Gustav Schaefer: Die geschichtliche Entwickelung des Thierschutzes | |
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als ein religiöses Gesetzbuch und seine Verbreitung als ein verdienstliches Werk. Interessant ist es, dass gemäss diesem vor nun- mehr 2400 Jahren bei den Anhängern des Lao Tsse der Schutz der Thiere als eine heilige Pflicht betrachtet wurde, die nicht wegen eines materiellen Nutzens, sondern als Ausfluss des Gerechtigkeitssinnes, des Mitgefühls und der Moral geübt werden solle. Einige der Lehren Lao Tssée’s seien beispielsweise hier angeführt:
Seid menschlich gegen Thiere.
Thut weder Insekten noch Pflanzen und Bäumen ein Leid an. Zwingt die Insekten nicht, ihre Gehäuse und Wohnungen zu verlassen.
Stört die auf den Bäumen schlafenden Vögel nicht auf.
Tödtet keinen Vogel, denn die noch im Neste befindlichen Vögel harren der Rückkunft von Vater und Mutter.
Zerstört keine Nester der Vögel, noch vertilgt die Eier derselben. Hetzt weder Menschen noch Thiere, noch fügt ihnen ein Leid zu.
Auch das klassische Alterthum mit seiner erhabenen Philosophie, mit seinem feinen Kunstsinn und seinem Kultus der Schönheit ist der Thierschutz-Idee nicht fremd geblieben. Biese Idee ist allezeit der Ausfluss schöner edler Gesinnung gewesen und muss mit elementarer Macht überall da von selbst hervorbrechen, wo die Grundbedingungen für humane Anschauungen vorhanden sind. Schon die griechischen Philosophen hatten erkannt, wie es zur Veredelung der Menschheit nothwendig sei, auf das menschliche Herz einzuwirken; daher war es, nach Aristoteles, der hauptsächlichste Zweck der attischen Tragödie – dieser höchsten Confession des hellenischen Geistes –: Mitleid zu erregen; ein solches Gefühl musste schliesslich auch der recht- und hilflosen Creatur: der Thierwelt zu Gute kommen. Plutarch z. B. empfiehlt in seinen Schriften die Milde gegen die Thiere noch ausdrücklich.
Bei dem Thierschutz der Alten scheinen allerdings auch praktische Rücksichten massgebend gewesen zu sein. Ein Knabe, welcher einigen Vögeln die Augen ausgestochen hatte und sie dann laufen liess, wurde von den Atheniensern zum Tode verurtheilt mit der Begründung: „Wenn dieser als Knabe schon so grausam gegen die Thiere ist, wie würde der als Mann erst gegen die Menschen werden?“
Das alte Rom, dessen Lehrmeister einst Griechenland gewesen war, folgte ihm jedoch nicht auch in Bezug auf die humane Anschauung gegen die Thiere.
Gustav Schaefer: Die geschichtliche Entwickelung des Thierschutzes. Verlag des Vereins zum Schutze der Thiere, Dresden 1889, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_geschichtliche_Entwicklung_des_Thierschutzes.pdf/14&oldid=- (Version vom 5.9.2024)