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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Meisters Wahlspruch war und auch meiner geworden ist: Der Mensch hat nichts unter der Sonne, als daß er fröhlich sei in seiner Arbeit’.“

Hanna streckte ihm die Hand hin; „Ich wünsch’ Ihnen Glück!“ sagte sie leise und ergriffen.

Arnold drückte die blassen Finger fest an seine Lippen. „Ich danke Ihnen,“ murmelte er.

„Erzählen Sie mir nun Einzelheiten,“ bat Hanna, sacht ihre Hand zurückziehend.

„Einzelheiten! Lieber Gott! Dazu reichte ja der Tag nicht aus. Dazu müßten wir –“ er hielt inne, es flog ihm eine schwache Röte übers Gesicht „Die müßte ich Ihnen an Ort und Stelle zeigen können.“ Und als sie schwieg, er auf ihrem leblosen Gesicht keine Schrift zu lesen fand, fuhr er zögernd fort: „Einige Haupteinzelheiten könnte ich Ihnen ja schon nennen. Unser Plan also umfaßt sämtliche Gymnasialklassen und die Vorschule. Auch Realschüler können ausgebildet werden, für die dann unter anderm der englische statt des griechischen Unterrichts eintritt.“

„Erlauben Sie eine Frage, ehe ich's vergesse,“ unterbrach ihn Hanna. „In so einem riesigen Hauswesen kann doch nicht immer alles gesund bleiben. Wo finden Sie nun schnell ärztliche Hilfe?“ Rettenbacher lächelte froh überrascht. „Ein kluger Einwand. Wie mich das freut. Besonders, da ich auch eine Antwort darauf habe. Ein leibhaftiger Mediziner wird einen Teil des naturwissenschaftlichen Unterrichts leiten, zum Beispiel die Anatomie. Dieser Herr, der auch Kurse in der Wundpflege und in anderen wichtigen praktischen Dingen erteilen kann, wo sich die Gelegenheit bietet und persönliche Begabung darauf hinweist, ist als Hausarzt amtlich angestellt und wohnt natürlich auch in der Anstalt. Aber nun schnell noch etwas Schönes! Jeder der Knaben soll sich, nachdem man ihn erst ein wenig kennen gelernt hat, nach dem Ideal unseres armen Kaisers Friedrich für ein Handwerk entscheiden, das er nebenher zu erlernen hätte. Die Meister dazu finden sich leicht, in der Umgegend und im Hause selbst, um nur allein den Gärtner zu nennen. Meine Jungen sollen erfahren, daß es keine Handarbeit giebt, bei der nicht jeder Gebildete eine Masse lernen kann, und daß der am freiesten ist, der am wenigsten Hilfe braucht, und der am vornehmsten, der mit Kopf und Händen arbeiten kann. Meinen Sie nicht?“

„Gewiß,“ bestätigte Hanna ernsthaft und herzlich nickend. „Und weiter, was ich noch fragen wollte. Als unumschränkter Herrscher in Ihrem Staat werden Sie doch auch die Uniform bestimmen können?“

„Freilich werd’ ich das. Es schmeichelt meiner Eitelkeit gewaltig, daß Sie da auf mein Schriftchen hindeuten. Unsre Tracht wird also das Matrosengewand sein, mit bloßer Brust für Sommer und Winter. Mit Vorsicht und unter ärztlicher Kontrolle wird begonnen und nichts mehr aufgegeben, was erreicht ist. Allen ist natürlich zu Anfang der wollene Brustlatz gestattet und es wird Sache des Ehrgeizes werden, ihn entbehren zu können, sollen Sie sehen. O, wenn ich sie nur schon laufen sähe, meine Kerle!“

„Im Oktober, denk’ ich, fangen Sie an?“

„Im Oktober. Aber ich muß jetzt schon hin, um die letzten Vorbereitungen zu leiten und die noch ausstehenden Aufnahmen zu erwarten. Für das kleine Vierteljahr von August bis Michaelis hat mich Kühnemann schon freundlichst beurlaubt.“

„Da hat ja Ihre Schwester Grete prächtig Zeit, den Haushalt zu verpacken und dort wieder einzurichten, Ihnen überhaupt zur Hand zu gehen. Denn selbstverständlich zieht sie doch mit Ihnen nach Thüringen?“

„Die?“ Rettenbacher lachte hell auf. „Sie denkt nicht daran. Läßt mich elend im Stich. Dieser nichtsnutzige Musikante, der Günther, hat sie mir abspenstig gemacht. So sind die Schwestern!“

„Was sagen Sie da? Günther und Grete?“

„Ja, ja, heiraten wollen sich die zwei, nichts Geringeres. In den Herbstferien. Die Hochzeitsreise machen sie gütigst nach Schwarzborn zu mir. Wollen mir zu guter Letzt noch das Herz recht schwer machen. Das heißt, nein. Schwer ist mir bei dieser Sache das Herz gewiß nicht. Nur bewegt. Ich gönne ihnen ihr Glück, denn es wird eines werden, das sich gewaschen hat’,“ sagte Günther. Ich hab’ den Bruder Heinrich sehr lieb. Grete ist in guter Hut bei ihm.“

