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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

lösend. In ihrem Herzen war jetzt nur eine Empfindung: großes Mitleid. Er war sehr krank. Das mütterliche Gefühl der Pflegerin dem Schwachen gegenüber hüllte alle Scheu in weiche Schleier.

„Nach was siehst du so aufmerksam?“ fragte sie, weil er den Kopf zur Seite niederbeugte.

Als er ihre weichen kühlen Finger mit dieser liebkosenden Bewegung auf seiner Faust gespürt hatte, war er leicht zusammengezuckt. Auf ihre Frage antwortete er nicht. Er betrachtete nur unverwandt die beiden ungleichen Hände, die große bräunliche, die sich von der kleinen, zartweißen streicheln, glätten, bändigen, ausstrecken ließ.

„Merkwürdig,“ murmelte er endlich.

„Was ist merkwürdig?“ fragte Hanna.

Der Blick, mit dem er jetzt die fieberisch glühenden Augen zu ihr erhob, machte sie tief betroffen. Es war etwas Schmerzliches darin, aber ein Schmerz ohne Zorn, wie sie ihn noch nie in ihnen gesehen hatte.

„Wenn du das – heute kannst – –“ stieß er abgebrochen heraus, „warum – hast du's denn – nicht schon früher – gethan?“

Hanna konnte nicht antworten. Von heißer Röte übergossen saß sie da, wie gebannt durch die seltsame Trauer in diesem wohlbekannten und doch plötzlich so fremden Gesicht. Der Schauder des Widerwillens, mit dem seine körperliche Nähe sie bisher stets erschreckt hatte, war in diesem Augenblick verschwunden, geschmolzen unter dem Strom brennenden Mitleids, das ihre Seele ganz erfüllte. Jählings aufschießende Reue über doch Versäumtes, Unversuchtes machte sie zittern, ließ sie vergessen, was ihr an Unbill widerfahren war.

Sie neigte sich und küßte ihn auf den Mund.

Er schloß die Augen und lag ganz still – ohne daß er den Kuß erwidert hatte. Nur seine Hand schlang sich fest um die ihre. Sie fühlte den jagenden Puls darin. Nach einer Weile bewegte er leise den Kopf.

„Der erste,“ hauchte er.

Er schlug die Augen wieder auf, doch nicht zu ihr, mit demselben fremdartig traurigen Ausdruck, der sie schon so erschüttert hatte, sah er geradeaus zur Decke hinauf.

Sie drückte seine Hand fester, hob sie auf und schmiegte sie an ihre Wange. Er atmete ein paarmal mühsam. „Nie hast du mich von – selbst geküßt – bis heute –“

„Verzeih’ mir,“ bat sie mit kaum mehr beherrschter Stimme, heiße Thränen liefen ihr über das Gesicht. Sie küßte ihn rasch zweimal, dreimal auf die fieberglühenden, trocknen Lippen. Nun lächelte er sie an, aber auch in seinem Lächeln war ein fremder Zug.

„Thut dir leid, was? – Mir auch. –“ Er hustete einigemal kurz auf. – „Uebrigens anständig – von dir“, fuhr er heiser und gequält fort, „hast keine Angst vor … Ansteckung?“

„Ich fürchte mich vor nichts, Ludwig. Aber sprich nicht mehr, es thut dir Schaden.“

Er schüttelte den Kopf.

„Sollte dich – eigentlich – totküssen und mitnehmen. – Wäre mir – schon das – –“

Ein neuer Hustenanfall, trocken, hart, deckend, anhaltender als vorher, jagte ihm das Wort vom Munde weg. Ganz aufgerichtet, nach Luft ringend, die Brust von Schmerzen zerrissen, saß er in seinem Bett.

Meinhardt trat herein, er hatte nicht erst geklopft. Mit Hanna, die den Kranken im Rücken unterstützte, tauschte er einen ernsten Blick.

