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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

zeigt eine weitere prachtvolle Eisbildung, der man den Namen „Spitzenvorhang“ beigelegt hat. Die Ausdehnung der Dobschauer Eishöhlen wird auf 8874 qm berechnet,

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Hotel „Zur Eishöhle“.

die Masse des hier aufgespeicherten Eises durfte 125.000 cbm betragen. Als Durchschnittstemperatur der Höhle im Laufe des Jahres wurden −0,275 °C ermittelt. Die höchste Temperatur wurde am 18. August 1881 im „Großen Saal“ beobachtet: sie betrug +4,5 °C, während im Freien beim Eingang der Höhle das Thermometer +19,5 °C zeigte. Die tiefste Temperatur, −7,5 °C, wurde am 23. Januar desselben Jahres bei einer äußeren Lufttemperatur von −25 °C notiert. Somit betrug die maximale Schwankung draußen im Freien 44,5° C, im Innern der Höhle aber nur 12° C.

Die Eishöhlen, deren es in Europa eine ganze Anzahl giebt, sind oft der Gegenstand eifrigster Forschung gewesen; aber es ist bis jetzt nicht gelungen, die Ursachen dieser unterirdischen Eisbildungen aufzuklären. Man hat zwar viele Hypothesen aufgestellt, keine aber kann als genügend erkannt werden. Franz Kraus äußert sich darüber in seinem trefflichen Werke „Die Höhlenhunde“ (Wien, Gerolds Sohn): „Erst dann, wenn es gelingt, die physikalischen Bedingungen der Eisbildung in den Eishöhlen so vollständig zu erforschen, daß man unter den gleichen Bedingungen künstliche Eishöhlen erbauen kann, erst dann darf man sagen, die Eishöhlenfrage ist definitiv gelöst. Der beste Beweis ist ja stets das Experiment. Angesichts des großen Eisbedarfes der modernen Gesellschaft wäre die Erforschung des Princips, nach welchem man die Natur imitieren könnte, eine sehr nützliche Aufgabe. Die richtige Lösung der Frage würde dem Glücklichen, dem sie gelänge, nicht nur Ehre, sondern auch reichen Gewinn einbringen. Vorläufig sind wir jedoch noch weit von diesem Ziele entfernt.

G. Hanvay.

Das Kind.
Roman von Adolf Wilbrandt.

(3. Fortsetzung.)

9.

