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Seite:Die Relativitätstheorie (Petzoldt 1912).djvu/10

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die Erscheinungen nur die in Raum und Zeit vierdimensionale Welt gegeben“ sei und damit durchblicken läßt, daß jene wirklich beobachteten Vorgänge eben, wie er sich auch ausdrückt, nur „Erscheinungen“ seien, so ziehen wir, unserer erkenntnistheoretischen Stellung entsprechend, es vor, auf den lediglich theoretischen, begrifflichen Charakter des Minkowskischen „Postulats der absoluten Welt“ hinzuweisen. Als wirklich und zwar in gleicher Weise, mit durchaus gleicher Berechtigung — unter den oben unter 3. angegebenen Voraussetzungen — als wirklich zu bezeichnen sind allein alle „Projektionen“ jener vierdimensionalen Welt in Raum und in Zeit der Einsteinschen Physik, wie oben die wirklich beobachteten „perspektivischen Verschiebungen“ des nur gedachten mathematischen Würfels. Dabei kann es natürlich keinem Zweifel unterliegen, daß uns die Minkowskische und F. Kleinsche Theorie viel wichtiger sein muß als der oder jener einzelne unter sie gehörige wirkliche Fall, gerade wie der mathematische Würfel wichtiger als die eine oder andere seiner sogenannten perspektivischen Verschiebungen.

10. Ein Begriff oder eine Theorie ist niemals Ausdruck für einen absoluten Standpunkt bei der Betrachtung, für absolute Wahrheit, sondern nur Hilfsmittel, uns mit den Dingen und Vorgängen ins Gleichgewicht, in ein stabiles Verhältnis zu setzen. Und die Begriffe und Begriffssysteme sind die besten, die das in der einfachsten und vollständigsten Weise leisten. Zu diesen Begriffen gehören auch Raum und Zeit, Raummaß und Zeitmaß. Und das zur Geltung gebracht zu haben, darin liegt die erkenntnistheoretische Bedeutung der Relativitätstheorie.

Indem sie so aus den absoluten, nur einmal vorhandenen Behältern Raum und Zeit Begriffe macht, die der Beschreibung des Wahrgenommenen dienen, stellt sie den Menschen mitten in die Welt, macht ihn zu einem Teile der Welt. Er steht nicht mehr auf einem archimedischen Punkte außerhalb ihrer, von dem aus er hoffen könnte, sie begrifflich aus den Angeln zu heben, zu einer hinter ihr gelegenen absoluten Wahrheit zu gelangen, sondern er ist „Ort für Ort“ in ihrem Inneren.

Damit steht die Relativitätstheorie in einem großen erkenntnistheoretischen Zusammenhange und ist eins der historisch wichtigsten Glieder dieses Zusammenhanges, mag sie nun bestehen bleiben oder über kurz oder lang fallen.


Empfohlene Zitierweise:
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie im erkenntnistheoretischen Zusammenhange des relativistischen Positivismus, Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 14. Jahrgang. , Braunschweig 1912, Seite 1064. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_(Petzoldt_1912).djvu/10&oldid=- (Version vom 12.6.2024)