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Dass eine scharfe grenze zwischen einsilbigkeit mit doppelgipfel und zweisilbigkeit mit zwei selbständigen gipfeln nicht zu ziehen ist, versteht sich von selbst. Dies rechtfertigt auch die schreibung dauən „welt“ (vgl. II 251, 14 ff.) zum unterschied von daun „braun“. Ein besonderes zeichen wäre vielleicht noch besser gewesen (etwa daũn „welt“ neben daun oder dàun „braun“). Der wunsch, möglichst wenig nebenzeichen zu gebrauchen, hat mich jedoch bestimmt, davon abzusehn. Dass die paragraphen 3–5 einer ganz besonderen, auf lange erfahrung und beobachtung zu gründenden korrektur bedürftig sind, möchte ich, meinen kritikern zuvorkommend, hier noch ausdrücklich bemerken.

B) Die palatalen vokale: ī i ē e ǣ æ ǡ ȧ.[1]
1. ī.

§ 6. Der buchstabe ī bezeichnet im anlaut und nach palatalisierten konsonanten stets den im deutschen „fiel, ziel“ vorliegenden langen, geschlossenen vokal (Vietor § 56). Dieser normallaut erleidet nach indifferenten konsonanten eine auf mehr oder weniger starker zurückschiebung der zungenhebung beruhende modifikation, und zwar mehr bei flüchtiger aussprache als bei sorgfältiger artikulation. Den stärksten einfluss in diesem sinne üben w und ŭ aus, nach denen zuweilen statt eines ī der durch ȳ dargestellte laut (vgl. § 67) erscheint, meist jedoch ein vokal, der zwischen ȳ und dem russischen y in ryba, syn, dym etc. liegt. Der dem russischen y qualitativ entsprechende laut (Sweet’s high-mixed-narrow) scheint nach d t g k n l̄ die regel zu sein. Nach s und r erscheint, soweit ī sich nicht rein erhält, ein dem russischen i in živ qualitativ gleicher laut (Sweet’s high-mixed-narrow-advanced). Nur in einigen wörtern scheint ī ganz durch ȳ oder einen diesem naheliegenden laut verdrängt worden zu sein, z. b. in l̄ȳv, sȳxān.

In zweigipfligen silben (vgl. §§ 3. 4) wird statt eines ī zuweilen der diphthong gesprochen. So kommt neben ḱīx auch ḱiəx vor, neben šīs auch šiəs etc. Unmittelbar vor starkbetonten silben findet häufig eine verkürzung statt, z. b. si šīs statt sī šīs, ńi h‑ȧ statt ńī h‑ȧ etc.

  1. Fincks Begriffe "palataler Vokal", "gutturaler Vokal" und "palato-gutturaler Vokal" entsprechen den modernen Begriffen "vorderer Vokal", "hinterer Vokal" bzw. "zentraler Vokal".
Empfohlene Zitierweise:
Franz Nikolaus Finck: Die araner mundart. N. G. Elwert’sche Verlagsbuchhandlung, Marburg 1899, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_araner_mundart.djvu/25&oldid=- (Version vom 31.7.2018)