„Na, na,“ sagte er, als der Husten endlich schwieg und Ludwig ächzend zurücksank, „das klingt ja unliebenswürdig. Gut, daß wir es mit so einem famosen Brustkasten zu thun haben. Der hält schon gegen. Was sagt denn der Puls?- -- Hm. Ja. – Gemessen haben Sie wohl schon?“

„Gerade bevor er einschlief. Er hat übrigens kaum eine halbe Stunde geschlummert. 39 und 4. Schon wieder viel höher als morgens früh.“

„Dazu hat das Fieber heute noch das gute Recht. Haben Sie Phenacetin gegeben?“

„Er verträgt es ebensowenig wie das Antipyrin, lieber Doktor. Was thut man da nur?“

Ludwig machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand. Hanna bemerkte es. „Was willst du?“ fragte sie. freundlich, sich über ihn beugend. „Du meinst, es ist dir widerlich?“

Er nickte. „Quacksalbereien“, brachte er mühsam heraus. „Nehme nichts mehr – machen Einem bloß übel“

Der Sanitätsrat, der den Eigensinn seines Patienten kannte, runzelte die Stirne.

„Es wäre mir lieb, wenn Sie doch noch einen Versuch machten. Vielleicht überlegen Sie sich es bis zum Abend. Ihre Temperatur herabzusetzen ist sehr nötig. Schmerzen werden Sie auch genug haben. Jetzt wollen wir Sie abhorchen. und dann eine Einwicklung machen.“

(Fortsetzung folgt.)


Marthas Briefe an Maria.

Ein Beitrag zur Frauenfrage, mitgeteilt von Paul Heyse.

     (3. Fortsetzung)

Sechster Brief.
19. Dez. 0 Schönes stilles Schneetreiben vor meinem Fenster. Der Gatte sitzt in seinem Arbeitszimmer über einer wissenschaftlichen Abhandlung für ein medizinisches Journal. Mir ist immer wohl in seiner Nähe, auch wenn die Thür zwischen uns geschlossen ist. Dein lieber Brief liegt auf meinem Schreibtisch vor mir, was könnte mir noch zum inneren Frieden fehlen?

Und so ergreife ich mit Vergnügen die Feder, um Dir zu berichten, daß ich die letzte Zeit in glücklicherer Stimmung zugebracht habe, als ich mich seit lange entsinnen kann.

Zuerst aber zu Deiner Frage, ob ich nie daran gedacht habe, zu „schreiben“, zu schriftstellern, wie es heutzutage tausend Frauen und unvermählten Fräuleins ein Trost in ihrer Einsamkeit und eine oft reiche Erwerbsquelle geworden ist.

Ja, Liebste, ich habe daran gedacht, in meinem dritten Ballwinter, als ich die Gespräche meiner Tänzer nachgerade auswendig wußte und der Duft der Cotillonsträußchen mir herzlich fade vorkam. Es ging mir freilich nicht viel anders mit den Novellen aus weiblicher Feder, die ich in Feuilletons und Wochenschriften hie und da gelesen hatte. Das könntest Du allenfalls auch, sagte ich mir. Das Rezept ist so einfach – nimm einen reizenden jungen Maler – oder Lieutenant, oder Ingenieur, oder Referendar –, ein „entzückendes“ junges Mädchen – Tochter eines hohen Beamten, Generals, Millionärs, Konsistorialrates – laß sie zwei Stunden miteinander zusammen sein, – auf einem Ball, einem ländlichen Fest, in einem Badeort, und über Ibsen, Nietzsche, Richard Wagner naive Gespräche führen, die sie für geistreich halten, – die Herzen finden sich, die Eltern aber sind grausam, ein widerwärtiger alter Bewerber erscheint auf der Bildfläche, Thränen, Verzweiflung – vielleicht ein Entführungsversuch, den der fatale alte Spekulant, dem es nur um die reiche Mitgift zu thun ist, vereitelt, tiefstes Unglück des edlen Liebenden, er fordert den Nebenbuhler, aber ehe es zum Schießen kommt, legt sich der Zufall, der Gott der Liebenden ins Mittel, entlarvt den alten Sünder und macht das junge Paar glücklich.

Diese allbekannten Elemente der landläufigen Frauenzimmerromane lassen sich leicht durch kleine Vertauschungen und Verschiebungen so unendlich variieren, wie man die Kunst erfunden hat, mit Würfeln Sonette anzufertigen. Und da es immer ein großes Publikum giebt, das dergleichen zusammengewürfelte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_792.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)