„Wie mich das freut,“ sagte Hanna. „Gewiß ist sie bei ihm in guter Hut! Bitte, grüßen Sie ihn sehr herzlich von mir und ich ließe ihm Glück wünschen, und der Grete auch, unbekannterweise.“

„Darf er sie Ihnen nicht einmal bringen?“

„Aber freilich, gern. Recht bald. Nur soll er sich vorher melden, damit ich mich ein bißchen darauf vorbereiten kann. „Ich werd’s ihm sagen. Ja, ja, so komm’ ich also als gänzlich im Stich gelassener Einsamling in mein neues Reich. „Ihren Hans aber nehmen Sie doch mit?“

„Versteht sich. Er ist als mein erster Schüler eingeschrieben. „Wie viele haben Sie bis jetzt? Doch nicht schon bald alle zweihundert?“

„Bewahre! Sechsundsiebzig. Aber es kann bis zum Herbst noch eine ganze Anzahl Meldungen eintreffen. Die Anzeigen sind nicht so schnell herausgekommen, wie die Herren beabsichtigten. Aber das thut nichts, ist mir sogar ganz lieb. Ich muß doch erst lernen regieren, und wenn ich es in meinen einzelnen Klassen auch leidlich zuwege gebracht habe – so als König über alle, das ist noch etwas ganz anderes.“

„Es wird schon gehen, da ist mir nicht bange. Kühnemann wird Ihnen das auch gesagt haben.“

Rettenbacher antwortete nicht gleich. In seinem Gesicht kam und ging wieder die Farbe. Jetzt hob er die gesenkten Augen mit einem dunkel strahlenden Blick.

„Es wird besonders dann gehen,“ sagte er leise und beugte sich etwas zu Hanna vor, „wenn die Frau, die seit langen Jahren die Königin meines Herzens ist, sich entschließen kann, auch die Königin dieses meines großen Hauses zu werden. Liebe Hanna – wollen Sie mit mir kommen? Vielleicht zu Weihnachten? Als Christkindchen?“

Hanna schüttelte den Kopf. Sie war sterbensblaß geworden. Angstvoll, ganz unfähig zu sprechen, sah sie Rettenbacher an, der ihr mit flehender, völlig enthüllter Zärtlichkeit tief in die Augen blickte.

„Nein?“ fragte er leise. „Warum nicht? Wir haben uns doch einmal lieb gehabt. Sehr lieb. Wenn wir es uns auch nie gesagt haben, wir wußten es. Früher hat es nicht sein sollen, daß wir zusammenkamen. Hart war es, aber wir trugen keine Schuld. Jetzt könnt’ es sein! Das Schicksal hat sie gelüftet, die schwere Hand. Wir sind frei, wir sind jung. Warum nicht zusammen fort?“

„Niemals,“ brachte Hanna mühsam, heiser heraus.

„Warum nicht?“

„Ich kann nicht mehr – und ich will auch nicht mehr. Ich fürchte mich.“

Und als ob die Angst sie überkäme, er möchte sie anrühren, schlang sie die Arme fest ineinander und schob sich in ihrem Sessel ein wenig zurück. Er sah diese fluchtähnliche Bewegung und zuckte leicht zusammen; aus seiner vornüber geneigten Haltung richtete er sich sofort in die Höhe.

„Ich will Sie ja nicht ängstigen und quälen,“ sagte er mit so viel Ruhe, als ihm sein heftig schlagendes Herz übrigließ. „Vielleicht hab' ich es sehr dumm angefangen, daß ich Ihnen so mit der Thür ins Haus gefallen bin. Aber ich bitte, bedenken Sie nur! Seit Monaten, seit ich von Günther weiß, daß Sie frei sind, ich meine, in dem ganz bestimmten Sinne für mich frei, als Sie das Teufelsgeld, das Ihnen zum Unheil geworden ist, ins Meer geworfen haben. O, wie segne ich Sie dafür! Seit all diesen Monaten steh’ ich da, mit der Faust auf dem Herzen und schreie mich an: sei still, laß ihr Zeit, laß sie aus diesem Elend zur Ruhe kommen, warte, warte, warte! Wenn Sie wüßten, wie entsetzlich schwer mir dieses letzte halbe Jahr geworden ist! Denn auch schon ehe das Märchen da draußen im Thüringer Wald sein Schloß aufgebaut hatte, war der Jubel in meiner armen Seele groß. Zu dem Leben, wie ich es mir für uns zwei gedacht habe, war auch damals schon Brot genug im Haus. Nur, daß es jetzt noch so viel schöner werden mußte! Ich hätte vielleicht noch länger warten sollen. Aber es ging einfach nicht mehr. Meine Ruhe war verbraucht, meine Geduld

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 879. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_879.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)