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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

haben, daß ich bald an die Wand gefallen wäre. ,Ich heirate keine reiche Frau! Ich lasse mich nicht von einer Millionärin füttern!’ Auch gut. Das sind Ansichtssachen. Dagegen läßt sich nichts sagen. Gefiel mir auch eigentlich wieder mächtig von Ihnen. Auf der andern Seite find’ ich, wenn man eine rechtschaffen lieb hat, dann braucht ihr Geld kein Hindernis zu sein. Aber einerlei. Das war nun abgemacht. Da kam’s dann heraus, was das Biest, der Thomas, für ein niederträchtiges Testament gemacht hatte. Wer es nur so flink unter die Leute gebracht hat! Ich denke mir, die liebe Schwägerin wird wohl das Ihrige dazu gethan haben; die hatte so offenbar eine Pike auf unser armes Wurm. Nu? sagt’ ich damals zu Ihnen, he? Die Millionen könnten Sie doch nun nicht mehr drücken, wenn Sie auf die Freite gingen. Wieder gefehlt! Wieder angeschnauzt! Ich hab’s gut gehabt bei Ihnen in diesem letzten Vierteljahr, alle Wetter. ,Wie können Sie denken, daß ich einer Frau zumuten werde, um meinetwillen ihr Vermögen aufzugeben?’ – Nu war’s ganz aus. Nu kriegt’ ich richtig das Stillschweigen. Da war nichts mehr zu wollen. Dornen rundum! Hochmutsdornen. Eigensinnsdornen. Verlegenheitsdornen! Ein nettes Gewächs. Und mitten drinne saßen Sie und grämten sich. Und ich sah mir das mit an und fuchste mich. Und die arme Grete zerbrach sich den Kopf, was Ihnen fehlen möchte, denn von dem Hannichen hatte sie natürlich keine Ahnung, weil Sie wandelnder Grabstein ja nie ein Wort von ihr geredet hatten, vorher nicht und nachher erst recht nicht.

„Nun? Und das endliche Ende von Ihrem langen Lied?“ fragte Rettenbacher müde. Er hatte regungslos dagesessen und erhob jetzt zum erstenmal wieder die traurigen Augen. „Zu welchem guten Zweck haben Sie mir nun diese meilenlange Rede gehalten? Nur, um abermals festzustellen, daß mir nicht zu helfen ist –“

„Nee!“ rief Günther aufspringend. „Jetzt kommt mein Trumpf!“ Er strahlte über das ganze Gesicht. „War bloß eine wirkungsvolle Einleitung. Allerneuste Depesche! Sie ist keine Millionärin mehr.“

„Was heißt das?“ Im höchsten Grade betroffen richtete sich Rettenbacher auf seinem Platz in die Höhe.

„Das heißt, daß sie sich arm geschenkt hat auf geradezu geniale Weise arm geschenkt hat. Weg ist das viele Geld. Futschicato!“

„Was für Märchen! Woher wollen Sie das wissen?“

„Aus allerbester Quelle, von ihr selbst. Und brühwarm. Ich war gestern bei ihr. Aber nicht etwa in ihrem Palast am Tiergarten. Da stieß ich mir vorgestern die Nase. Der ist zugeschlossen, bis auf weiteres! Läden herunter. Ausgestorben. Nur der Gärtner wohnt noch hinten in seinem Häuschen. Von dem kriegt’ ich denn die neue Adresse. Ausgerechnet in Nieder-Lehme an der Dahme. Das Dorf hinter Königswusterhausen, wissen Sie. Sie können sich denken, mit welcher Fixigkeit ich am anderen Tage hinausfuhr. Gespannt wie ein Flitzbogen. Seit Weihnachten hatte ich sie nicht gesehen. Bei ihrer letzten Kinderbescherung war ich noch dabei gewesen. Damals verlautete aber noch kein Sterbenswörtchen von diesen Geschichten. Waren eben noch nicht spruchreif, wie ich nachträglich höre. Unterwegs auf der Eisenbahn zerbrach ich mir den Kopf darüber, weshalb ums Himmelswillen sie da mitten im Winter auf Sommerfrische gezogen sein möchte. Der Gärtner in der Tiergartenstraße hatte mir keinerlei Auskunft geben können. Da draußen fand ich sie denn – kennen Sie das Dings? Gute halbe Stunde über Feld von der Bahn aus. So ein langgestrecktes Dorf, die eine Rückseite an dem Flüßchen. Lauter einzeln liegende Gehöfte, immer fünfzig, achtzig, hundert Schritte Ackerland dazwischen. Ungemütlich, besonders im Winter. Da find’ ich sie denn in so einer Art von Villa; wenigstens wollt’ es vorzeiten so aussehen, das Haus. Mit Säulchen vor der Thür mit ’nem griechischen Dächelchen oder so was darüber. Eingang von der Seite. Ein reich gewordener und schnell wieder verkrachter Unternehmer hat es vor einer längeren Reihe von Jahren gebaut. So ein Residenzchen für Sommergäste, die zurückgezogen leben wollten. Der Nachfolger hat dann noch einen Flügel angeklebt, häßlich, nüchtern vorn entlang, mit sechs Fenstern, paßt gar nicht dazu. Ein verdrehtes Gebäude. Liegt noch obendrein mitten in einem großen, verwilderten Garten. –“

