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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

kannte der amtstreue Jurist kein Paktieren. Adam Xylander zog sich in Eile um, setzte die Mütze auf, steckte den Brief in die Brusttasche und machte sich auf den Weg zu Balthasar Noß. Unter dem Hinschreiten übersann er bereits den Fall und den mutmaßlichen Gang der Verhandlungen. Zwischendurch beschäftigte ihn doch auch die Frage, wer diese wohlgesetzte, fachkundige Denunziation verfaßt haben möge. Jedenfalls ein gebildeter, weltkluger Mann, der ihm persönlich wohlwollte. Er riet auf dieses und jenes Mitglied des Rates, zuletzt sogar – wegen der augenscheinlichen Sympathie für den Vater der Inkulpatin – auf das weinfrohe Stadtoberhaupt, Herrn Georg Kunhardt. Den wirklichen Urheber jedoch der schmachvollen Epistel streiften die blitzartigen Einfälle Xylanders durchaus nicht. Keine Persönlichkeit lag ihm ferner als der Hausnachbar der Familie Leuthold, Henrich Lotefend.

In der That war es der reiche Tuchkramer, den die Verzweiflung seiner enttäuschten Leidenschaft zu diesem gräßlichen Schritte verleitet hatte. Er spielte hier ein entsetzlich gewagtes Spiel, aber er glaubte doch immer noch an die Möglichkeit des Gewinnens. Er wollte ja keineswegs die Qual und den Tod Hildegards, seine Berechnung zielte nach wie vor auf ihren Besitz. Nach unsäglichem Hin- und Hergrübeln war er auf den Gedanken verfallen. Jetzt könne ihm nur noch eins die Neigung dieses widerspenstigen Herzens erobern – wenn Hildegard nämlich in eine furchtbare Gefahr käme, aus der seine Findigkeit und Macht sie befreien würde. Um eine solche Gefahr nun heraufzubeschwören, fand er bei allem Erwägen und Forschen nichts Wirksameres als diese heimtückische Denunziation. Jede Möglichkeit hatte er sorgfältig in Betracht gezogen, den ganzen Boden der Sachlage gründlich erforscht und vielerlei mit Eifer und Scharfsinn vorbereitet. Henrich Lotefend verhehlte sich nicht, daß ihm die ganze Berechnung fehlschlagen, daß sich das Netz des Unheils über dem Haupte Hildegards bis zur Unlösbarkeit zuziehen konnte, aber das hielt ihn nicht ab, den einzigen Weg, den er jetzt noch vor Augen sah, rückhaltslos zu beschreiten. Wenn es dann im entscheidenden Augenblick nicht mehr gelang, die rollende Kugel im Laufe zurückzuhalten – – nun, so war es für den tolleifersüchtigen Mann immer noch zehnmal erwünschter, Hildegard ging elend zu Grunde, als daß sie in jauchzender Seligkeit das Weib eines andern wurde.

13.

Balthasar Noß wohnte dicht neben dem Stockhaus. Der hohe steinerne Bau, dessen ganzes Mittelgeschoß man ihm eingeräumt hatte, umfaßte verschiedene Abteilungen des Stadtgerichts und vor allem das furchtbare Tribunal, bei dem Balthasar Noß den Vorsitz führte. Unten zu ebner Erde befand sich die Hauptwache der Stadtsoldaten.

Im Gegensatz zu dem windschiefen Geierhäuschen waren die Wohnräume des Balthasar Noß beinahe verschwenderisch eingerichtet. Persische Teppiche und farbenglühende Ottomanen, Ziertische und kostbare Spiegel, prunkvolle Vasen und schwersilberne Hängelampen verrieten den Wohlstand und die genußfrohe Prachtliebe des Insassen. Herr Noß hatte sich ja im Lauf seiner vieljährigen Thätigkeit als Hexenverfolger ein großes Vermögen gesammelt.

Der gefürchtete Mann saß gerade bei Tisch, als Doktor Xylander keuchend und schweißtriefend ins Haus trat. Ein dralles, üppiges Landmädchen, das Herr Noß scherzenderweise in den blühenden Arm kniff, hatte jetzt eben den Rest einer schmackhaften Schleie von der Tafel genommen und ein köstlich duftendes Brathuhn mit goldgelbem Lattichsalat aufgetragen. Da streckte der Leibdiener sein pfiffiges Gaunergesicht durch den Thürspalt und meldete, daß Herr Adam Xylander in höchst dringlicher Sache Zutritt begehre. Unmittelbar hinter dem Leibdiener stand der Gemeldete selbst.

Balthasar Noß erhob sich.

„Immer herein!“ sprach er mit tief dröhnender Baßstimme. „Gott zum Gruß, Herr Collega! Kaum erst wieder zurück von Eurer Erholungsfahrt – und schon völlig der Alte! Kommt, setzt Euch und erzählt mir in aller Gemütsruhe, was Euch hierherführt! Muß wohl etwas von ganz besonderem Gewicht sein, da Ihr trotz der versengenden Mittagshitze den Weg nicht scheut!“

„Allerdings – von ganz besonderem Gewicht!“

„Redet! Ihr macht mich neugierig! Unterdes gestattet Ihr doch, daß ich dem prächtigen Vogel da mit Klinge und Gabel zu Leib gehe. Wäre doch schade, wenn er mir unter dem Hören kalt würde. Aber da fällt mir ein: vielleicht nehmt auch Ihr ein hübsches, saftiges Stücklein? Was? Ihr habt doch sicher noch nicht gespeist? Ich selber liess’ mir heute um fast eine Stunde früher auftischen als gewöhnlich … Bärbel, rasch ein Gedeck und ein Glas. Und dann troll’ dich! Ich will mit dem Herrn Kollegen allein sein.

