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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/257

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sich eine Verschiedenheit der künstlerischen Eigenart und des persönlichen Charakters, wie sie selbstverständlich auch tatsächlich vorhanden war, aus den Worten heraushören, die Schnorr am 22. Mai 1858 in sein Tagebuch schrieb, nachdem ihn Rietschel aus einer geschäftlichen Veranlassung besucht hatte: „Bei dieser Gelegenheit erklärt Rietschel seine Besorgnis, daß ich ihn für einen Gegner meiner Ansicht in betreff der monumentalen Kunst halte, was er nicht sei. Nur auf die äußerste Rechte könne er seiner Natur nach sich nicht stellen. In allen Fällen, wo es eine Entscheidung gelte, werde er auf der Seite der ernsten Richtung stehen.“ In Wahrheit aber blieb stets unerschüttert ein fester gemeinsamer Boden, auf dem beide vertrauensvoll in Ausübung ihres künstlerischen und amtlichen Berufes zusammenwirkten. Als Beleg mögen zwei Tagebuchaufzeichnungen Schnorrs vom 4. März 1859 und 12. September 1860 angeführt sein, in deren einer er von schriftlichen Darlegungen und Begutachtungen Rietschels als von „schönen Zeugnissen für seine Einsicht und Unabhängigkeit seines Urteils“ spricht, in deren anderer „ein treffliches, ein rechtschaffenes Gutachten“ von ihm in einer schwierigen, einen Schützling Schnorrs berührenden Personenfrage erwähnt wird. Passender Weise darf in diesem Zusammenhange hier auch davon gesprochen werden, daß sich an dem Suchen nach der richtigen Lösung der großen Aufgabe, vor die Rietschel durch das Wormser Luther-Denkmal gestellt war, Schnorr mit voller Hingebung beteiligte; der Maler war in diesem Falle sogar so glücklich, sich sagen zu können, daß er gleich anfangs, zum ersten Male bei einer mündlichen Besprechung der Angelegenheit, die am 28. Februar 1858 stattfand, für diejenige Auffassung eingetreten war, für die sich zuletzt nach geraumer Zeit auch der Bildhauer entschied, ganz seiner eigenen Einsicht folgend, aber erst nach Überwinden schwerer Zweifel angesichts der Frage, ob er nicht statt des Luthers im Talar einen Luther in der Mönchskutte, statt des gewordenen, im Bewußtsein der Nachwelt in typischem Bilde fortlebenden, den Gedanken an die feste Burg verkörpernden Reformators den werdenden, statt des überragenden Hauptes einer mächtigen, durch Vorläufer angekündigten und in Jahrhunderten siegreich verteidigten geistigen Bewegung das Augenblicksbild eines protestierenden Augustinermönchs des Jahres 1521 darstellen müsse. Ein inneres Verhältnis zu Rietschels Luther-Standbilde und dem Wormser Reformationsdenkmale setzte sich bei Schnorr auch während des Meisters letzter Krankheit und nach seinem viel zu frühen Tode fort. Als Rietschel kurz vor seinem Abscheiden in den Gesichtszügen seines Luthers eine Änderung beschlossen hatte, die er selber nicht mehr ausführen konnte und daher durch einen Schüler und Gehilfen mußte bewirken lassen, überwachte Schnorr in seinem Auftrage diese Arbeit und gleichsam als freiwilliger Vollstrecker seines künstlerischen letzten Willens trat er dann ungefragt und unaufgefordert, aber mit dem gewünschten Erfolg bei dem Ausschusse des Vereins für das Luther-Denkmal dafür ein, daß das Denkmal, soweit es im Großen, als der Tod den Erfinder abrief, noch nicht ausgeführt war, durch dieselben Künstler, die diesem schon bisher geholfen hatten, unter Fernhaltung fremdartiger Einflüsse in des Verstorbenen Werkstatt und in seinem Geiste vollendet wurde. Wohlverdient und in den Tatsachen begründet war daher die Anerkennung, die später einer der ausführenden Künstler dadurch zum Ausdruck gebracht hat, daß er am Denkmale selbst in dem Relief, darstellend das Anschlagen der fünfundneunzig Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg, einem der Alten, die dem Vorgange zuschauen, Schnorrs Gestalt und Gesichtszüge geliehen hat.

Wo in den nachfolgenden Briefen Einzelheiten der Erläuterung bedürfen, sollen die erforderlichen Angaben als kurze Anmerkungen, eine jede an ihrem Orte, beigefügt werden. Eine etwas ausführlichere, aus unveröffentlichtem Quellenmateriale geschöpfte Mitteilung verlangen hier nur noch einige Briefe aus den letzten Jahren, soweit sie sich auf Angelegenheiten des Preußischen Ordens pour le mérite für Wissenschaften und Künste beziehen.

Die dreißig stimmfähigen Ritter dieses Ordens aus der deutschen Nation ergänzen sich bekanntlich durch Zuwahl; dem Ordenskanzler, mittelbar durch ihn wahrscheinlich einer höheren Stelle, ist im einzelnen Falle ein bestimmender Einfluß auf das Wahlergebnis nur insoweit gewahrt, als bei dem Ausschreiben jeder Neuwahl nach Belieben das Gebiet, sei es in weiteren, sei es in engeren Grenzen, bezeichnet zu werden pflegt, dem das neu zu wählende Mitglied als Vertreter angehören soll. Nachdem Rauch am 3. Dezember 1857 in Dresden gestorben war, erhielt Schnorr von Leo von Klenze, dem berühmten Erbauer fast sämtlicher großer Monumentalbauten des neuen München, ein Schreiben mit einem Postskriptum, worin der Briefschreiber tadelt, daß sich kein deutscher Architekt unter den Mitgliedern des Ordens befinde, und mitteilt, daß auch Cornelius von dem der Architektur damit angetanen Unrecht tief durchdrungen sei und ihm aus Rom geschrieben habe (antwortweise, möge man hinzudenken, nach den bei Förster, Cornelius II S. 397 zu findenden Beweisen), er wolle als Vizekanzler alles tun, um jetzt das frühere Unrecht wieder gut zu machen. Schnorr fand die auf solche Weise ihm kundgegebenen Ansprüche des hochbetagten Architekten, die seiner Meinung nach wirklich mit einem Rechte der Architektur

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/257&oldid=- (Version vom 28.11.2024)