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Seite:Die zehnte Muse (Maximilian Bern).djvu/138

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Verschiedene: Die zehnte Muse


Hering und Auster.

Ein Hering liebt’ eine Auster
Im kühlen Meeresgrund,
Es war sein Dichten und Trachten
Ein Kuss von ihrem Mund.

5
Die Auster, die war spröde,

Sie blieb in ihrem Haus;
Ob der Hering sang und seufzte:
Sie schaute nicht heraus.

Nur eines Tags erschloss sich

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Ihr duftig Schalenpaar,

Sie wollt’ im Meeresspiegel
Beschau’n ihr Antlitz klar.

Der Hering kam geschwommen,
Steckt’ seinen Kopf herein,

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Und dacht’: an einem Kusse

In Ehren sich zu freu’n.

O Harung, armer Harung,
Wie schwer bist du blamiert; –
Sie schloss in Wut die Schalen,

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Da war er guillotiniert.


Jetzt schwamm sein toter Leichnam
Wehmütig im grünen Meer
Und dacht: »In meinem Leben
Lieb’ ich keine Auster mehr!«

J. V. v. Scheffel.






Im Vorübergehn.

Es hing eine Blüte am Baum,
So lose, so leise!
Es kam der Wind und streifte sie kaum
Und nahm sie mit auf die Reise.

5
Dir hing ein Kuss am Mund,

Ich nahm ihn vermessen.
Er wurzelte in keinem Grund,
Wirst ihn wie ich vergessen!

Emil Claar


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/138&oldid=- (Version vom 31.7.2018)