Die letzten Monate des Jahres 1880 waren im südlichen Italien so schön, wie man sie auch dort nicht oft wiederfindet; wer damals im Süden war, wird es nicht vergessen. Rutenberg, Schilcher und Gertrud, drei Tage nach dem Ball gen Bozen, Rom, Neapel aufgebrochen (die Tante blieb zu Hause; sie liebte das Reisen nicht, auch verstand sie mit Gertrud sich nicht immer gut), fast vier Wochen waren sie nun schon unterwegs, man schrieb Dezember: noch hatte nicht eine regnerische, ja nicht eine umwölkte Stunde das reine, herbstmilde Sonnengold abgelöst, das sich im Golf von Neapel in das Goldbraun und Rosaviolett der Berge, das Edelsteinblau der Buchten und das Silberweiß der friedlich spielenden Brandung verwandelte. In Sorrent, wohin sie sich vor dem Lärm von Neapel geflüchtet hatten, waren sie nicht in einem der großen Hotels bei der „kleinen Marine“ abgestiegen, die Schilcher zu „modern“ fand, sondern in einem vornehm gemütlichen, einer ehemaligen Villa, die ein wenig abseits, aber auch wie die andern auf der natürlichen, herrlichen Felsterrasse lag, welche das üppig gesegnete ebene Land in den Golf hinausschiebt. Hier verträumten sie nun schon vierzehn Tage: der Zauber dieser Spätherbstfrische über dem Meer ließ sie nicht los. Es war so schön, in dem immergrünen Garten der Villa am steinernen Bollwerk zu sitzen und vom steilen Fels, der wie eine Riesenmauer aufragt, in das vielfarbig tändelnde Wasser hinabzuschauen, oder über den Golf hinweg den dampfenden Vesuv und die duftigen Inseln und das langhingestreckte, traumhaft stille Neapel anzustaunen. Schön war es auch, auf der Felsentreppe – „wie ein alter homerischer Grieche“, sagte Schilcher – ans Meer hinunterzusteigen, von der Sonnenwärme lieblich angeglüht, und zwischen den Steinen reizende Muscheln oder antike Marmorstücke zu suchen oder fortzugehen und am Capo di Sorrento auf wunderbaren Trümmern einer altrömischen Villa, der leisen Brandung zu lauschen; oder auf die Höhen zu steigen und vom Rücken der Halbinsel herab die beiden Golfe zugleich zu genießen: den wilderen von Salerno, den weicheren von Napoli. Man mußte nur erst die langweiligen, aussichtslosen Mauerwege im Ort und oft weit hinaus überwunden haben, über die Schilcher den Kopf schüttelte, Gertrud seufzte und Rutenberg schimpfte; denn sie forderten nicht nur Geduld, sie führten auch oft krummbogig irre und nicht zum Ziel, sondern fast zum Anfang zurück. War man aber glücklich ins Freie und auf weitschauende Höhe gekommen, so war es diesen Nordländern wie ein Märchen, im Dezember hoch und frei bei blühenden und duftenden wilden Myrtenbüschen zu sitzen, auf zwei Meere hinabzuschauen, die ernste Rauchsäule des Vesuv im süßen Sonnenlicht zu sehen und nahe und ferne Gebirge, schimmernde und nebelnde Städte, kleine und große Felseilande und all das unvergängliche Grün des Südens im Auge zu fühlen, während ihre Landsleute daheim am Fenster standen und in undurchdringliches Schneegestöber starrten.

Es war schon der vierzehnte Sorrentiner Abend; Schilcher kam aus seinem Zimmer, das warm gegen Süden lag, und ging sachte pfeifend zum gemeinsamen Salon. Ihm gefiel eigentlich diese Lebensweise: spät „zu Mittag“ zu essen – im Grunde zu Abend – und dann noch ein paar Stunden gesellig beisammenzusitzen mit oder ohne Buch, plaudernd oder stumm, bis der Tag, an dem man so manches unter freiem Himmel erlebt hatte, hinter den Vorhängen des vor den Mücken Schützenden Himmelbetts in weichem Schlummer verging. Ihm fehlte nur jeden Abend das Eine, an das ihn die letzten zehn Jahre zu seinem Unglück gewöhnt hatten; die gemütliche Partie Whist …. Indessen seine Opferfreudigkeit erwachte wie gewöhnlich, als er den „Reisezweck“, wie er Gertrud zuweilen im Spaß gegen Rutenberg nannte, im Salon am Klavier stehen sah und eines der neapolitanischen Liedchen singen hörte, die sie von den Volkssängern gelernt hatte. Ihre Stimme klang so frisch, so jung – und so vergnügt. Die schlanke Person stand so kummerlos da. Er horchte recht andächtig und blieb an der Thür, aufrecht, bis sie die letzte Strophe herausgeschmettert hatte und die Begleiterin am Klavier, die gute, lange englische Dame, aufstand.

„Sehen Sie,“ sagte die Engländerin in ihrem vorsichtig langsamen, die Worte zusammensuchenden Deutsch, „wie gut haben Sie jetzt dieses Lied gesungen Entzückend, wirklich!“

„Ich war selbst ganz erstaunt,“ antwortete Gertrud heiter und wiegte sich auf den Zehen: „vieles sang ich richtig!“

„Alles, alles!“ behauptete die gute Dame.

Gertrud nickte ihr dankbar zu: „Sie begleiten so gut, gnädige Frau, daß es einem schwer wird, falsch und schlecht zu singen. – Ich danke Ihnen so sehr!“

„O, es ist ein großes Vergnügen, wenn man kann nützlich sein. – Noch ein Lied? La bella Napoli?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_718.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)