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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Frau Bierkraut ist doch jetzt sehr oft hier!“ bemerkte ich.

„Nu ja,“ versetzte sie kurz. „Is ja auch mein Swiegermutter! Na –“ sie schwieg eine Zeit lang, ehe sie weiter sprach. „Wenn ich Fite nu man erst glücklich hab’, denn soll mich die Alte auch nich ümmerlos zwischen reden und Geld aus mich slagen, was nich schön is, wo ich doch mein’ Erbschaft noch nich hab’ und allens nehmen muß, was ich mich for mein Alter auf die Sparkasse gelegt hab’. Abers wenn ich Fite man erst hab’, denn is allens besser. Er is doch ein netten Jung’ und hat auch ein gutes Gemüt; wenn ich mir schon wundern muß, daß er gar nich ein büschen wie ein Bräutigam und auch gar nich ein büschen zärtlich is!“

Sie seufzte tief auf bei diesen Worten und ging dann schnell aus dem Zimmer. Am Nachmittage also gingen wir zu Frau Evers. Eigentlich sollte ich ja allein meine Rede halten, aber Krischane kam doch mit hinein in die Kate und machte einige Bemerkungen, die auf Frau Evers eine beruhigende Wirkung zu üben schienen. Denn nachdem sie einige Worte über das frühe Wecken der Brüder gesagt hatte, wollte sie mir durchaus einen alten Schlüssel schenken, der, wie sie behauptete, von Gold war und den sie einmal auf der Straße gefunden hatte. Auch Perle wedelte mich an und der Friede wurde sehr schnell geschlossen.

„So, nu wollen wir noch ein büschen auf Friederikenruhe sitzen!“ meinte Krischane, als wir Abschied genommen hatten, und dann stiegen wir beide durch ein wenig Unterholz und Gestrüpp auf die nur etwa hundert Schritt entfernte Anhöhe. Wir waren fast schon oben und ich, die ich voranging, wollte gerade aus den Büschen auf den freien Platz mit den Tannen und dem Bänkchen treten, als Krischane mich plötzlich zurückriß und mir ihre Hand fest auf den Mund legte. Ehe ich mich von meinem Erstaunen erholen konnte, sah ich Fite Bierkraut mit einem Mädchen auf der Bank sitzen, in der ich bald unser früheres Hausmädchen Liese erkannte. Beide hatten sich umgefaßt und beide weinten.

„O, mein Fite!“ stöhnte Liese gerade jetzt und Fite rieb sich die Augen.

„Ja, mein’ klein’ süße Deern, helfen thut mich niemand mehr. Heiraten muß ich das alte Gespenst. Die Altsche slägt mir sonst tot. Abers, abers –“ er streckte die Hand aus und ballte sie, „gut soll sie es nich bei mich haben! Da kannst Gift auf nehmen! Ich slag’ ihr, ich hau’ ihr, ich – ich – er stockte, weil er entschieden nicht weiter wußte, während Liese sich fester an ihn schmiegte.

„Das thu’ man, mein Fite!“ sagte sie zärtlich und lehnte schluchzend ihren Kopf an seine Schulter. Es sah wirklich rührend aus und ich hätte den beiden noch gern eine Weile zugehört; aber Krischane, die längst die Hand von meinem Mund genommen hatte, zerrte mich jetzt durch das Gestrüpp wieder den Hügel hinunter.

„Sweig still!“ sagte sie, als ich eine leise Einwendung wagte, und dann sprach sie erst wieder, als wir uns beide auf dem Feldwege befanden, der nach Hause führte.

„Du mein Herrgott!“ sagte sie. „Was ’n Bewahrung! O du mein Heiland, was ’n Glück was ’n großartige Bewahrung! In meinen Tod wär’ ich gegangen – ich – wo Bierkrautsch immer hinter mich her is, daß ich mein Testament machen soll. So? Sie blieb stehen und ihre Stimme, die bis dahin einen unterdrückten Ton gehabt hatte, klang plötzlich schrill und drohend. „So? Hauen will er mir? Der Jung’, der noch nich trocken hinter die Ohrens is und der noch letzten Weihnacht’ Släge von sein’ Mutter gekriegt hat, weil er ein’ Cigarre rauchte und krank wurde – hauen will mir der?“ Sie hatte mich losgelassen und meine Gegenwart gänzlich vergessen. Mit den Armen focht sie in der Luft herum, ihr weißer, mit Kornblumen verzierter Strohhut war ihr in den Nacken geglitten und ihre Wangen glühten wie Fieber.

Ich hatte förmlich Angst vor ihr, als sie aber jetzt schwieg, fragte ich doch. „Krischane, sprachen sie eigentlich von dir?“ Sie sah mich starr an, dann lachte sie kurz auf.

