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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Bitte, still,“ raunte Schilcher jetzt.

„Was giebt’s?“

„Der Fremde kommt ja hierher.“

„Zu uns?“

„Offenbar. Da geht er.“

„Wahrhaftig! – Na, er darf ja auch. Es ist der Salon!“


15.

Die Thür zum Korridor ging auf; Rutenberg öffnete aber die Lippen vor Ueberraschung, als er den eintretenden Fremden erblickte. Es war Waldeck Sohn, derselbe Fritz Waldeck, von dem er sich vor bald vier Wochen, zu Hause so ungut getrennt hatte. Der junge Mann kam hastig herein, erhitzt und doch bleich, wie von innerer Unruhe; sein ernstes Gesicht ward einen Augenblick hell, als er die beiden Männer sah. Er war ohne Hut, ohne Handschuhe; das schlichte, dunkelblonde Haar hing ihm etwas vernachlässigt in die breite Stirn. Man konnte ihn atmen hören. Er machte einige unklare Bewegungen, ohne noch zu sprechen.

Rutenberg nahm zuerst das Wort, da der Jüngling schwieg. „Das ist ja –!“ Nach diesen drei Silben hielt er schon inne: ihm fiel nun erst ein, mit was für harten Worten er ihn damals entlassen hatte.

„Guten Abend, meine Herren,“ begann der schlichte, angenehme Baß des jungen Mannes, heute fast noch dunkler gefärbt als an jenem Abend. „Ich hoffte kaum … Ja, eigentlich hofft’ ich doch – Entschuldigen Sie, wenn ich zu so später Stunde –“

„Sie sind hier ja im gemeinsamen Salon,“ unterbrach ihn Schilcher, der sich sonst nicht rührte. „Guten Abend, Herr Waldeck“.

Fritz Waldeck verneigte sich gegen ihn, dann trat er aber auf Rutenberg zu. Nachdem er die breite Brust wieder mit Luft gefüllt hatte, sagte er mit leise erzitternder Stimme: „Herr Rutenberg, Sie haben meinen Vater – damals, vor drei, vier Wochen – Sie haben ihn einen Verbrecher, einen Betrüger, einen Schurken genannt. Sie haben mir dann gesagt, als ich Ihnen widersprach, Sie können weder Ihren Vater, noch Ihre Mutter aus dem Grabe rufen schaffen Sie Beweise!“ – Er legte eine Hand auf seine Brusttasche: „Das ist jetzt geschehn. Ich wiederhole Ihnen jetzt, was ich damals sagte: Sie haben nicht das Recht, ihn so zu nennen es ist nicht die Wahrheit!“

Erstaunt, wie selten in seinem Leben, sah Rutenberg den Jüngling an. Da stand dieser lange Mensch auf einmal in Sorrent, um ihm das zu sagen … In dem bleichen jungen Gesicht war eine Mischung von bescheidener Schlichtheit und von Löwenkühnheit, die ihm wunderbar auf die Seele ging. Es kam ihm noch Schillerscher vor als damals. Dazu diese dunkle ergreifende, nur ein wenig heisere Stimme. Ehe er etwas zu erwidern vermochte, sah er Schilcher an, der nickte nun wie wenn er damit ausdrücken wollte: „hab’ ich dir das nicht gesagt?“

„Sie sehen mich ganz – ganz erstaunt, Herr Waldeck,“ kam dann etwas unsicher aus ihm heraus. „Sie kommen aus dem Norden hierher … Und Sie sagen: ‚Beweise‘ –“

„Ja,“ fiel ihm Fritz Waldeck ins Wort „Ich hab’ gesucht; Tag und Nacht, in jedem offenen und verborgenen Fach, in alten Kisten und Koffern … Denn da ich meinen Vater nicht aus dem Grabe rufen konnte – und mir seine Ehre doch heilig war; natürlich – so hab’ ich jedes Blatt Papier – –“ Er zog mit zuerst ungeschickten, zitternden Fingern einige zusammengefaltete Briefe aus der Brusttasche. „Ich sagte Ihnen damals er war kein Betrüger, er war betrogen wie Sie. Hier sind die Beweise, Herr Rutenberg. Hier sind die Beweise!“

„Aber was sind Sie für ein Mensch,“ erwiderte Rutenberg. „Um mir das zu sagen, machen Sie diese weite Reise –“

Fritz Waldeck hatte eine ablehnende Bewegung: „Es – es machte sich so. Es ließ sich machen … Ich will Ihnen natürlich nicht vorwerfen, daß Sie schlecht von meinem Vater dachten, der Schein war gegen ihn, das weiß ich ja. Mein unglücklicher Vater – – die Papiere, die ihn rechtfertigen konnten, hatte er verloren: er verzagte, er verzweifelte, wie er die allgemeine Verdammung, – die lärmende, tobende, wütende Verdammung widerlegen sollte. In dieser Seelenangst verlor er den Kopf; sein Verstand fing schon damals an, sich zu verwirren; sehn Sie, das zeigt dieser Brief!“ – Er zog einen Brief aus den andern, die um ihn herumlagen heraus, pochte mit dem Zeigefinger darauf und schüttelte ihn. „Den schrieb er an meine Mutter, nach seiner Flucht, aus Amerika schrieb er darin alles das, was ich eben sagte. Den hilflosen Jammer um den verlorenen guten Namen – seine Ohnmacht – seine Anklagen gegen sich selbst, daß er so vertrauensvoll und so blind gewesen – und dann auf einmal diese sinnlosen ganz verwirrten Worte … Bitte, lesen Sie!“

