Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie im erkenntnistheoretischen Zusammenhange des relativistischen Positivismus, Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 14. Jahrgang | |
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Natorp[1]). Allein hier liegt eine mehrfach unrichtige Auffassung der Theorie vor, dazu überhaupt sehr bezweifelbare erkenntnistheoretische Vorstellungen auf den Gebieten der Mathematik und Physik; vor allem aber kein Eingehen auf die wichtigsten Fragen und bei scheinbarer Zustimmung doch Aufrechterhaltung eines absoluten Gebietes, wenn auch nicht unter diesem Namen, des Gebietes der reinen Mathematik und Logik[2]).
3. Zunächst muß Klarheit darüber geschaffen werden, inwiefern die von der Relativitätstheorie gelehrte Verkürzung sich vom Beobachter relativ entfernender Körper im Entfernungsradius und das Nachgehen sich von ihm ebenso entfernender Uhren als wirklich oder nur als scheinbar anzusehen ist. Hier herrscht Sichausschweigen, Unklarheit oder geradezu Irrtum.
Für denjenigen, dem der Begriff einer absoluten Wahrheit metaphysisch ist und logisch widerspruchsvoll, kann die Entscheidung nicht zweifelhaft sein. Wenn er die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum als konstant betrachtet und das negative Ergebnis des Michelsonschen Versuches als feststehend annimmt, dann können für ihn jene Änderungen in der Gestalt und im Uhrgange unmöglich nur scheinbar sein, er muß sie als vollwertige Wirklichkeit ansehen, falls er seinen Voraussetzungen nicht widersprechen will. Die Relativitätstheorie ist ja nur die Theorie des Michelsonschen Versuches unter Verzicht auf die Möglichkeit, absolute Bewegung zu erkennen, und unter der Voraussetzung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Was sie unter diesen Voraussetzungen lehrt, ist lediglich deren logische Konsequenz, also Wahrheit, wenn natürlich auch nur relative Wahrheit, da ja nach denselben Voraussetzungen die einzige dem Menschen überhaupt zugängliche Wahrheit eben relativ ist, auf Standorte, Beobachtungspunkte, Koordinatensysteme bezogen. Wir können auch sagen: dasselbe Maß von Wahrheit und Wirklichkeit, das wir dem Michelsonschen Versuch und dem Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zubilligen, müssen wir auch den Lehren von der kinematischen Gestalt der Körper und der kinematischen Zeigerstellung der Uhren einräumen.
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie im erkenntnistheoretischen Zusammenhange des relativistischen Positivismus, Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 14. Jahrgang. , Braunschweig 1912, Seite 1056. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_(Petzoldt_1912).djvu/2&oldid=- (Version vom 12.6.2024)