„Ja natürlich, das kannst doch woll hören. Slagen will er mir, hauen, und denn hat Bierkrautsch mich noch gestern abend die Rechnung für den neuen Wagen gebracht. Zweihunnert Mark! Und dat Peerd is all betalt van min Sporkassenbok und den Koopmann, wo dat Sofa stünn – sie war so aufgeregt, daß sie reines Plattdeutsch sprach, was sie sonst niemals that. Auf meine Zwischenfragen achtete sie überhaupt nicht mehr, und plötzlich stürmte sie querfeldein mit so langen Schritten, daß ich ihr nicht folgen konnte. Auf dem Landweg rasselte nämlich ein kleiner Wagen über die holperige Wegeverbesserung, und es konnte schon sein, daß es Mutter Bierkraut war, die in dieser Zeit noch manchmal bei uns erschien. Einen Augenblick hatte ich große Lust, hinter Krischane herzulaufen und zu hören, was sie mit ihrer zukünftigen Schwiegermutter unter den obwaltenden Umständen sprechen würde, aber da kam gerade Herr Nottebohm gegangen, mit dem mich in diesem Jahre eine Art Freundschaft verband. Er hatte mir schon mehrere mal dieselbe Geschichte erzählt und sich auch angeboten, mir bei meinen Ferienarbeiten zu helfen, ein Anerbieten, das mich meine Bücher auf unbestimmte Zeit fortpacken ließ und mich in dem festen Glauben bestärkte, daß am letzten Tage der Ferien ein Wunder passieren und alle Arbeiten auf einmal fertig sein würden.

„Was ist denn mit Krischane los?“ fragte Herr Nottebohm, der jetzt neben mir stand und auch sah, wie Krischane über einen ziemlich hohen Zaun kletterte.

„Ich glaube, Mutter Bierkraut kommt und sie will ihr etwas über Fite sagen,“ berichtete ich eilfertig. „Fite sitzt nämlich mit Liese auf Friederikenruhe und er will Krischane hauen!“

Herr Nottebohm stand regungslos neben mir. Nun nahm er plötzlich seinen hohen Hut ab, den er noch immer trug und der schon ganz braun geworden war.

„Das kommt davon!“ sagte er, während er die wenigen Haare des Cylinders vorsichtig glatt strich. „Das kommt davon!“

„Wovon?“ fragte ich, an seiner Seite nach Hause gehend. Er antwortete aber nicht, sondern ging in seiner gebückten Haltung weiter, bis vom Wege her lautes Schreien und Keifen an unser Ohr schlug und ich stehen blieb. Frau Bierkrauts Stimme war deutlich zu erkennen und auch die Krischanens hörte man in den schrillsten Lauten.

„Herr Nottebohm,“ sagte ich atemlos vor Neugierde, „wollen wir nicht einmal hingehen und zuhören?“

Aber der Kandidat sah plötzlich ganz strenge aus.

„Komm’ du nur mit mir nach Hause! Alle Dinge schicken sich nicht für kleine Mädchen! Vor allem dürfen sie nicht neugierig sein!“ setzte er in einem so strengen Tone hinzu, daß ich ganz zerknirscht neben ihm heimwärts ging. Das war eigentlich dumm von mir und die Brüder schalten mich nachher sehr aus, denn nun hatte kein Mensch die Unterhaltung zwischen Krischane und der alten Bierkraut angehört und niemand wußte, was aus der ganzen Geschichte geworden war. Denn obgleich wir Krischane in den nächsten Tagen mit allerhand Fragen bestürmten, so gab sie uns keine Antwort und war überhaupt so unfreundlich, daß wir ihr soviel wie möglich uns dem Wege gingen. Nur bei unserer Mutter war sie längere Zeit gewesen und hatte sehr geweint, wie Milo berichtete, der sie aus dem Zimmer von Mama hatte kommen sehen. Das Resultat dieser Unterredung erfuhren wir nicht, eines Tages aber war Krischane …verschwunden, eine andere Haushälterin nahm ihre Stelle ein, und das Leben ging seinen ganz gewöhnlichen Lauf weiter. Auch Frau Bierkraut kam wieder auf den Hof gefahren, um frische und geräucherte Fische zu verkaufen. Fite war allerdings nicht mehr in ihrer Begleitung, da sie aber ein neues, ziemlich nettes Pferd und auch einen neuen Wagen hatte, so mußte die Freundschaft mit Krischane doch wohl noch bestehen, obgleich Mutter Bierkraut verdrießlicher als jemals war und uns niemals ansah, geschweige denn ein Wort mit uns sprach.

Wir würden uns aber doch einmal an sie gemacht und sie nach Krischane gefragt haben, wenn uns Herr Nottebohm in diesen Tagen nicht mehr beschäftigt hätte. Er war plötzlich ganz anders wie sonst geworden. Er aß fast gar nichts, was man sonst wahrlich nicht an ihm kannte, er sagte auch kein Wort mehr außerhalb der Stunden und er konnte stundenlang in der Pfeifenblattlaube sitzen und thatenlos vor sich hinstarren. Als einmal Milo ihm den Band von Schröders Topographie nachbrachte, erhielt er eine Ohrfeige, die den harmlosen Jungen mit grenzenloser Entrüstung erfüllte, denn er hatte es doch nur gut gemeint. Da Herr Nottebohm auch in den Stunden eine Strenge hervorkehrte, die ihm früher fremd gewesen war, so beschäftigten sich die Gedanken der Brüder viel mehr mit ihm als sonst, und wenn ich einmal anfangen wollte, von Krischane zu sprechen, dann hieß es, ich solle nur ganz still sein, so lange Herr Nottebohm so scheußlich sei, könne niemand mehr an die alte Person denken.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_442.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)