Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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Zwei Gänse.
Zur weissen Gans sprach einst vertraulich eine graue:
Lass uns spazieren geh’n nach jener grünen Aue,
Dort thun wir beide uns im jungen Grase gütlich,
Denn in Gesellschaft gakt es sich doch gar gemütlich.
Mit meines Gleichen nur geh’ ich am Tag spazieren,
Vertraulichkeit mit dir gereichte nur zur Schande,
Zwar bin ich eine Gans, doch eine Gans von Stande.«
Gleichnis.
„Freund,“ sprachen sie, „wie du es treibst,
Kommst du bei Lebzeit nie in Mode!
Du sinnst und dichtest, ringst und schreibst
Und hungerst dich dabei zu Tode.
Du bleibst ein Bettler unter ihnen.
Begreife doch den Zeitgeschmack!
Lehr deine Muse Geld verdienen!“ – –
„Meint ihr? – – Einst war bei aller Not
Die zahlte einst das Mittagbrot
Aus ihrem Beutel für uns beide;
Das nahm mein armer Stolz gar schwer!
Es war so gut gemeint im Grunde.
Vor Scham und Groll seit dieser Stunde!
Die Kunst ist nun mein Lieb und Licht. –
Lasst doch die andern ruhig prassen!
Ich mag mein Mittagbrot mir nicht
Versorgung.
Eingesperrt beim alten Pferd,
Das im Radlauf wohlgelehrt,
Stampft ein Kriegsross voll Verlangen,
In dem Siegeszug zu prangen.
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/251&oldid=- (Version vom 31.7.2018)