Adam Xylander hatte schon bei dem ersten Wort dieser Einladung heftig den Kopf geschüttelt. „Dank Euch“, wehrte er nun mit ängstlichem Eifer. „Ich brächte wahrhaftig keinen Bissen hinab. Und verzeiht nur, daß ich Euch so das Mahl störe! Aber ich bin erregt wie seit lange nicht. Jetzt endlich, Herr Vorsitzer, weiß ich, was mich seit etlichen Wochen so zugerichtet und so verfolgt und gehetzt hat wie der leibhaftige Dämon!“

Er zog den halbzerknitterten Brief aus der Brusttasche.

„Wollt Ihr Euch gütigst die Mühe nehmen …? Doch nein! Wenn Ihr gestattet, werd’ ich Euch dies merkwürdige Dokument vorlesen. Ich gebe dann zwischendurch die Erläuterungen.“

„Schön, Herr Collega! Und ich zerteil’ unterdessen ganz geräuschlos den Braten. Recht so, Bärbel! Schenk’ dem Herrn Beisitzer ein! Und nun …“

Er winkte. Das Mädchen, das trotz der Ablehnung des Adam Xylander ein zweites Gedeck und ein Glas gebracht hatte, ging lachend hinaus.

„Ah!“ schmunzelte Noß, den Duft seines Brathuhns mit wohlig geblähter Nase einsaugend. „Die lahme Susanne ist und bleibt doch die Perle aller Glaustädter Köchinnen! Wartet mit Eurer Vorlesung noch einen Augenblick! Nein, wie schneeig und zart! Kommt! Laßt Euch ein Stücklein gefallen! Besser kriegt Ihr’s kaum bei unserem allergnädigsten Landgrafen! Leider fehlt Euch für kulinarische Freuden das rechte Verständnis … Trotzdem – ich wette, das schmeckt Euch!“

Er legte dem Gast eine Scheibe aus der Mitte der Brust vor und reichte ihm dann die schöne Krystallschale mit dem goldgelben Salat. „In vollem Ernst, Herr Collega,“ fuhr er fort, „ich glaube, Ihr eßt zu wenig! Das mit der Milchkur in Königslautern war ja ein glücklicher Einfall, aber was nutzt’s, wenn Ihr daheim wieder fastet und Euch kasteit wie ein Büßermönch! Unser Beruf hat so viel Angreifendes und man verbraucht dabei so viel gutes Gehirnschmalz, daß man ordentlich futtern muß, will man bei Laune und Kraft bleiben. Ein guter Tisch und ein ehrlicher Trunk – das hält Leib und Seele zusammen! Und jetzt thut mir die Liebe an und sperrt Euch nicht länger! Wir haben ja Zeit … Ich will zwar verreisen, und deshalb speis’ ich so früh, aber ich hab’ mir die Stunden reichlich bemessen, um so nicht gehetzt zu sein.“

„So? Ihr verreist?“

„Ich habe Geschäfte im Kurmainzischen. Nur für zwei oder drei Tage. Wärt Ihr nicht hergekommen, hätt’ ich gleich nach Tisch zu Euch geschickt, um Euch zu bitten, mich zu vertreten. Aber das soll uns nicht weiter abhalten, den Leistungen meiner lahmen Susanne in vollster Gemächlichkeit zuzusprechen. Außer dem Huhn da kommt noch ein warmes Gebäck oder was Aehnliches. Unter drei Gängen thut sie’s nicht, die ehrgeizige Künstlerin. Auch das müßt Ihr versuchen – und dann lest Ihr gewissermaßen als Nachtisch Euer gewichtiges Dokument vor.“

Wohl oder übel mußte Xylander nachgeben. Er begriff nicht, daß dieser vollwangige Epikuräer so äußerst behäbig tafeln konnte, während ihm selbst jeder Puls fieberte. Mit sichtlicher Anstrengung würgte Adam Xylander das köstliche Fleisch und den frisch angemachten Salat hinunter, ohne sich klar zu werden, ob die gerühmte Köchin wirklich das Lob ihres verwöhnten Hausherrn verdiene. Dazwischen that er verschiedentlich einen langsamen Zug aus dem großen Muranglas.

Nachdem das Brathuhn bis auf den Hals und die Knochen vertilgt war, klingelte Balthasar Noß mit der eirunden Tischglocke. Die drallarmige Bärbel erschien, räumte rasch ab, lachte ein wenig und trug dann die Mehlspeise auf. Reiskuchen nach Bergamesischer Art, mit Zucker und Zimmet bestreut. Es war unglaublich, mit welch leuchtendem Eifer Balthasar Noß in dies Lieblingsgericht einhieb, während Xylander gleich von vornherein jede Beteiligung ablehnte. Mit einer Art von Grausen hielt er die Hand über den Teller gespreizt.

„Nein, unmöglich!“ sagte er trüblächelnd. „Wahrhaftig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_470.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)