Ich plackte mich mit dem Dummhute, der nur Abends um 8 Uhr Zeit hatte, bis er noch vor Ende des zweiten Monats durch die Lappen ging, Weib und Kind nebst manchen Schulden hinterließ. Ohne einen Pfennig von ihm erhalten zu haben, gab ich der trostlosen Frau die vierthalb Groschen, die ich eben bei mir hatte, auch noch dazu. Mit etwas besserm Glücke gab ich im letzten Winter 1772 der Mamsell Braut meines Perüquiers eine Schreibestunde, wofür ich zwar ebenfalls kein Geld, aber doch eine neue, sehr gute Beutelperücke erhielt.
Verfassungsmäßig hielten die, welche als Academici das Chor verließen, nach gehaltenem Abschieds: Actu einen Valediktionsumgang bei der Bürgerschaft, der meinen Vorgängern immer zwischen 30 und 40 Taler eingebracht hatte. Auch dieses Emolument wurde mir sehr verkümmert, da teils durch die enorme Teuerung die Freigebigkeit der Wohltäter merklich zusammen schrumpfte, teils wir beide zugleich Abgehende diesmal das Erhaltene teilen mußten, so daß meine Hälfte nicht mehr als 14 Taler 10 Groschen betrug. Hierzu kam noch 1 Dukaten von zwei etwas distinguiertern Bürgermädchen, deren Bekanntschaft ich durch meine Verseleien gemacht hatte und mit denen ich zuweilen einen mir anständigen Umgang zu führen Gelegenheit fand, da ich hingegen zu ambitiös war, die Mädchenbekanntschaften meiner Kameraden oder das Schülergut", wie unser Pastor Schnabel sie nannte, nach meinem Geschmacke zu finden. Daher auch nie ein Mädchen es wagte, mir bei Gregorius Umgängen ein Band an die Geige zu offerieren, mit denen andere buschweise als mit Ordensbändern zu paradieren strebten. Selbst bei meinen beiden Freundinnen hatte ich mir diese Höflichkeit im Voraus verbitten lassen.
Vom Sonntage Estomihi 1772 ging meine sogenannte Kandidatenfreiheit an, wo ich zum erstenmale mit Ablegung des schwarzen Ornats und der Stutzperücke in bunter Kleidung, Beutelperücke oder eigenen Haaren erscheinen konnte, von allen und jeden Chor- und Kirchendiensten befreiet war, die gewöhnlichen Chorintraden aber erklusive der Accidenzien bis Sonnabends vor Johannis alter Observanz gemäß fort genos. Am 1. Juni, Montags nach Eraudi, hielt ich bei unserm gemeinschaftlichen Abschieds- Actu zuerst cine lateinische Rede über das vom Rektor vorgeschriebene Thema: Largitas claros facit, oder: Über das Ruhmwürdige der Freigebigkeit, und zum Schlusse ein selbst gefertigtes Empfehlungs- und Danksagungsgedicht. Zwei andere Reden hatte ich bei ähnlichen Gelegenheiten bereits in den beiden vorigen Jahren gehalten. Der Herr Rektor unterließ zwar nicht, sowohl im Programm als in den beiden Testimoniis mit sehr vielen Cobsprüchen uns den Gönnern und Wohltätern nachdrücklich zu empfehlen; aber es war um jeden verschriebenen Tropfen Tinte schade, da weder in Dresden, noch in Wittenberg jemand die mindeste Notiz davon genommen hat. Donnerstags nach Pfingsten geschahe unsere gemeinschaftliche Abreise auf einem Elbkahne.
Bei all der eingeschränkten und zum Teil sehr kümmerlichen Lebensweise, die ich seit meiner Kindheit in meiner Vaterstadt geführt hatte, durfte ich doch ebensowenig mich beschweren, daß es mir, besonders in den drei letzten Jahren, eigentlich übel gegangen sei, als ich hoffnungsvolle Aussicht gehabt hätte, in Wittenberg ein besseres Schicksal erwarten zu dürfen. Gleich wohl war die Begierde nach diesem mir ganz fremden Orte bei mir ebenso stark, als die indolente Gleichgiltigkeit, mit der ich Dresden und alles, womit ich bisher in Verbindung gestanden hatte, aufzugeben und zu verlassen bereit war. Die kindische Laune, von welcher ältere nicht minder als jüngere Leute zuweilen mehr oder weniger befallen werden, Liebe zur Veränderung, lag auch hier offenbar bei mir zum Grunde. Dresden, das sonst so mannigfaltig anziehendes hat. war mir seit 20 Jahren nun zu alltäglich geworden, und ich würde vielleicht bloß der Veränderung wegen die Reise in die Tartarei angetreten haben, um andere Menschen und Gegenstände zu sehen.
Doch nicht diese sinnliche Laune allein, sondern auch zugleich ein edleres Streben wirkte ebenso dringend hierbei mit. In jedem der verflossenen acht Jahre hatte wenigstens einer von uns Choralisten zu Ostern die Akademie bezogen. Diese Herren Studenten, welche während der Ferien längere oder kürzere Zeit sich auch in Dresden einfanden und nicht nur ihre Person, sondern auch ihre neuen akademischen Studien und Kenntnisse mit moquanten Seitenblicken auf ihren durchlaufenen Schulkursus sich zu produzieren bestens beflissen waren, trugen nicht wenig dazu bei, die Vorzüge des akademischen Lebens zu empfehlen und besonders auch in mir die Sehnsucht nach einer höhern wissenschaftlichen Ausbildung aufzuregen, jemehr ich es fühlte, wie nur langsam und kindische Fortschritte in reifern Kenntnissen ich auf dieser Schule zu machen vermöge. Alle übrige Schwindeleien von den Annehmlichkeiten des sogenannten freien Burschenlebens hatten für mich keinen Reiz, da ich auf der Schule dazu weder verwöhnt noch geneigt war.
Das bisherige Hemmen in meiner Lernbegierde und der ungenügende Unterricht waren hauptsächlich daran schuld, daß es mir in Dresden nicht mehr gefallen wollte und ich mit Hofmann forteilte, da ich doch noch ein Jahr wenigstens seine Stelle als Präfekt hätte bekleiden und wahrscheinlich um 50 Taler reicher den armseligen Anfang meiner neuen Karriere beginnen können.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/188&oldid=- (Version vom 18.11.2024)