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Juden bei Todesstrafe untersagt worden war, je wieder den Boden von Jerusalem und der Umgegend zu betreten, nachdem auf Golgatha ein Tempel des Zeus und daneben ein solcher der Venus errichtet, und am Thore das Bild eines Schweins eingehauen worden war, zogen sich die Reste des jüdischen Volkes, um sicherer leben zu können, immer weiter von der Heimat hinweg und zerstreuten sich unter den Völkern in immer kleineren Gruppen und einzelnen Familien, die nicht mehr gefährlich schienen und kaum mehr bemerkt wurden.[1] Damit ist die erste Ursache schwerer Bedrückungen der Juden durch die Völker weggefallen. Die Juden sind durch die Verhältnisse gezwungen, die Mahnung des Talmud zu befolgen und keine offene Empörung gegen die Landesregierung zu beginnen. Sie wurden des heiligen römischen Reiches durch Germanien oder des römischen Kaisers allergetreueste Kammerknechte. Der Talmud verbietet aber den Juden nicht bloß die Empörung gegen die Regierung des Landes, in welchem sie Aufnahme gefunden haben, sondern er befiehlt ihnen auch, die in dem Lande geltenden Gesetze, also auch die Ehegesetze, auf das gewissenhafteste zu beobachten. Es ist ein jedem Juden geläufiger talmudischer Grundsatz: „Dina de Malchuta Dina“ – „Gesetz der Staatsregierung ist Gesetz.“

X.
Der Talmud und die Auslegung der Thora in der Gegenwart.

Was für ein gewaltiger Umschwung der Anschauungen der Juden hinsichtlich der Erklärung der Thora und der Anbequemung an die Zeit- und Lebensverhältnisse eingetreten ist, dürfte am klarsten aus einer Thatsache hervorgehen, die sich in Persien zugetragen hat. „In der besonders geheiligten Synagoge Schafjatib zu Nehardea ward – wahrscheinlich infolge eines königlichen Ediktes – die persische Königsstatue aufgestellt, nicht damit ihr göttliche Verehrung zu teil werde, sondern zum Zeichen, daß die Juden sich dem Landesherrn unterordnen. Es wird nicht berichtet, daß die Juden dem Befehl einen hartnäckigen Widerstand entgegensetzten. Man betrachte dies nicht als Götzendienst, und die gefeierten Lehrer Abba, der Vater Samuels, und Lewi gingen in jene Synagoge beten.“[2] Damit vergleiche man, was früher in Palästina geschehen war! Als Judäa eine römische Provinz geworden war, und von dem Prokurator Pontius Pilatus regiert wurde, ließ derselbe zum erstenmal Standesbilder des Landesherrn, des Kaisers Tiberius, nicht im Tempel, nicht in einer Synagoge, sondern nur in der Stadt aufrichten. Als aber die Juden ihn baten, es nicht zu thun, weil ihre heilige Stadt dadurch entweiht werde, und sie in Masse vor seinem Palast versammelt fünf Tage und Nächte auf den Knieen lagen und nicht wichen und wankten, gab er so großer Standhaftigkeit staunend nach und ließ sie Bilder wieder entfernen.[3] Die Juden


  1. W. Menzel, c. l. III. 399.
  2. Dr. Hoffmann, Schulchan-Aruch, S. 10.
  3. W. Menzel, c. l. III. 388.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/86&oldid=- (Version vom 31.7.2018)