Seite:Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 2 Bd. 35 (1891) 06.jpg

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er aufnimmt, den züchtiget der Herr.“[1] Denn oft dankte sie deshalb Gott und erwog mit ihren getreuen Hausgenossen, wie vieles und wie schweres sie zu jener Zeit erlitten, und wie mitleidsvoll sie der Herr aus ihrer Feinde Händen befreit habe. Denn sie urtheilte, es sei für sie zuträglicher gewesen, für eine Zeit von zeitlichem Mißgeschick heimgesucht, als in Lüsten lebend den Banden eines ewigen Todes überantwortet zu werden.

9503. Als nämlich ihr Gatte Lothar gestorben war, gelangte ein Mann Namens Beringar zur Ehre der italischen Krone, dessen Gemahlin Willa hieß. Von diesen wurde sie schamloser Weise unschuldig gefangen, durch vielfache Quälereien geängstigt, an den Haaren ihres Hauptes gerissen, oft mit Faustschlägen und Fußtritten mißhandelt und 951
20. April
am Ende mit einer einzigen Dienerin in einen dunkeln Kerker eingeschlossen. Durch himmlische Fügung befreit, wurde sie später nach Gottes Rathschluß auf den Gipfel kaiserlicher Macht erhoben. In derselben Nacht nun, 20. Augustin der sie aus dem Kerker[2] hinweggeführt wurde, gerieth sie in einen Sumpf. Hier blieb sie Tage und Nächte lang ohne Speise und Trank, Gott um Hilfe flehend. Als sie in solcher Gefahr schwebte, kam plötzlich ein Fischer in einem Kahne, der in seinem Fahrzeug einen Fisch hatte, welcher Stör genannt wird. Als er die Frauen sah, fragte er, wer sie seien und was sie hier trieben. Sie antworteten ihm, ganz entsprechend ihrer bedrängten Lage: „Siehst du nicht, daß wir von menschlichem Rath abgeschnitten in der Irre umherwandern, und was noch schlimmer ist, durch Einsamkeit und Hunger gefährdet sind? Wenn du kannst, gieb uns etwas zu essen, sonst laß uns wenigstens nicht ohne Trost.“ Von Mitleid für sie ergriffen, sprach er wie Christus, der ihn gesandt hatte, einst----
  1. Hebr. 12, 6.
  2. Der Burg Garda, nach einer späteren Nachricht. Sie entkam durch einen zu ihrer Befreiung gegrabenen unterirdischen Gang.