König Friedrich August den Zivilverdienstorden I. Klasse verlieh. So wenn er nach Tagen saurer Arbeit ganz unvermittelt eine kleine Festlichkeit veranstaltete und mit den Worten: „Meine Herren, die Arbeit ist kein Has und läuft nicht fort, lassen Sie uns heute ausruhen und fröhlich sein!“ Feierabend ansagte. Dieser schöne Zug der Menschen- und Arbeiterfreundlichkeit ging auch auf den „Herrn Sohn“ über, wie man seinen Nachfolger und Mitinhaber zum Unterschiede von dem Alten nannte, der u. a. im Jahre 1849 der in Dresden tagenden „Kommission zur Verbesserung der Arbeiterverhältnisse“ angehörte, wie er denn auch verschiedene Male in den Landtag gewählt wurde. Die Bestrebungen zur Lösung der „sozialen Frage“ nahmen damals zum erstenmale Form und Gestalt an und wurden als „Organisation der Arbeit“ bezeichnet. Zur Ehre der gegenwärtigen Inhaber der altberühmten Firma sei es gesagt, daß diese Traditionen auch heute noch hochgehalten werden; die Oberleitung trachtet auch heute noch danach, den Wünschen der Arbeiter nach Möglichkeit gerecht zu werden.
Doch zurück zur Geschichte der Firma! Nach dem Tode Christian Böhlers ging das Geschäft 1866 an dessen drei Söhne über. Bis 1878 bewirtschafteten es dieselben gemeinsam. Zu dieser Zeit verzog dann der älteste Sohn, Herr Stadtrat Ludwig Böhler, nach Berlin. Seit dem im Jahre 1887 erfolgten Tode des jüngsten Bruders, Herrn Rudolf Böhler, führt Herr Julius Böhler mit seinem Sohne Hermann, dem bisherigen Prokuristen, die Firma weiter.
Die Firma F. L. Böhler & Sohn fabrizierte, wie schon bemerkt, im Laufe der Zeit die mannigfaltigsten Artikel sowohl in Hand- und später Maschinenstickerei, als auch in Langwaren auf Hand und – seit 1866 – auf mechanischem Wege. In den dreißiger Jahren gründete dann Herr Christian Böhler eine chemische Bleich- und Appretur-Anstalt, welche, wie bereits erwähnt, für die Einführung der Schweizerappretur bahnbrechend war. Es geschah dies hauptsächlich zur Veredelung seiner eigenen Fabrikate, dieselbe ging im Jahre 1879 infolge Erbteilung in die Hände seines Enkels, Herrn Dr. Albrecht Nietzsche, über.
Gegenwärtig sind im Etablissement der Herren F. L. Böhler & Sohn drei Dampf-Kessel aufgestellt, die eine 80-pferdige Zwillingsmaschine mit doppelter Kondensation bedienen. In einem großen, im modernsten Stile erbauten Websaale befinden sich 320 Webstühle in Thätigkeit, außerdem noch Vorbereitungsmaschinen neuester Konstruktion. Im geschlossenen Etablissement sind ca. 300 Arbeiter und Arbeiterinnen, außer dem Hause mindestens die gleiche Anzahl beschäftigt. Als Rohmaterialien verarbeitet die Fabrik Baumwollen-Garne, welche aus süddeutschen Spinnereien bezogen werden; nur die feineren Sorten, bis zu Nr. 200, liefert ausschließlich England. Die Fabrikate des Etablissements waren und sind auch heute noch dem deutschen Markt angepaßt. In den 40er und 50er Jahren boten die Messen in Leipzig, Frankfurt a. M. und a. O. lohnende Absatzgebiete; nach und nach aber erfolgte, den Gepflogenheiten der Neuzeit entsprechend, der Verschleiß der Waren nach dem In- und Auslande durch direkte Offerten.
Die Fabrikate der Firma F. L. Böhler & Sohn wurden vielfach ausgezeichnet, so bereits 1825 mit der großen goldenen und 1867 in Chemnitz durch die große silberne Medaille; ferner auf den Ausstellungen in New-York 1850, in London 1851, in Paris 1855 und 1867. Auch wurde dem Etablissement mehrfach die Ehre des Besuches sächsischer Könige zuteil, zuletzt 1876 durch Se. Majestät König Albert. Ebenso besichtigten der Leiter der Königl. Gewerbeschule, hohe Ministerialbeamte und Leiter preußischer Hochschulen seine Einrichtungen.
So hat denn die Firma F. L. Böhler & Sohn nahezu ein Jahrhundert in Blüte gestanden, sie ist vom Begründer auf den Urenkel übergegangen und hat jederzeit eine achtunggebietende Stellung innerhalb der sächsischen Großindustrie eingenommen. Ein erfreuliches Bild entrollt sich, wenn man auf die Wandelungen und Schicksale zurückblickt, die sie durchmachte, ein erfreuliches auch für die Zukunft, denn ihre Devise ist und war von jeher: „Vorwärts!“
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Zweiter Teil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1893, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_2.pdf/49&oldid=- (Version vom 23.2.2020)