil des Platzes durfte fürderhin noch mit gärtnerischen Anlagen geschmückt werden. Heute reiht sich Bude an Bude zu langgestreckten Zeilen, zwischen denen die kauflustige Menge sich drängt – ein Treiben, das an manchen Tagen einen mächtigen Eindruck hinterläßt. Unsere Abbildung (S. 429) gewährt uns einen Blick auf den mit Budenreihen bedeckten Platz, im Vordergrunde des Bildes sehen wir den mit einem Obelisken gezierten Mendebrunnen, im Hintergrunde das prachtvolle Neue Theater. Einen nicht minder großartigen Anblick bietet das Leben im Innern der Stadt. Unser Bild S. 441 stellt die Petersstraße in der Gegenwart dar, die zu Meßzeiten mit ihren unzähligen Firmenschildern bis zu den Dächern hinauf ein höchst eigenartiges Aussehen annimmt.

Leipzig hat sich von jeher um die Erhaltung seines Kleinods, der Messen, in berechtigter Sorge befunden und sollte deshalb bis in die neueste Zeit nicht zur Ruhe kommen. Als man nämlich im Jahre 1892 mit Rücksicht auf die auch in Europa um sich greifende Cholera und die Gefahr einer Einschleppung derselben die Herbstmesse ausfallen ließ, suchte die deutsche Reichshauptstadt die Messen an sich zu ziehen. Die durch das Vorgehen Berlins drohende Gefahr veranlaßte nun aber Leipzig, alles aufzubieten, die Messen sich nicht nur zu erhalten, sondern sie in jeder Weise zu fördern und zu vervollkommnen. Die Handelskammer begann im Verein mit dem Rat der Stadt und unterstützt von der Regierung des Landes eine fieberhafte Thätigkeit. Man mußte zugeben, daß die Messen in einigen ihrer Teile zurückgegangen waren, suchte nach den Gründen dafür und fand Mängel, die beseitigt werden mußten. Da machte sich vor allem eine teilweise Früherlegung der Messen nötig, weil ihre Termine zur Deckung des Bedarfs für die Saison zu spät fielen. Die Dauer der Neujahrsmesse ward nunmehr vom 3. bis 16. Januar und die der Ostermesse vom Sonntag Quasimodogeniti bis zum Cantatesonntag, mit dem die mehrtägige Buchhändlermesse beginnt, festgesetzt, während die Michaelismesse fortan schon am letzten Sonntag im August anfängt und 22 Tage währt. Alle möglichen Erleichterungen und Verbilligungen zum Teil durch eine neue Meßordnung, wurden für den Meßverkehr geschaffen.

Was den Rauchwarenhandel, den Buchhandel, der seit dem Niedergang der Frankfurter Messe nach dem Dreißigjährigen Krieg in der Pleißestadt seinen Hauptsitz und seine eigenartige Messe hat, und moderne Zweige anbetrifft, so stehen Leipzigs Messen noch heute auf ihrer vollen Höhe. Aber der Kleinhandel, der früher für die ganze zwischen den Messen liegende Zeit den Bedarf großer Gebiete zu decken hatte, ist zurückgegangen und dient heute fast nur noch den örtlichen Bedürfnissen. Daran war nun freilich nichts zu ändern, denn dieser Rückgang war durch die Erfindung der Eisenbahnen, des Telegraphen, durch die billige Postpaketbeförderung und andere Verkehrserleichterungen hervorgerufen worden. Dagegen erkannte man wohl, welche Bedeutung der Musterlagerverkehr gewonnen hatte, und daß derselbe noch einer großen Ausdehnung fähig sein würde. Diese Einsicht zeitigte die Einrichtung einer Vormesse für die keramischen, Bronce-, Kurz-, Galanterie-, Spiel- und andere Waren verwandter Geschäftszweige, welche vom ersten Montag im März bis zum Sonnabend der darauffolgenden Woche abgehalten wird.

Die Wagenburg auf dem Fleischerplatze während der Messe (1820-40).

An der Stelle, wo das alte Gewandhaus und das Konservatorium standen, welche durch neue Gebäude im Südwesten der Stadt ersetzt sind, also zwischen Neumarkt und Universitätsstraße, wurde mit einem Kostenaufwand von 900 000 Mark ein hohes „Kaufhaus“ errichtet, um geeignete Räume zum Unterbringen der Musterlager zu schaffen. In diesem nun und den umliegenden Häusern kann man zur Zeit der Messe viel herrliche Dinge, teilweise von märchenhafter Pracht, bei einander sehen, und bei einer Wanderung durch all die Räumlichkeiten, von denen jede einen Bazar für sich bildet, wird man des Schauens und Bewunderns nicht müde. Hier finden also die Käufer Fabrikanten oder Vertreter derselben mit ihren Musterlagern in bequem beieinanderliegenden Räumen vor und können so mit größter Zeitersparnis die verschiedenen Erzeugnisse miteinander vergleichen und das ihnen passend

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_439.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)