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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Dorfes hinter sich. Nun ging es durch Wiesen und Aecker dem Wald zu. Ein schwüler Sommerabend lag über dem Unterinnthal. Auf den Gipfeln der Berge ballten sich schwarze Wolkenmassen zusammen. Kein Lufthauch rührte sich, kein Laut war hörbar als das Zirpen der Grillen im roten Klee oder der Pfiff eines vorüberschwirrenden Vogels. Hier und da hörte man auch das Wetzen einen Sense in benachbarten Wiesen.

Als der Wanderer den anfangs ebenen und dann sacht ansteigendem Wald betrat, war es dort womöglich noch „dunstiger“. Seine Joppe hatte der Bursch ausgezogen und trug sie mit der Rolle unterm Arm. Der Vorgang beim Kramer hatte den Romedi mehr aufgeregt, als er sich selbst eingestehen wollte. Sonst pflegte er ein Liedel zu pfeifen, wenn er so mit wuchtigen Schritten seinen Weg verfolgte. Heute wollte ihm kein einziger Ton aus der Kehle.

In der Ferne begannen die ersten Donner zu grollen. Es wurde schon beinahe finster im Wald und man mußte Weg und Steg gut kennen, wenn man sich nicht verirren wollte. Der Pfad wurde immer steiniger und steiler. Der Romedi hatte noch ein tüchtiges Stück, bis er seine einfache Behausung droben im Gebirge erreichte. Schon wechselten die Bestände der Fichten und Föhren vielfach mit der Zwergkiefer, die in dem felsigen Untergrund noch am ehesten ihr Fortkommen fand. Jetzt leuchtete ein greller Blitz hernieder, dem in kurzer Frist ein dumpfes Poltern folgte. Gleichzeitig fielen die ersten Regentropfen. Der Romedi hielt keuchend inne, denn er hatte die letzte Viertelstunde seines Weges fast im Sprunge zurückgelegt. Furcht vor dem Wetter kannte er nicht. Der Sturm in seinem Innern war’s, der ihn antrieb, über den holprigen Weg so hinauf zu rasen. Nun ließ er sch auf einem mit Moos und Farrenkraut überwachsenen Felsstück nieder, vergrub das Gesicht in beide Hände und dachte nach.

Die ganze Welt um ihn war vergessen, der Sturm, der die Wipfel der Bäume zauste, das Gewitter, das in immer größerer Heftigkeit losbrach, der niederrauschende Regen. Mochte es ihn erschlagen und verschwemmen, den armen Stoandlnarr! Es wäre ihm gerade recht gewesen. Sein ganzes Leben zog an dem Burschen im düstern Hochwald vorüber, und die entfesselten Elemente spielten ihm dazu auf.

Der Romedi war schon als ganz kleines Büblein aus Welschtirol in das Dorf im Unterinnthal gekommen. Von seinen Eltern hatte er nur wenig Erinnerungen. Sein Vater war ein Maurer gewesen, der mit seinem Weib in der Gegend eine Weile gelebt hatte und dann wieder in seine Heimat gezogen war. Den Romedi hatte sie bei einem Bauern gegen gute Worte als Hüterbua zurückgelassen. Er konnte bereits auf eigenen Füßen laufen und sich daher sein Brot allein verdienen. Auf diese Weise war der lästige Mitesser am besten „angebaut“. Wenn er einmal herangewachsen wäre, würde man ihn schon wieder mit nach Hause nehmen, hatten seine Eltern beim Abschied gesagt. Dann sollte er das Handwerk des Vaters erlernen. Nach dem „welschen Bua“ frug aber kein Mensch mehr. Auch alle später eingezogenen Erkundigungen über seine Eltern blieben erfolglos. So behielt man Buben im Dorf. Deutsch hatte er inzwischen gründlich gelernt und seine Muttersprache vollkommen vergessen.

Aus dem kleinen Hüterbua war ein braver Knecht geworden, der sich auf die Bauernarbeit verstand wie selten einer. Als der Romedi schon ein ganz großer „Lackl“ und bald zwanzig Jahre alt war, kam er auf den Hof des Praxmarer, eines ziemlich wohlhabenden Bauern. Die Bäuerin war nicht mehr am Leben. Der Praxmarer hauste allein auf dem Anwesen mit seinem Gesinde und der kleinen Emerenz, dem einzigen Sprößling seiner kurzen Ehe. Das Diandl war damals zehn Jahre alt und „a rechter Uebermuat“. An dem Madl ist ein Bua verloren gegangen, pflegten die Leute zu sagen. Da der Praxmarer mit Holz und Vieh handelte und daher viel auswärts war, blieb das kleine Ding dem Gesinde. überlassen und der Obhut eines alten treuen Haushundes, der das Kind öfter als einmal aus dem Mühlbach gezogen hatte. Gerade einige Wochen, nachdem der „Phylax“ seinen letzten „Schnaufer“ gethan, kam der Romedi auf den Hof und übernahm das Amt des alten Hundes. Es war wirklich rührend, zu sehen, wie der hoch aufgeschossene, unbehilfliche Bursche dem Kinde jede freie Minute widmete, es bewachte wie seinen Augapfel, ihm Puppe und Maispfeife schnitzte und sich von seinem Händchen im Spiel zerzausen ließ. Er hätte sich eher in Stücke hacken lassen, bevor dem Diandl des Praxmarer auch nur ein Haar gekrümmt worden wäre.