„Ja, ja,“ sagte Rutenberg, in dem sich noch der Widerspruch, die alte Ueberzeugung wehrten; er nahm den Brief, schaute aber noch nicht hinein. „Das schrieb er an Ihre Mutter …“

„Ich hab’ hier noch mehr Beweise, Herr Rutenberg!“ rief der junge Mann mit plötzlich hoch hinaufgehender Stimme aus. „Dieser zweite Brief. Sehn Sie. Den sein Arzt an meine Mutter schrieb. Sehn Sie ihn nur an!“ Er hielt ihn hin, drückte ihn in Rutenbergs Hand. Dann hob er die Papiere in die Höhe, die er nun noch hatte; seine aufflammenden Augen sagten: ich hab’ hier noch mehr! ich hab’ genug!

Schilcher brummte leise. Plötzlich ging ihm ein angenehmer Ruck durch den Leib; Trudel! dachte er. Den muß unsre Trudel sehn! Den muß sie hören jetzt! jetzt! so lang’ er noch für seinen Vater spricht! – Die hatte ja immer Sinn für was Großes, die Dirn’. Der würd’ ihr gefallen … Wie sagte sie doch damals, an ihrem Geburtstag vor zwei Jahren war’s, als fünfzehnjähriger Backfisch: „wenn einmal einer so recht was Edles und Schönes gethan hätt’, Onkel Schilcher, den möcht’ ich dann heiraten!“ – Ich lachte das stolze Ding noch aus „Trudel, der nimmt dich nicht!“ … Er sah, daß Rutenberg sich in den ersten Brief vertiefte; so geräuschlos wie möglich, und als ginge ihn die ganze Sache nichts an, schob er sich zur Thür hinaus. Er kam in Gertruds Zimmer; dort brannte eine Kerze auf dem Tisch, das Mädchen saß in der entferntesten Ecke, auf einem niedrigen kleinen Stuhl. Sie hatte einen Ellbogen aufgestützt, den Kopf in der Hand. Was für ein Gesicht sie machte, konnte er nicht sehn. „Trudel!“ rief er sie leise an und trat vor sie hin.

„Was ist?“ fragte sie, aus tiefer Versonnenheit auffahrend.

Er wägte seine Worte. „Solltest geschwind zu deinem Vater kommen,“ sagte er mit Doppelsinn, um nicht zu lügen.

„Zu Vater?“ – Sie schüttelte heftig den Kopf, dann den ganzen Leib. „Ich will nicht zu Vater. ,Nie nie, nie!’ hat er mir gesagt. Dinge hat er mir gesagt … Geh’ nur wieder hin, Onkel Schilcher. Ich komm’ nicht!“

„Das ist alles ganz schön, Trudel, bist aber doch immer noch gewissermaßen sein Kind. Und wenn deinem Vater etwas zugestoßen ist …“

„Ist ihm denn was zugestoßen?“ fragte sie nach einem trotzigen Zögern, da er nicht weitersprach.

„Na, du hörst ja!“ murmelte Schilcher. „Darum komm’ ich ja. Und wenn man seinen Vater noch ein bißchen lieb hat –“.

„Was ist ihm denn zugestoßen?“

„Ich muß wieder hin!“ gab er nur zur Antwort; seine kurzen Beine traten bereits ihren Rückzug an. „Allein werd’ ich ihn doch nicht lassen,“ sprach er im Gehen zurück. „Gertrud Rutenberg, komm!“

Was ihm zugestoßen ist? dachte Schilcher, der zuweilen, wenn’s not that, doch auch ein wenig Jesuit war – dieser Fritz Waldeck ist ihm zugestoßen! – Er lächelte in sich hinein, während er zurückging; er hörte, Trudel kam ihm nach. Geschwind war er wieder im Salon, hier blieb er, aber nicht: dem Mädel ins Gesicht zu sehn, verging ihm der Mut. Er that, als suchte er etwas, ohne Rutenberg und Fritz Waldeck anzuschauen und schlüpfte in den „Käfig“, in das Rauchzimmerchen hinein.

Gertrud trat in die offen gelassene Thür, ihr schlug nun doch das Tochterherz; sie wollte auf den Vater zu; – verwundert, verwirrt blieb sie stehn. Der Vater ganz aufrecht, las in einem Brief, mit furchtbar ernstem, weichem Gesicht vor ihm stand dieser junge Landsmann, den sie damals aus Versehen. „Herr von Hiller“ genannt hatte. Von einem Unglück, das dem Vater zugestoßen, sah sie weiter nichts …

„Hm! Hm!“ murmelte Rutenberg bewegt, er war zu Ende mit dem ersten Brief. „Na ja! Armer Mann! – Und was steht denn in dem zweiten Brief? Vom Arzt, sagten Sie –“

„Ja; allerdings,“ stammelte Waldeck, jetzt befangen, verwirrt, da er das junge Mädchen sah, das ihn so fassungslos anstaunte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_754.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)