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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

seinem flotten schwarzen Schnauz- und Knebelbart unter der kühn geschwungenen Nase, mit seiner fröhlichen, etwas geräuschvollen, aber nicht unangenehmen Stimme so ganz und gar nichts vom Geldmenschen an sich trug. Seine Hautfarbe erschien ihr sehr dunkel, aber vielleicht nur im Gegensatz zu der manchmal fast durchsichtigen Blässe in Rettenbachers Gesicht. Auch entsprach ja der bräunliche Ton dem schwarzen Bart- und Haupthaar des einen so gut, wie die lichte Färbung dem Blond des anderen. Und nur die Vertrautheit mit dem immer etwas gedämpften, weichen Klang in Arnolds Stimme ließ ihr wohl das Organ des Fremden verwunderlich laut erscheinen.

Man war schnell zur Sache gekommen.

Mit weltmännischer Gewandtheit hatte Herr Thomas die befangene Scheu der kranken Frau, die vor allem Neuen zuerst ängstlich in sich zusammenkroch, überwunden. Die zu Grunde gegangene Fabrik war als verlorenes Terrain mit zwei Worten abgemacht und endgültig verlassen worden. Ebenso schnell wurde die Frage über die Notwendigkeit eines Wohnungswechsels erledigt. Es handelte sich nur um die Benutzung der Kündigungsfristen.

Recht dumm, daß Sie erst im Oktober wieder kündigen können.

„Im Oktober?“ sagte Hanna. „Aber wir müssen überhaupt alles daransetzen, schon im Juli ausziehen zu können. Wir haben ja das Geld zur Miete nicht mehr.“

Thomas sah sie freundlich an. „Ja, mein verehrtes Fräulein, um das zu erreichen, müssen Sie sich an keinen Berliner Hauswirt wenden. So einer, wie Sie ihn brauchen, wohnt nur in Utopien. Seien Sie heilfroh, wenn er Ihnen am ersten Juli gestattet, zum Oktober zu kündigen, anstatt erst im Oktober zum April.

„Ja, aber wie soll denn das werden?“ fragte Frau Wasenius, die es bei dem bloßen Gedanken, etwas schuldig bleiben zu müssen, heiß überlief.

„Gleich morgen will ich zu Herrn Giesecke hinuntergehen,“ sagte Hanna beruhigend. „Ich hoffe doch, er wird zugänglich sein.“

„Darf ich mich den Damen zur Verfügung stellen? Wozu sollen Sie sich bemühen? Ich mache so was im Handumdrehen!“

Hanna wurde rot. „Ich danke Ihnen,“ sagte sie. „Sie sind sehr liebenswürdig, aber ich möchte das nicht annehmen. Es kommt mir so vor, als sei das eine Sache, die ich niemand anderm überlassen dürfte. Sonst wäre auch schon Doktor Rettenbacher an meiner Statt hinuntergegangen.“

„Unser Pensionär,“ erklärte Frau Wasenius, „der einen Teil der Miete bezahlt. Er hat sich sofort angeboten, aber –“.

„Sehr richtig,“ unterbrach sie Thomas. Und zu Hanna. „Sehr fein empfunden, mein verehrtes Fräulein. Dieses Anerbieten mußten Sie ablehnen. Bei mir ist das etwas anderes. Abgesehen davon, daß mich mein sogenanntes Herz hergetrieben hat – was den Herrn Wirt nichts angeht –, fungiere ich doch als Ihr geschäftlicher Beirat, dem ganz naturgemäß die Erledigung dieser Art Dinge zufällt.“

„Aber so lange man seine Angelegenheiten selber besorgen kann –“ wehrte Hanna verlegen.

„So lange man einen anderen schicken kann, der mehr davon versteht, bleibt man zu Hause,“ verbesserte Thomas verbindlich lächelnd. „Sehen Sie die Geschichte doch nur objektiv an. Und lassen Sie mir das Vergnügen, Ihnen ein bißchen behilflich zu sein. Zu meinem Bedauern bewege ich mich so in engen Grenzen. Also – wie heißt der Onkel? Er wohnt natürlich unten. Parterre. Alle Hauswirte wohnen Parterre. Bitt’ schön, gnädige Frau, geben Sie mir Vollmacht, Sie loszueisen, so gut es geht.“

Frau Wasenius war ganz gerührt. „Ich danke Ihnen, Herr Thomas,“ sagte sie herzlich. „Und ich nehme Ihr Anerbieten an, so unerwartet es mir kommt.“

