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genannt, welches die Ecke der Langestraße und der Pirnaischen Gasse bildete. Wir vermuthen, daß unser berühmter Landsmann in der Scheffelstraße das Licht der Welt erblickt hat, da die Mutter, zumal im Mai, die Geburt des Kindes sicherlich in der innern Stadt wird abgewartet haben, wo Aerzte auch nachts zu haben waren und die Bequemlichkeit größer war als in dem leichten Fachwerkbau draußen vor der Festung.

Bei der Taufe standen die Kurfürstinnen von Sachsen und von der Pfalz, sowie Spener, der alte Freund der Familie, Gevatter. Schon am 9. Juli 1700, 6 Wochen nach der Geburt des Knaben, starb der Vater. Die Mutter, Charlotte Justine von Gersdorf, eine geborene Dresdnerin, zog sich in die Lausitz zurück, bis sie 1704 den General von Natzmer heirathete. Auf lange Zeit waren die Beziehungen der Familie Zinzendorf zu Dresden unterbrochen. Erst am 22. Oktober 1721 betrat der junge Graf den Boden seiner Geburtsstadt wieder.

Nur aus Liebe zu den Seinigen hatte Zinzendorf auf deren Wunsch die Rechte studirt – er war Theolog durch und durch. Nach vollendeten Studien drängten ihn die Seinen dazu, eine Staatsanstellung zu suchen. So sah er sich veranlaßt, den Posten eines Hof- und Justizraths bei der Landesregierung unter dem Kanzler von Bünau zu übernehmen. Die Pflichten, die ihm dies Amt auferlegte, waren freilich herzlich gering. Er bekleidete es nur dem Namen nach, wie er sich denn gleich von vorn herein ausbedungen hatte, lediglich in „Vorbeschiedssachen gebraucht zu werden.“ Seine Lebensaufgabe, der er mit ganzem Eifer oblag, war nach seinen eignen Worten, „dem Herrn Jesu Seelen zu gewinnen.“ Zu diesem Behufe suchte er Verkehr mit Frommen aus allen Ständen und hielt in seiner Miethswohnung auf dem Kohlmarkt in Neustadt, der heutigen Körnerstraße, im Hause des Stuckaturarbeiters Schuhmann im Verein mit seiner Gattin, die er im September 1722 nach Dresden heimführte, zunächst mit seiner Dienerschaft religiöse Versammlungen. „In Dresden,“ so berichtet er selbst, „habe ich ohne Widerspruch meiner weltlichen und geistlichen Oberen alle Sonntage eine auch öffentliche Versammlung für Jedermann und bei offnen Thüren gehalten. Das Singulare dabei war nur, daß ich ein Prediger war, der aus Gehorsam gegen seine Eltern einen Degen trug und auf die Regierung ging. Der liebe Superintendent zu Dresden DLöscher hatte deswegen ein christliches Mitleiden mit meiner unterdrückten Gabe und ließ mich machen.“ Dabei hielt er sich von den Lustbarkeiten, an denen der Hof Augusts des Starken überreich war, zurück und konnte selbst bei Einladungen, wenn er etwa Schmähungen oder lose Reden über den hörte, der seine „einzige Passion“ war, höchst unangenehm werden. Die Konventikel übrigens wurden immer länger ausgedehnt und dauerten bald von 3–7 Uhr. Da besprach man sich, erzählt er, nach Gelegenheit eines aus dem neuen Testament gelesenen Kapitels vertraulich, man betete, es ward ein Lied gesungen. „Wir sind im Herrn vergnügt und so einfältig wie die Kinderchen, jung und alt beisammen. Diejenigen, die noch unter uns gelehrt sein wollen, tragen wir mit Geduld.“ Sein Ansehn als Laienprediger wuchs, wer ein Anliegen hatte, kam zu ihm oder zu seiner Gemahlin; bald war er mit allerhand Geschäften im Dienst seiner Anhänger überhäuft.

Gegen Ende 1723 mochten die Zusammenkünfte am Kohlmarkt zur Kenntniß des Superintendenten gekommen sein. Er hielt es für seine Pflicht, die Sache untersuchen zu lassen. Schon 1714 und 1715 hatte er mit Konventikeln zu thun gehabt: vor dem Pirnaischen Thore waren religiöse Versammlungen ohne Geistliche gehalten worden; auch hatte die Generalin von Hallard auf der Borngasse, eine spätere Anhängerin Zinzendorfs, von der er sagte: „ihr Herz brannte, Lettland selig zu machen,“ täglich zwei öffentliche Betstunden gehalten. Als Gegner pietistischen Wesens stand Löscher auch diesmal auf der Wacht. Im Januar 1724 frug er bei dem damaligen Pfarrer von „Altendresden“ MHilscher amtlich an, ob der Graf von Zinzendorf conventus religiosos mit allerhand Leuten halte.“ Hilscher antwortete am 2. Februar: „Ich habe deshalben bishero fleißige Nachfrage gehalten, weiter aber nichts in Erfahrung bringen können, als daß er gegen Abend mit seinen Domesticis seine Hausandacht halten sollte, wie ich denn auch, als er kurz hierhergekommen, bei meinem Zuspruch ihm zu verstehen gegeben, daß, wenn außer seinen Leuten jemand von unsern Zuhörern bei seinen Betstunden sollte admittiret werden, es leicht geschehen könnte, daß über mehreres als etwa vorginge, davon möchte geredet werden, überhaupt aber, wenn es publique würde, desselben Inhibition geschehen dürfte; da er denn sich so viel merken lassen, daß er blos seine Hausandacht fortsetzen wollte. Unterdessen kommt er jezuweilen Sonntags in die Predigt, wie er denn eine eigene Emporkirche oder Betstübchen inne hat, auch sich sodann bei dem Gottesdienst gar andächtig bezeiget.“ Die Folge war, daß der Graf sich befliß, seinen Versammlungen den privaten Charakter zu wahren. Sie seien zunächst für seine Hausgenossen, ließ er sagen, wer sonst komme, sei ihm angenehm, niemand aber möge sich vorher anmelden, „denn es könnte leicht sein, daß etwas geredet würde.“

So ließ ihn denn Löscher „machen“. Ein Zwischenfall im Jahre 1725 schien indeß den Superintendenten etwas zu erkälten. Eine Gichtelianerin, Glied einer zweideutigen Sekte, war in Dresden gestorben und sollte als Kirchen- und Abendmahlsverächterin „auf dem

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/37&oldid=- (Version vom 27.4.2024)