Seite:Die zehnte Muse (Maximilian Bern).djvu/85

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die zehnte Muse


Und wenn die süsse reine Maid
Dem stürmischen Verlangen
Die ganze junge Herrlichkeit
Hingiebt in wehem Bangen,

25
Dann tropft von Gottes Auge sacht

Ein goldnes Sternschnuppflämmchen,
Indes in seinen Bart er lacht:
»Gesegne’s dir, mein Lämmchen!«
Der Herrgott findet seine Freud’

30
Am Kosen und am Küssen.

Der Herrgott und die Dichtersleut’,
Die doch auch leben müssen!
Ein Dichter, der nicht küssen kann,
Weil ihm die Mädeln fehlen,

35
Was muss solch arm bresthafter Mann

Sich mit dem Dichten quälen!!
Die Liebe leiht der Leier Schwung.
Beschwinge dich, Gelichter!
So lang das Herz noch jung, jung, jung,

40
So lange bleibt ihr Dichter!

Und ob die Liebe sieben Tag’,
Ob sieben Jahr’ sie währe,
Heisst sie, so oft sie kommen mag,
Willkommen, froh der Ehre.

45
Ergreift das Glück, wo es sich schenkt

In lieblichem Umdrängen,
Und wer ein liebes Mädel kränkt,
Den sollte man gleich hängen!
Drum höret, was der Weise spricht

50
Zu euren dicken Schädeln:

Verachtet nur die Mädeln nicht,
Die lieben, süssen Mädeln.

Ernst von Wolzogen.





Verhalten.

Mein Vogel schreit im Käfig heut wie toll,
Ich weiss nicht, was sein Schrei bedeuten soll.

Er schreit so gell, als fordre er mit Macht,
Was sonst der Frühling immer ihm gebracht.

5
Er lockt ein Weibchen, ruft so voller Gier:

O komm – o komm – o komm – o komm zu mir!


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/85&oldid=- (Version vom 31.7.2018)