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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1

Quelle angeregt worden; was Wunder also, wenn alle Ströme und Brunnen, die daher stammen, zu gleicher Zeit anschlagen? Deutschland, bisher wenig mit seinen allgemeinem historischen Interessen beschäftigt, greift seit Anfang dieses Jahrhunderts in seine, lange Zeit fast verschollene, Vergangenheit zurück.

Die Poesie, in solchen Dingen von schöpferischer Gewalt, hat es dargethan, daß ihre wahre und echte Lebenswurzel mit dem vaterländischen Boden eins ist. Dieser allgemeine Aufschwung des deutschen Genius, den wir zunächst dem wissenschaftlichen Geiste, dann der frühern, hochbegeisterten Romantik, und dem an großen, volkstümlichen Charakteren so fruchtbarem Befreiungskriege verdanken, regt sich allmälig selbst bis in die letzten Glieder von Deutschlands Grenzgebieten; es ist in den verflossenen Jahrzehenden ein Aufguß neuer Lebenskraft über den vaterländischen Boden geschüttet, der schnell und mit Nothwendigkeit die letzten Fibern des Nervengewebes erreicht, in das der germanische Geist sich verzweigt hat.

Ein solches Anschauen, ein solcher energischer Anklang des deutschen Bewußtseins, das gesunde Keimen aller Kräfte, welche in den Schachten seiner Geschichte und seiner Natur liegen, dürfen wir wohl als ein Vorzeichen einer umfassenderen, geistigen Befruchtung der europäischen Länder ansehen. In der Art hat unser Vaterland von jeher auf die umliegenden Staaten gewirkt. Als Centralkörper berufen, die allgemeine Ordnung unter den europäischen Mitstaaten an sein eignes Gewicht zu knüpfen, hegt es doch zugleich in sich den entschiedensten Trieb nach Individualisirung, nach freier, gleichsam centrifugaler, Entbindung der Theile; sein Einfluß wird deßhalb auf die Nachbarländer ein ganz anderer sein, als jener, wie ihn Frankreich, im Wege der Waffeneroberung und der Ausmerzung lebenvoller Unterschiede, ausgeübt hat, und wir zweifeln nicht, daß ein anregender, entwickelnder, und ebendeßwegen ein geistiger, sich zeigen wird. Wenn andere Völker die See überschiffen, um Colonien zu Nutzen des äußern Lebensbedarfes anzulegen, so hat Deutschland, wie es scheint, den schwierigern Beruf, die Pflanzstädte der Wissenschaft, der schönen Literatur, und der Kunst auf dem befreundeten Nachbarboden zu gründen. Die Zeit kann nicht fern sein, wo dieß, vielleicht ohne Wissen und Willen der Völker, ins Leben treten wird. Für's Erste müssen die Völkerschaften sich besinnen, ihrer selbst, ihrer verlebten Jahre, ihrer gewonnenen Erfahrungen inne, ihrer natürlichen, innern und äußern, Anhaltspuncte gewiß werden. Aus der Betäubung, womit das vorige Jahrhundert schloß, und das jetzige anhob, muß sich die Klarheit des nationalen Willens und Wissens emporringen. Daher, in unsern Tagen, wenig so erfreuliche Erscheinungen, als das Erstehen heimathlichen und vaterländischen Sinnes, nichts kernhafter und ersprießlicher, als das Wachsthum jener edlen Bürgerkraft, die in

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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1. Herbig, Leipzig 1841, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/63&oldid=- (Version vom 9.4.2018)