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„Ein gesegneter Winkel des obersächsischen Landes fürwahr, der in kaum hundert Jahren den Deutschen Lessing, Fichte, Rietschel schenkte – drei Geister im Innersten verwandt, wie fremd sie sich scheinen, der kühne Zertrümmerer der französischen Regeln unserer Dichtung, der tapfere Redner und der weiche sinnige Bildhauer – jeder in seiner Weise ein Träger der besten deutschen Tugend, der Wahrhaftigkeit.“
Die nachfolgenden Blätter wollen unbenutzt gebliebenes Quellenmaterial verwerten, um die Kenntnis des Charakterbildes Ernst Rietschels zu vervollständigen, mit Liebe und Sorgfalt auch einige kleinere Überbleibsel aufbewahren helfen, die den Stempel seines Geistes tragen und geeignet sind, der Erinnerung an seine künstlerische und menschliche Eigenart durch echte Züge der Wirklichkeit größere Deutlichkeit zu geben. Bedürfte dieses Unternehmen der Rechtfertigung, so wären es ihm die an den Anfang gestellten Worte Heinrich von Treitschkes, nicht nur als Zeugnis der außerordentlich hohen Wertschätzung, die dieser ausgezeichnete Geschichtschreiber und berufene Beurteiler geistiger Größe dem Dresdner Künstler angedeihen läßt, den er als ebenbürtig einem Lessing und Fichte an die Seite stellt, sondern weit mehr noch deshalb, weil sie die Wertschätzung des Künstlers im gegebenen Zusammenhange der Gedanken auf eine Wertschätzung des Menschen, auf einen hervorstechenden Zug seines sittlichen Wesens zurückführen und die Tugend der Wahrhaftigkeit als den gemeinsamen charakteristischen Zug in der geistigen Physiognomie der drei berühmten Sachsen: des Dichters, des Philosophen und des Bildhauers, bezeichnen. Für die fachmäßige Betrachtung eines bedeutenden Werkes der Literatur gilt es längst als feststehender Grundsatz methodischer Forschung, daß man den Namen des Urhebers, wenn dieser nicht überliefert, zu ermitteln, des Urhebers Lebensverhältnisse und Charaktereigentümlichkeiten festzustellen bestrebt sein müsse, um zu tieferem Verständnis einzudringen und sich vor der Gefahr irriger Beurteilung zu bewahren. Der gleiche Grundsatz hat seine Richtigkeit auch für die Werke der bildenden Kunst. Auch ausgezeichnete Kunstwerke sind so lange in ihrer Eigenart nicht völlig erkannt, als es nicht gelingt, die Person ihres Schöpfers zu bestimmen; und die Ermittelung der Person des Schöpfers ist so lange etwas unzureichendes, als es nicht möglich ist, nun auch das Charakteristische seiner menschlichen Erscheinung zu erfassen und in treuem Abbild vor uns aufleben zu lassen. Gestattet das stumme Kunstwerk Rückschlüsse auf die Charaktereigenschaften dessen, der es geschaffen, so kommt umgekehrt auch einer reineren Auffassung und sichreren Beurteilung der einzelnen Kunstschöpfung zu gute, was wir durch untrügliche redende Zeugnisse vom Künstler und seinem geistigen Wesen erfahren. Mag ein kongenialer Beschauer der berühmten Bildwerke Rietschels den Geist der Wahrhaftigkeit des Meisters mit sicherem Takte aus ihnen herausfühlen; wer vor sein Luther-Standbild tritt und zuvor aus echter Überlieferung oder Äußerungen des Urhebers selbst sich damit vertraut gemacht hat, durch welche heiße Kämpfe dieser sich durchgerungen hat, bis er zu voller Klarheit über die richtige Lösung seiner
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ siehe auch Aus Julius Schnorrs Tagebüchern
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/254&oldid=- (Version vom 4.12.2024)