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vertrat, brachte ihn mit allen nach Dresden kommenden künstlerischen und literarischen Berühmtheiten und so auch mit Elisa von der Recke in Berührung. Sie lernte ihn zuerst am 17. Juni 1789 auf Naumanns Weinberg in Loschwitz kennen, sah ihn dann fünf Wochen lang täglich in Karlsbad und blieb mit ihm in Briefwechsel bis zu dem neuen Zusammentreffen in Leipzig und Dresden im Frühjahr 1790. Ihre Niederschriften lassen keinen Zweifel über die Natur der Gefühle, die sie gegen ihn hegt, wenngleich sie sich selbst zu überreden sucht, daß es nur Freundschaft sei: schon die poetische Schilderung des Abends auf Körners Weinberg am 19. Mai redet eine zu deutliche Sprache. Graf Geßler scheint damals im Ernst an eine Verbindung mit Elisa gedacht zu haben, aber seine Liebe war nicht so beständig wie die ihrige. Schon im Herbst 1790 mußte sie dies fühlen; er hatte inzwischen seine Neigung ihrer weniger geistvollen, aber schöneren Schwester, der Herzogin von Kurland, zugewendet.

Elisa von der Recke.

Dieser zu Liebe gab er, wie Elisa erzählt, später seinen Gesandtschaftsposten in Dresden auf, um sich der Herzogin und ihren Kindern in St. Petersburg nützlich zu machen. Es gelang aber der Umgebung der Herzogin, sie von ihm zu trennen, und der Graf warf deshalb auf Elisa „einen sehr unwürdigen Verdacht.“ Sie konnte ihm den Aufschluß, den er zu ihrer Rechtfertigung verlangte, nicht geben, ohne nach ihrer Auffassung gegen ihre Schwester zu fehlen, und so trennte er sich 1793 von ihr mit den herben Worten: „Da ich mich in dem innern Seelenwerth zwei so interessanter Schwestern geirrt habe, so kehre ich zu meinem alten Glauben zurück, daß die Menschen nur Schauspieler sind; die hohe Elisa ist mir jetzt nur ein gewöhnlicher weiblicher Charakter!“ Seitdem sahen die Schwestern den zum Weiberfeind gewordenen Mann nur selten, wobei er sich kalt artig gegen sie benahm; aber im Stillen liebte er die Herzogin fort, so wie Elisa ihn auch ferner liebte. Während der Befreiungskriege hat sich Graf Geßler als Patriot hervorgethan; im Jahre 1813 war er Oberbefehlshaber des schlesischen Landsturms. Ernst Moritz Arndt, der zusammen mit dem großen Freiherrn vom Stein, Geßlers Jugendfreunde, längere Zeit bei ihm auf seinem Gute Reichenbach in Schlesien weilte, hat dem trefflichen Manne in seinen „Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn vom Stein“ ein schönes Denkmal gesetzt. Er starb 1829, 76 Jahre alt und unvermählt, nicht ohne die engbefreundete Familie Körner, die auch wirthschaftlich durch den Krieg schwer geschädigt war, reich bedacht zu haben. Elisa äußert noch in einer Anmerkung vom Jahre 1826, die Erinnerung der mit ihm zugebrachten Tage sei ihr heilig.


Leipzig, den 2. Mai, Hotel de Saxe. Früh Morgens um 6. Der Gesang der Vögel, der aromatische Blüthenduft und Leipzigs lachende Gärten, die ich aus meinem Fenster sehe, geben meiner Seele einen Schwung, der nahe an jugendliche Heiterkeit grenzt, und dennoch schlägt mein Herz mit einer Unruhe, der ich nicht ganz Herr bin; Graf G. ist seit vorgestern hier, seine Freude mich wieder zu sehn, war höchst ausdrucksvoll. Er widmet mir fast alle seine Stunden, und schnell entflieht der Tag im Umgange dieses geistreichen Freundes. Es ist mir lieb, daß Freund Blankenburg[1] auch den ganzen Tag bei mir ist und daß Nicolai[2] mir jede Stunde schenkt, die er abmissen kann; dadurch sind die Gespräche immer lebhaft und interessant, ohne daß der eine mir zu interessant wird.

Den 4. Mai. Er ist fort, – aber in wenig Tagen seh’ ich ihn in Dresden wieder, und dennoch fühl’ ich es, daß er fort ist. Warum vermiß ich ihn so? – warum machte alles, was er gestern Abend in einer zahlreichen Gesellschaft von mehr als 30 Personen sprach,


  1. Christian Friedr. Blankenburg (geb. 1744, gest. 1796), bis 1777 Offizier, lebte seitdem als Aesthetiker und Popularphilosoph in Leipzig.
  2. Christoph Friedr. Nicolai (geb. 1733, gest. 1811), einflußreicher Schriftsteller und Buchhändler in Berlin, Herausgeber der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/114&oldid=- (Version vom 5.5.2024)