„Mir ja auch,“ versicherte er so komisch treuherzig, daß Hanna in aller Verlegenheit lachen mußte. „Wahrhaftig, ich bin selber erstaunt,“ fuhr Thomas fort. „Was mich ursprünglich hertrieb, war eine Art Gewissensstoß. Ich genierte mich, sozusagen, mich mit der schriftlichen Meldung von der verflixten Sache abzufinden. Schandenhalber, sagt’ ich mir, muß man sich die Folgen der Geschichte doch ’mal persönlich betrachten. Freilich, wenn die Jugenderinnerungen nicht gewesen wären – ich will mich nicht schöner malen als ich bin – aber so – na kurz, ich machte mich auf die Strümpfe. Und nun sitz’ ich hier, Ihnen gegenüber in diesem traulichen Stübchen, in diesem seltsamen – na, um das verdammte Modewort ,Milieu’ nicht zu gebrauchen – in diesem Um-und-um von heimeliger, feiner Gemütlichkeit und weiß gar nicht, wie mir wird. Von Minute zu Minute verrückter. So gewissermaßen gerührt. Sie haben es mir angethan, meine gnädige Frau, gleich im ersten Augenblick.“ – Ein blitzrascher sprühender Blick streifte dabei auch über das Mädchen hin. – „Ich bin wahrhaftig sonst kein sentimentaler Mensch. Aber daß Sie da so hilflos sitzen, mit dieser – dieser – liebreizenden barmherzigen Schwester zur Seite und mit meinem verehrten alten Herrn da an der Wand – ein famoses Bild! und daß Ihnen die Geschichte mit der vermaledeiten Fabrik so elend auf die Butterseite geschlagen ist und daß Sie hier aus Ihrem netten Nestchen heraus müssen und daß es so ausgerechnet unnötig ist, dieses Ganze – kurz, das fuchst mich und das rührt mich. Also zur Ablenkung, meine gnädige Frau, gestatten Sie mir ein Kosestündchen mit Ihrem Hauswirt!“

„Abgemacht,“ sagte Frau Wasenius. Sie reichte ihm die Hand, die er ritterlich an seine Lippen zog. „Aber Sie, mein verehrtes Fräulein, wandte er sich dann zu Hanna, „ohne Ihre Sanktion ist nichts zu machen, das hab’ ich schon heraus.“

„Sie ist Ihnen aber gewährt,“ sagte das Mädchen mit ernstem Lächeln.

Seine drollige Herzlichkeit gegen die Mutter und deren sichtlich gehobene Stimmung hatten sie besiegt. Nach einem leichten Zögern streckte sie ihm auch die Hand hin. Er nahm sie und drückte sie stark, küßte sie aber nicht. Er sah ihr dabei fest in die Augen.

„Gut,“ sagte er dann, ihr zunickend. „Dieses Bündnis wäre geschlossen. Ich betrachte mich als feierlich engagiert. Sie sollen sehen, ich bin ein ganz brauchbarer Mensch.“ Zunächst werde ich mich also schleunigst mit Meister Giesecke in Verbindung setzen.

„Heute nützt Ihnen das nichts,“ wehrte ihm Hanna, da er schon aufgestanden war. „Unser Mädchen erzählte mir vorhin, daß er mit seiner ganzen Familie schon um sechs Uhr zu einer Landpartie aufgebrochen ist.“

„So. Na, dann müssen wir diese Sache bis morgen aufschieben. Wir haben ja aber noch mehr Dinge zu besprechen!“

Er setzte sich neuerdings und tiefer, gemütlicher in den Korbsessel, Hannas Sessel, hinein und zog langsam den rechten Handschuh aus. Forschend und gespannt ruhte dabei sein Blick wieder auf dem Mädchen.

Man faßte nun die Frage wegen der Wahl eines Wohnortes ins Auge. Thomas machte sich anheischig, jemand in den weiter abgelegenen Vororten auf die Suche zu schicken und nach so und so viel Tagen eine Liste des Angebotenen vorzulegen. Seine frische, zugleich verbindliche und energische Art besiegte das Zögern der Frauen auch dieser neuen Gefälligkeit gegenüber. Daß aber Frau Wasenius erklärte, anstatt überflüssige Möbel verkaufen, lieber die Einrichtung aus ihres Mannes Zimmer an Rettenbacher schenken zu wollen, fand nicht seinen Beifall.

„Im allgemeinen,“ sagte er, „bekommt man ja freilich nur ein Ei und ein Butterbrot für solche Sachen, aber bedauerlicherweise sind Sie ja in der Lage, jede einzelne Mark ansehen zu müssen. Ich würde mir das doch zweimal überlegen.

„Bitte, nein,“ antwortete Frau Wasenius so entschieden, wie sie heute noch nicht gesprochen hatte. „Hierüber bin ich mir ganz klar. Es ist mir einfach unmöglich, die Sachen, die meinem Mann gehört haben, für Geld wegzugeben. Es würde mir weh thun. Ich will sie, wenn ich mich denn doch von ihnen trennen muß, in lieben Händen wissen, in pietätvollen. Rettenbacher soll sie haben. Dir ist es auch recht, Hanna, nicht?“

„Sehr, Mutter,“ antwortete das Mädchen leise. Es war ihr peinlich, zu fühlen, daß sie rot wurde, während dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_550.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)