„So kommen Sie doch nur endlich zur Sache!“ unterbrach ihn Rettenbacher ungeduldig. „Was soll die lange Einleitung?“

„Recht haben Sie. Scheußlich von mir, was? Sie noch lange auf die Folter zu spannen. Wollte es nur so recht plastisch beschreiben, damit Sie den richtigen Eindruck bekämen. Also: Da sitzt sie, da wohnt sie, da bleibt sie. Niet- und nagelfest. Für Sommer und Winter. Das wäre der Winkel, sagt sie, den sie so lange gesucht hätte, und in dem sie sich nun einspinnen wollte – aber schon gut, alle Einzelheiten später, zu Befehl! Zuerst die märchenhafte Geldgeschichte, wirklich märchenhaft; schon, weil’s so was eigentlich gar nicht giebt! Denn – abgesehen von der Gemeinheit mit dem Testament – wie hätte sie sich ihr Leben jetzt hübsch und behaglich einrichten können, nachdem sie von ihrem Quälgeist erlöst war. Mit dieser kolossalen Erbschaft, ganz zu freier Verfügung. Ich hab’s wieder vergessen, aber es war eine eklig hohe Ziffer. Und doch – wie Gott den Schaden besieht – sie ruht nicht, bis sie das Geld los ist, sie will es nicht behalten, sie fürchtet sich davor. Also – ich erzähl’ ja schon – das Kurze und das Lange von der Geschichte: reichlich dreiviertel ihres Vermögens ist deponiert zum Bau und zur nachherigen Verwaltung einer großen Stiftung, ,Thomas-Stiftung’ soll sie hießen, die aus drei Teilen besteht, Hauptteil ein Kinderkrankenhaus, besonders für die Kinder aus der Arbeiterbevölkerung. Sie wollen, je nach dem Befund der elterlichen Kasse, umsonst oder gegen Zahlung eines winzigen Satzes aufgenommen werden. Diese Bestimmung gilt dem Selbstgefühl der Leute, die noch nicht ganz auf dem Trocknen sitzen. Dann, erstes Anhängsel: eine Art Spittel, aber in feinem, hübschem Stil; ein Versorgungshaus für alte oder sonst arbeitsunfähige Leute. Zweites Anhängsel: eine sogenannte ,Kinderstube’, das ist ein Haus, wo die Mütter, die auf Arbeit ausgehen müssen, ihre kleinen, nicht schulpflichtigen Kinder, vom Säugling an, morgens, abliefern können, und wo die Würmer dann gefüttert und verwahrt werden, bis sie sie am Abend wieder abholen. Was sagen Sie dazu? Fein, famos, was? Unser Hannichen! Wenn alles so wird, wie sie sich’s ausgedacht hat, dann giebt das eine ganz einzige Sache. Aber bis dahin ist es noch weit. Die Pläne sind zwar schon entworfen; sie hat einen sehr geschickten Architekten erwischt. Aber ehe alles überwunden ist, was es da noch an gesetzlichen, amtlichen, magistratlichen, fiskalischen Beschwernissen und so weiter und so weiter zu bestehen giebt, – läuft noch mancher Tropfen Wasser zu Thal. Doch jedenfalls: Das Geld ist schon nicht mehr ihr Eigentum, das liegt schon ganz fest als Schenkung bei der Stadt. Mag’s da noch so lange Zinsen tragen, bis man anfangen kann zu bauen. Ferner hat sie dann noch einzelne große Summen an verschiedene Wohlthätigkeitsanstalten Berlins gegeben; aber ohne Namen, als ,Ungenannte’. An die Asyle für Obdachlose, an das städtische Waisenhaus, an die Wärmehallen, an die Kinderspeisungsstätten, an – ich weiß nicht mehr! Alles in allem noch ein klotziges Stück Geld. Selbstverständlich sind all diese Mitteilungen durchaus vertraulich. Wenn sie wüßte, daß ich – ei du lieber Gott! Aber ich weiß ja, was ich thue, und warum. Uebrig behalten für sich hat sie nur ungefähr so viel, daß sie gerade so leben kann, wie sie mit der Mutter gelebt hatte, ehe das Unglück anfing und Thomas kam, um sie zu retten. Ja richtig, das Haus nicht zu vergessen, das hat sie mit allem Inventar, außer ihrem, Hannas, ganz persönlichen Eigentum, der Familie in Breslau zur Verfügung gestellt. Ist natürlich auch angenommen worden, und ohne Handkuß. Soviel sie weiß, soll nach Ablauf des Trauerjahres Nichte Evchen ihre Residenz drin aufschlagen. Na, ihr kann’s einerlei sein. Bald nach Weihnachten ist sie ausgezogen, ganz still und lautlos, mit ihrem kleinen Um und Auf aus der alten Linkstraßenwohnung, und hinaus auf das Dorf in das einsame Haus.“

Günther schwieg und betrachtete den Freund, der, sehr bleich, in einer Art von Erstarrung dasaß. Kaum unterschied man, ob er atme, ob er wohl höre. Nur von den groß offnen, fernabträumenden Augen war ein Schleier niedergesunken, der sie bis jetzt verdüstert hatte. Günther wunderte sich, wie schön diese Augen doch eigentlich wären. Wieviel schöner mußten sie aber noch werden, wenn sie erst lernten, zu lächeln. Aber bis dahin – –

Arnold rührte sich jetzt. Mit einem tiefen Seufzer schien er zu erwachen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_843.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)