Lange dauerte diese Wächterrolle allerdings nicht. Die kleine Emerenz wuchs heran und vertauschte ihr Spielzeug mit der Arbeit im Haus. Der Romedi war auf dem Hofe eine unschätzbare Kraft geworden. Er sah nach allem, griff überall von selbst zu und arbeitete unverdrossen von früh bis abends. Darüber verstrichen die Jahre. Er wußte es zuletzt selbst nicht mehr, wie lange er schon beim Praxmarer diente. Daß es schon ziemlich lange sein müsse, konnte er sich an der Emerenz ausrechnen, die eine stattliche Dirn geworden war und, wie die übrigen Diandeln und ehemaligen Schulkameradinnen mit Neid eingestehen mußten, die schönste im ganzen Dorf. Und doch war alles ganz langsam und stetig vor sich gegangen. Der Romedi erinnerte sich noch ganz genau, wie das Diandl in die Schule ging und glückstrahlend mit dem ersten Preis, einem riesigen, in hellroten Sammet gebundenen Gebetbuch, heimkam. Dann besuchte sie noch ein Jahr die Sonntagsschule, wobei der Romedi sie gewöhnlich abholte, um das plötzlich ganz scheu gewordene Diandl vor den Neckereien der jungen Burschen, die mit ihr am Sonntag die Christenlehre besuchte, zu bewahren. Mehr als einen Zudringlichen hatte er durchgeholzt. Später wußte sich dann das Diandl selbst zu helfen. Eine schnippische Bemerkung der schönen Emerenz fruchtete dann mehr als früher die Fäuste des Romedi.

Die beiden Gespielen waren nicht mehr viel beisammen und hatten auch nicht mehr viel miteinander zu reden. Jedes ging seiner Arbeit nach. Und an den Abenden im „Hoamgart“ waren zu viele, als daß man ein vertraulich Wörtlein allein hätte wechseln können. In irgend einem Winkel leise zu „tuscheln“, hätte nur üble Nachrede erzeugt. Und schließlich, was sollten sie sich auch leise oder laut sagen, was nicht alle Welt hätte hören können? Sie war die Tochter vom Haus, und er war der Knecht. Dieser große Unterschied, der in den Kinderjahren ja nur wenig ins Gewicht fiel, hatte sich nunmehr Geltung verschafft. Da hieß es, den Abstand zu wahren!

Die Emerenz war gerade nicht stolz geworden. Aber daß sie etwas auf sich halten konnte, das wußte sie. Gar mancher Bursch guckte sich die Augen nach ihr aus, wenn sie so leichtfüßig dahineilte wie ein Reh, daß die dicken braunen Zöpfe im Winde flogen. Von den vielen Bewerbern konnte sich keiner rühmen, daß ihm die Emerenz auch nur die Spitze des kleinen Fingers gereicht hätte. Ob sie ans Heiraten dachte oder nicht? Wer wollte es entscheiden? Jedenfalls waren schon genug mit ellenlangen Gesichtern abgefahren, die sie nur „von weitem“ darum gefragt hatten.

Das Leben ging auf dem Praxmarer Hof ruhig weiter. Außer Tod, Feldschaden, Brand, Wassergefahr und dergleichen giebt es ja nicht viele aufregende Momente im Bauernleben, Liebe und Ehe etwa noch mit eingeschlossen. Der Romedi war daher in aller äußeren Ruhe dreißig Jahre alt geworden. Was er innerlich dachte und fühlte, darum fragte ihn niemand. Schien auch niemand neugierig danach zu sein!

Ein neues Element war allerdings in sein Leben getreten. Das hatte der Besuch von mehreren Geologen, die sich einige Wochen in der Gegend aufhielte, mit sich gebracht. Da auf dem Hof die strengste Feldarbeit gerade vorüber war, erlaubte der Bauer dem Romedi, den fremden Herren als Führer in die umliegenden Berge zu dienen. Das war für den Romedi eine Zeit der größten Anregung. Anfangs machte sich wohl die Spottlust in ihm geltend – „Was dö Herrischen doch für verrückte G’sellen san, weil sie sich wegen a paar elendige Stoaner halb zu tot schwitzen! Von Tag zu Tag wuchs jedoch das Interesse des Burschen an der Sache. Er sperrte Mund und Auge auf darüber, daß es in der ihn zunächst umgebenden Welt so viel gab, von dem er bisher keine Ahnung gehabt. Er war wohl oft genug früher mit der Büchse über der Schulter in die Berge gestiegen. Da hatten ihm aber die Steine nur manchen gelinden oder starken Fluch entlockt, und es war ihm einer wie der andere erschienen. Jetzt war er eifrig bestrebt, den fremden Herren so viel als möglich von ihrer Wissenschaft abzulauschen und hatte sich auch innerhalb der wenigen Wochen ganz erkleckliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 852. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_852.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)